FAZ und Verfassungsschutz im "Fake News"-Strudel
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Russland verübt Cyberangriffe auf deutsche Politiker und den Bundestag, sagt der Verfassungsschutz. Belege präsentiert er nicht. Die FAZ druckt es trotzdem. Wie "postfaktisch" sind die Leitmedien?
Am Freitag vergangener Woche titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung prominent auf Seite 1: "Verfassungsschutz macht Russland für Cyberangriffe verantwortlich - Präzise Erkenntnisse über staatliches Vorgehen unter dem Deckmantel von Hackern". Ein entsprechender Verdacht wurde schon länger in den Medien diskutiert, doch bislang mit eher zurückhaltender Wortwahl, nicht zuletzt angesichts fehlender Beweise und magerer Indizien. Insofern markiert der FAZ-Text eine neue Selbstgewissheit. Darin heißt es:
Verfassungsschützer haben mittlerweile präzise Erkenntnisse, dass Cyberangriffe auf deutsche Politiker und politische Institutionen wie den Bundestag vom russischen Staat geführt werden. Bisher war zwar Russland im Zusammenhang mit Angriffen auf deutsche Computersysteme genannt worden, etwa von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Hackerattacke auf die Telekom vor zwei Wochen. Doch blieben solche Hinweise vage. Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (…) mitgeteilt, dass russische "Propaganda- und Einflussoperationen" im Rahmen der Angriffskampagne APT28 von "staatlichen Stellen" geführt würden. Neu sei, dass diese Angriffe "unter falscher Flagge" stattfänden. Staatliche russische Stellen verübten Cyberangriffe unter dem Deckmantel vermeintlicher Aktivisten aus der Hackerszene.
FAZ
Durch die Verwendung des zur Zeit populären Kürzels APT ("Advanced Persistant Threat") wird der Eindruck wissenschaftlich-technischer Korrektheit vermittelt, allerdings nennt der Artikel keine näheren überprüfbaren Belege für die Behauptungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zur Verwicklung "staatlicher Stellen" aus Russland.
In der letzten detaillierten öffentlichen Stellungnahme des Geheimdienstes zum Thema, dem im Oktober erschienenen "BfV-Newsletter Nr. 3/2016" hatte die Behörde noch wesentlich vorsichtiger formuliert. Ein amerikanisches IT-Sicherheitsunternehmen habe "Hinweise auf russische Angriffskampagnen", weiterhin gäbe es "Indizien", die "auf eine Urheberschaft russischer Nachrichtendienste hinweisen" würden. Viel mehr wusste der Verfassungsschutz zuletzt zum Thema "russische Beteiligung" nicht zu vermelden.
Wie also kommt die Behörde nun zu ihren neuen "präzisen Erkenntnissen", die Russlands Täterschaft beweisen? Eine Nachfrage bei der Pressestelle des BfV, inwieweit die aktuellen Erkenntnisse in irgendeiner Weise über das im hauseigenen Newsletter präsentierte, dünne Material vom Oktober hinausgehen, beantwortete die Behörde mir so (Originalzitat):
Wie Sie bereits in Ihrer Anfrage vermuten, können wir Ihnen mit weiteren Informationen, die bereits in unserem BfV-Newsletter Nr. 3/2016 veröffentlicht wurden, nicht weiterhelfen.
BfV
An dieser Stellungnahme irritiert die sprachliche Fehlerhaftigkeit fast noch mehr als die inhaltliche Leere. Auf weitere Nachfrage bat man um Verständnis, dass der Verfassungsschutz "Berichterstattung nicht kommentieren" würde und "insofern auch keine Bewertung abgeben" könne.
"Äußerungen des Präsidenten aufgeschrieben"
Um der Sache weiter auf den Grund zu gehen, wandte ich mich im Folgenden direkt an den Autoren des FAZ-Artikels, Dr. Eckart Lohse, einen erfahrenen Redakteur des Blattes aus dem Berliner Büro, der in diesem Jahr auch schon prominent im Fernsehen zu sehen war. Ich berichtete ihm von der wenig ergiebigen Auskunft des Verfassungsschutzes - seiner Quelle -, und fragte, was denn nun konkret die von ihm genannten "präzisen Erkenntnisse" für eine Verwicklung des russischen Staates seien, und ob sie über die Erkenntnisse aus dem BfV-Newsletter vom Oktober hinausgingen, wo ja lediglich vage Indizien präsentiert worden waren. Lohse antwortete:
Da wir nicht unterstellen können, dass unsere Leser durchweg die Newsletter oder andere Veröffentlichungen des BfV zur Kenntnis nehmen, habe ich aktuelle Äußerungen des BfV und von dessen Präsidenten zu staatlichen russischen Aktivitäten in meinem Artikel aufgeschrieben.
Eckart Lohse
Auf diese ausweichende Antwort hin fragte ich nach, wie man auf der Basis des eher vorsichtig formulierten zwei Monate alten Newsletters auf eine knallige Überschrift wie "Verfassungsschutz macht Russland für Cyberangriffe verantwortlich - Präzise Erkenntnisse über staatliches Vorgehen" kommen könne. Dazu meinte der FAZ-Autor, wiederum ausweichend, dass nicht er, sondern ich "den Newsletter ins Spiel gebracht" habe: "Ich habe mich in meinem Artikel auf Mitteilungen des BfV und Äußerungen des Präsidenten bezogen, die höchst aktuell waren."
Doch das wesentliche Problem, abseits aller Details, müsste auch Lohse klar sein: In seinem auf Seite 1 veröffentlichten Artikel werden neue "präzise Erkenntnisse" zu einer direkten Verantwortung des russischen Staates behauptet, diese dann aber nicht genannt, so dass die Vorwürfe nicht überprüfbar sind und damit spekulativ bleiben. Zugleich werden die Verdächtigungen mehr oder weniger als bewiesene Tatsachen präsentiert.
Das ist, so darf man sagen, hart an der Grenze zum Verbreiten von "Fake News". Denn wo ist die Garantie für die Leser, wo zumindest die unabhängige journalistische Überprüfung, dass die vom Verfassungsschutz lancierten Vorwürfe überhaupt fundiert sind und der Wahrheit entsprechen?