FDP: Zwergenaufstand im Ampel-Kabinett und Klassenkampf von oben
Laut Umfragen müsste die FDP Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde haben. Stattdessen macht sie auf dicke Hose. Was ist ihr Plan? Ein Kommentar.
Wieder einmal baut sich die FDP vor ihren Koalitionspartnern auf, als könnte sie aus dem Streit nur als Sieger hervorgehen. Dabei ist sie nicht nur der kleinste Koalitionspartner, sondern auch der einzige, der laut Umfragen ernsthaft befürchten müsste, aus dem Bundestag zu fliegen, wenn er am nächsten Sonntag neu gewählt würde.
Ampel-Krach: Will die FDP die Scheidung – oder Unterwerfung?
Nun will sie allem Anschein nach ihr marktradikales Profil noch einmal schärfen, während SPD und Grüne in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode zielgruppengerecht wenigstens ein bisschen sozial und ökologisch wirken wollen. So können sie dem FDP-Vorstoß nicht einfach zustimmen.
Die Unionsparteien als bundesweit stärkste Kraft sind dagegen begeistert über die "Scheidungsurkunde für die Ampel", wie CSU-Chef Markus Söder das Beschlusspapier der FDP zur "Beschleunigung der Wirtschaftswende" am Wochenende genannt hat. Wer als Sozialdemokratie oder als Ökopartei firmiert, kann sich dieses Programm jedenfalls nicht aufs Auge drücken lassen, ohne bei Wahlen von der eigenen Zielgruppe abgestraft zu werden.
FDP-Sanktionspläne: Ein-Euro-Jobs oder Null-Diät
Das Zwölf-Punkte-Papier sieht unter anderem die Abschaffung der abschlagsfreien Rente ab 63 für langjährig Versicherte vor – und verschärfte Sanktionen beim Bürgergeld, wenn "zumutbare Arbeitsangebote, auch sogenannte Ein-Euro-Jobs" nicht angenommen werden.
Von "einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent" bis zur "vollständigen Streichung von Leistungen" soll dann alles möglich sein, bisher ist die vollständige Streichung des Bürgergeld-Regelsatzes "nur" für zwei Monate möglich – diese Regelung ist aber als Teil des Sparpakets zur Bewältigung der Haushaltskrise auf zwei Jahre befristet.
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Damit sind SPD und Grüne schon hart an die Schmerzgrenze ihrer gefühlt immer noch irgendwie linken Nachwuchsorganisationen Jusos und Grüne Jugend gegangen – nicht zum ersten Mal.
Die FDP will weit darüber hinaus. Die Bild fasste dieses Vorhaben mit den Worten "Kein Bürgergeld für Faulenzer" zusammen – aber ob es die FDP mit solchen Forderungen schafft, größere Teile der arbeitenden Bevölkerung, die dadurch auch erpressbarer wird und mehr Angst vor dem Jobverlust haben muss, für sich einzunehmen, ist mehr als fraglich.
Überstunden und Arbeitsdichtung statt gute Arbeit für alle?
Davon abgesehen will die FDP aber "steuerliche Vorteile für Überstunden", was nicht gerade dazu beitragen würde, dass mehr sozialversicherungspflichtige Jobs entstehen – falls Vollzeitkräfte für die Mehrarbeit nicht zu ausgepowert sind.
Die Förderung Erneuerbarer Energien will die FDP "schnellstmöglich beenden" und das deutsche Lieferkettengesetz aussetzen, bis EU-Richtlinien entsprechende Mindeststandards erzwingen.
Im Grunde zeigt die FDP, die im Wahlkampf 2021 noch soziale gegen ökologische Interessen ausgespielt hat, mit diesem Papier allen einen Stinkefinger, denen Umwelt und Soziales nicht gleichermaßen egal sind.
Wirtschaftsliberale Kampfansage an die Lohnabhängigen
Diese Partei betreibt ungeniert Klassenkampf von oben und vertritt die Interessen einer privilegierten Minderheit, die finanziell "ausgesorgt" hat, wenn auch häufig nicht aus eigener Kraft, sondern durch Erbschaften. Für alle anderen ist sie gefährlich und gibt sich auch kaum noch Mühe, das zu verbergen.
Das "Wirtschaftswende"-Papier ist eine Kampfansage an Lohnabhängige, nicht nur an junge, die mehr Freizeit wollen, sondern gerade auch an ältere, die seit Jahrzehnten arbeiten und es vielleicht nicht bis zum regulären Rentenalter schaffen.
Keine Freiheit ohne "Fuck You Money"
Auch für kleine und Solo-Selbständige, die bei schlechter Auftragslage besonders schnell in den Bürgergeld-Bezug rutschen können, bedeuten diese Pläne nichts Gutes. Die Drohung der FDP an alle, die außer ihrer Arbeitskraft nicht viel zu verkaufen haben, heißt: Schwächelt bloß nicht und stellt keine Ansprüche, sonst geht es euch an den Kragen.
So kann man "Freiheit" natürlich auch definieren. Ohne "Fuck You Money", also entsprechend hohe Rücklagen, ist diese Freiheit ungenießbar.
