FBI schließt endgültig Anthrax-Fall
Nach dem Selbstmord des verdächtigen Pentagon-Mikrobiologen wird trotz vieler offener Fragen dieser zum alleinigen Täter erklärt
Nach neun Jahren haben nun FBI und das US-Justizministerium endgültig die "außerordentlich komplexe" und vermutlich auch außergewöhnlich teure Untersuchung unter dem Namen Amerithrax eingestellt. Aufgeklärt werden sollte damit der Urheber der mit Milzbrandsporen (Anthrax) gefüllten Briefe, durch die 5 Menschen starben und 17 erkrankten. Während zunächst islamistische Terroristen oder der Irak dafür verantwortlich gemacht wurde, stellte sich bald heraus, dass dahinter vermutlich ein Mitarbeiter des Pentagon stecken müsste, zumal auch die Herkunft der Spuren auf ein entsprechendes Forschungsprogramm am Army Medical Research Institute of Infectious Diseases in Fort Detrick hinwies. Nachdem die Aufklärung schleppend verlief, das FBI dann Jahre lang den verkehrten Verdächtigen verfolgte, rettete der Selbstmord des Mikrobiologen Bruce Ivins 2008 das FBI, das Pentagon und die US-Regierung. Jetzt wurde er endgültig zum alleinigen Schuldigen erklärt.
.
Panik brach in den USA, aber auch in vielen anderen Ländern aus (Die Panik, die Medien und die Politiker), als im Oktober 2001, kurz nach den Anschlägen vom 11.9., vor allem Medienmitarbeiter Briefe mit Milzbrandsporen erhielten. Der damalige US-Präsident Bush sprach von einer zweiten Welle der Anschläge, wahlweise wurden al-Qaida, aber auch der irakische Präsident Saddam Hussein dafür verantwortlich gemacht. Der von US-amerikanischer und britischer Seite erhobene Vorwurf, der Irak arbeite weiterhin an biologischen Massenvernichtungswaffen diente zur Legitimation des schon gleich nach dem 11.9. geplanten Irak-Kriegs. Der damalige US-Außenminister Powell inszenierte dafür vor den Vereinten Nationen eine wahrhafte Märchenstunde. Deutsche Medien halfen bei der Hysterie zum Einläuten des Irak-Kriegs kräftig mit (Die Pocken am Frühstückstisch).
Zwar hatte der Irak alle Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen schon lange eingestellt, dafür hatte das Pentagon kurz vor dem 11.9. einräumen müsse (Pentagon bestätigt nach Pressebericht Forschung an biologischen Kampfstoffen), heimlich mit Milzbrandsporen gearbeitet zu haben, zur selben Zeit hatte die US-Regierung die Erweiterung des UN-Abkommens zum Verbot biologischer Waffen blockiert (USA lehnen Zusatzprotokoll zur Biowaffenkonvention ab).
Während die USA in Afghanistan und im Irak in den globalen Krieg gegen den Terrorismus (GWOT) zogen, verlief die Aufklärung der Milzbrandanschläge in der Heimat zäh. Gelegentlich wurde der Verdacht geäußert, das FBI wolle den Fall wegen der politischen Folgen gar nicht wirklich aufklären, nachdem alles auf einen Pentagon-Insider hinwies. Dann schoss man sich trotz praktisch nicht vorhandener Weise auf den aus Südafrika stammenden Mikrobiologen Hatfill ein, der in Fort Detrick gearbeitet hatte. Das Justizministerium musste 2008 schließlich Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe an Hatfill wegen der falschen Beschuldigung bezahlen. Um schnell einen erneuten Schuldigen präsentieren zu können, wandte man sich dann dem Mikrobiologen Bruce Ivins zu, der seit Jahrzehnten beim Pentagon gearbeitet und sich mit Milzbrand und Ebola beschäftigt hat.