Der Druck auf den Preis der Ware Arbeitskraft
Solche Rücklagen müssen aber in Ermangelung reicher Verwandtschaft erst einmal gebildet werden, was umso schwieriger wird, wenn der Preis der Ware Arbeitskraft im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten sinkt; und dazu dürften die FDP-Pläne im Fall ihrer Umsetzung massiv beitragen, weil sie die Verhandlungsposition von Arbeitssuchenden weiter schwächen würden.
Die Frage ist: Was will die FDP als kleiner "Königsmacher" der Ampel-Koalition mit diesem Vorstoß erreichen? Glaubt sie, dass SPD und Grüne letztendlich doch nachgeben, um bis zum Ende der Legislaturperiode an den Fleischtöpfen der Macht zu bleiben, weil bei vorzeitigen Neuwahlen sehr wahrscheinlich die Unionsparteien den Kanzler stellen würden?
Zustimmungswerte der FDP mehr als halbiert
Und: Würde die FDP kein bisschen dumm schauen, wenn sie selbst am Ende nicht mal mehr im Bundestag vertreten wäre? – Aktuell steht sie in Umfragen bei rund fünf Prozent und hat damit ihre Zustimmungswerte von 2021 mehr als halbiert.
An Rückhalt verloren haben zwar alle drei Ampel-Parteien seit der letzten Bundestagswahl – aber erstaunlicherweise die Grünen am wenigsten, obwohl vor allem sie in öffentlichen Debatten in der Kritik stehen – teilweise aus guten Gründen, auch und gerade gemessen an ihrem eigenen Anspruch.
Machtspiele der FDP auf Kosten grüner Versprechen
Die Kritik von rechts ist jedoch von vornherein gegen den ökologischen Anspruch gerichtet und oft so unsachlich und unter der Gürtellinie, dass sie im "Mitte-Links-Spektrum" eher zur Solidarität mit den Grünen führt – ihnen wird dann zum Teil trotz großer Enttäuschung die Treue gehalten. Durch aggressive Verbalattacken von rechts oder hämische Artikel in rechtsoffenen Mainstream-Medien dürften die Grünen jedenfalls kaum Stimmen verlieren.
Außerdem können sich die Grünen darauf berufen, von der FDP unter Druck gesetzt worden zu sein. Schon in den Koalitionsverhandlungen waren schließlich die Rollen verteilt: Die FDP wollte kein Tempolimit. Basta.
Anschlussverwendung nach Karenzzeit mit Übergangsgeld
Aus dem Bundestag zu fliegen, würde für die FDP-Granden aber keine harten Einkommensverluste bedeuten, da sie erst einmal weiter Steuergeld beziehen könnten und sich bei Großkonzernen durchaus beliebt gemacht haben.
Nach einer Amtsperiode als Minister steht ihnen für zwei Jahre ein großzügiges Übergangsgeld zu – und die Karenzzeit, in der gut bezahlte Posten in der Privatwirtschaft nicht nach Belohnung für politische Gefälligkeiten im Ministeramt riechen dürfen, beträgt maximal 18 Monate, wenn sonst "öffentliche Interessen schwer beeinträchtigt" wären.
Bei "möglicher Beeinträchtigung öffentlicher Interessen" sind es nur zwölf Monate. Beides lässt sich dank Übergangsgeld bequem mit einem "Sabbatical" und Hinterzimmergesprächen überbrücken.
Minister und auch Abgeordnete mit FDP-Parteibuch dürften danach gut vermittelbar sein. Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der gerade so selbstbewusst mit dem "Ampel-Aus" drohte, falls an der Schuldenbremse gerüttelt wird, kann zwar mit Blick auf Bahnverkehr und Klimaziele als Arbeitsverweigerer bezeichnet werden – aber aus der Sicht der Autoindustrie kann es schon sein, dass er einen guten Job macht.
Warum die Autoindustrie der FDP dankbar sein kann
Für ihn hat der Autobahnausbau und überhaupt der motorisierte Individualverkehr Priorität. Den Taktfahrplan für die Deutsche Bahn hat er auf das Jahr 2070 verschoben, in dem er selbst 100 Jahre alt wird – und wenn die FDP bis dahin mitregieren würde, wäre durchaus möglich, dass er noch einmal verschoben werden müsste, während der motorisierte Individualverkehr noch mehr Ressourcen verschlingt, die Ökosysteme kollabieren und abgestürzte Flugtaxis die Unfallstatistik bereichern.
Denn auch für Flugtaxis hat Wissing ein Herz – ein entsprechendes Start-up ist ihm 150 Millionen Euro wert, wenn auch nicht von seinem Geld, sondern von unserem.
Oder die FDP regiert eben nicht mit – und ihre Granden sitzen dafür gut bezahlt in den Zentralen von Konzernen, denen es fast (!) egal ist, wer unter ihnen regiert. Die Alternative wäre ein Demokratiemodell, in dem die Macht der Konzerne gebrochen wird, aber das wäre ja aus FDP-Sicht eine Diktatur.
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