Ivins beteuerte seine Unschuld und nahm sich das Leben, nachdem man ihn, seine Familie und Kollegen verhört, sein Auto mit einem GPS-Sender ausgestattet, seinen Arbeitsplatz, sein Haus und seinen Abfall durchsucht hatte. Ivins muss ein schrulliger Mann gewesen sein. Er stand in psychologischer Behandlung, hatte in Therapiesitzungen Morddrohungen geäußert und eine Sozialarbeiterin bedroht. Nachts unternahm er mitunter lange Autofahrten und verschickte unter falschem Namen Briefe und Päckchen auch an Politiker und Medien. Er besaß eine große Sammlung an Bildern von Frauen mit verbundenen Augen und war von der Verbindung Kappa Kappa Gamma fasziniert. Zudem habe man 2007 die Milzbrandsporen durch eine DNA-Analyse auf sein Laboratorium zurückverfolgen können, wo 2001 die sogenannten Ames-Sporen RMR-1029 gewesen sein sollen und wo Ivins in den Tagen vor dem Versenden der Briefe entgegen seiner Gewohnheit auch Nachts alleine gearbeitet haben soll. Sein Verhalten habe er nicht angemessen erklären können, um den Verdacht zu widerlegen.
Ivins, so heißt es, habe praktisch als einziger die Möglichkeiten, an die Ames-Sporen heranzukommen und sie zu lagern. Zudem gebe es ein Motiv, er sei nämlich enttäuscht gewesen, weil die von ihm mit entwickelte Impfung gegen Milzbrand vor allem nach dem ersten Golfkrieg unter Kritik geraten sei und sein Forschungsprogramm kurz vor dem Abbruch gestanden haben soll. Psychisch sei er ein zur Gewalt neigender Psychopath gewesen, ein "man driven by obsessions". Das FBI vermutet, dass Ivins in den Briefen DNA-codierte Botschaften wie TTT AAT TAT versendet habe, mit denen er entweder auf einen Kollegen oder eine Abneigung gegen New York verwiesen haben soll (allerdings sind nur zwei der fünf Briefe an Adressen in New York gegangen).. Darauf soll sein Interesse an Douglas Hofstadters "Gödel, Escher, Bach" hingewiesen haben. Mit dem Buch hatten FBI-Fahnder 2007 einmal Irvin beobachtet:
Within the text of the anthrax letters, there were instances where the letters “A” and “T” were bolded, suggesting that the letters contained a hidden code. Dr. Ivins was fascinated with similar codes and hidden messages. Dr. Ivins was particularly fond of a book dealing extensively with coded messages, including codes conveyed in bolded letters and codes involving the letters "A" and "T" – both of which letters are significant in genetics. Dr. Ivins made efforts to hide this book from investigators.
Aus dem Abschlussbericht
Damit wurde offenbar einige Zeit verbracht. Aus der angeblichen Botschaft TTT AAT TAT holen die FBI-Experten folgende Entschlüsselungsmöglichkeiten heraus:
TTT = Phenylalanine (single-letter designator F)
AAT = Asparagine (single-letter designator N)
TAT = Tyrosine (single-letter designator Y)From this analysis, two possibile hidden meanings emerged: (1) “FNY” – a verbal assault on New York, and (2) PAT – the nickname of Former Colleague #2. First with respect to “FNY,” according to numerous witnesses who knew him well, including Former Colleague #1, Dr. Ivins had a deep hatred for New York.
Aus dem Abschlussbericht
Einen wirklichen Beweis wird man in dem Abschlussbericht vergeblich suchen. Es gibt viele mehr oder weniger überzeugende Hinweise, die Ivins verdächtig erscheinen lassen. Weiterhin sind weder Familienmitglieder noch einige Kollegen davon überzeugt, dass er der Täter gewesen sein kann. Kritik an der Einstellung der Untersuchung kommt auch von politischer Seite. So sagte der demokratische Kongressabgeordnete Rush Holt, dass es mit der willkürlichen Beendigung der Untersuchung keinen Schlussstrich geben dürfe. Die National Academy of Sciences untersuche weiterhin die wissenschaftliche Vorgehensweise der FBI. Die von dieser vorgebrachten Hinweise auf die alleinige Täterschaft von Irvine würden in einem Gerichtsprozess nicht standhalten, meinte er.