Fachkräftemangel im Handwerk: Zuckerwort und Peitsche
Eine gutgemachte Imagekampagne soll die Wertschätzung für Handwerksberufe steigern, um junge Menschen dafür zu gewinnen. Doch der Präsident Zentralverbands wünscht sich auch mehr Druck auf Erwerbslose
Erst seit wenigen Wochen läuft eine Plakatkampagne, mit der der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) dem Fachkräftemangel begegnen und Handwerksberufe für junge Menschen attraktiver machen will. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Image: "Was gegen Handwerk spricht? - Meine Akademikereltern", steht neben dem Bild einer jungen rothaarigen Frau. "Dabei gibt es nirgendwo mehr erfolgreiche Startups als im Handwerk. Hier stimmt was nicht", erklärt die "Wirtschaftsmacht von nebenan" dazu.
Teils berechtigte Kritik am Bildungsbürgertum
"Die meisten Kinder wollen irgendwann mal was mit Handwerk machen. Bis Erwachsene sich einmischen", heißt es zum Foto eines Jungen im Grundschulalter. Auf einem weiteren Plakat wird der momentan größten Jugendbewegung ins Gewissen geredet, weil auch Fachkräfte für den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien fehlen: "Fürs Klima auf die Straße, aber nicht ins Handwerk?"
Eine Stärke der Kampagne ist, dass sie den Standesdünkel bildungsbürgerlicher Familien auf die Schippe nimmt: "Unsere Kinder lernen, mit dem Kopf zu arbeiten. Mit den Händen arbeiten sollen andere."
Mehr Wertschätzung ist gefragt. Nur um einen offensichtlichen Grund für den Fachkräftemangel in Deutschland bleibt es hier merkwürdig still: Um die eher bescheidenen Löhne in manchen Berufen, die körperlich anstrengend und vielfach nicht bis zum regulären Rentenalter durchzuhalten sind.
Rund eine Viertelmillion Fachkräfte fehlen nach Angaben des Zentralverbands. Besonders betroffen seien der Baubereich und das Baunebengewerbe sowie die Bereiche Sanitär-Heizung-Klima, Elektro- und Lebensmittelhandwerk, hieß es im Frühjahr, als die ARD-tagesschau von einem "Überbietungswettbewerb der Firmen im Kampf um Personal" berichtete. In Kleinbetrieben liegen aber die Brutto-Jahresgehälter im Durchschnitt bei rund 36.000 Euro.
Was davon netto übrigbleibt, ist in Zeiten der Energiekrise nicht viel, vor allem nicht, wenn davon Kinder mitzuversorgen sind. Dass es zur Behebung des Fachkräftemangels vielleicht auch finanzielle Anreize braucht, will der Zentralverband des Deutschen Handwerks allerdings nicht so verstanden wissen, dass signifikant höhere Löhne gezahlt werden sollten.
Bequemes Leben mit 502 Euro im Monat?
Stattdessen findet der Präsident des ZDH, Hans Peter Wollseifer, das Hartz-IV-Nachfolgemodell "Bürgergeld" für Erwerbslose noch viel zu komfortabel. Dies werde dazu führen, "dass sich für mehr Menschen als bisher das Nicht-Arbeiten mehr lohnt als das Arbeiten", sagte Wollseifer der Rheinischen Post. Als Gründe nannte er unter anderem den "Wegfall von Sanktionen, die deutliche Anhebung des Regelsatzes" auf 502 Euro im Monat für alleinstehende Erwachsene und "die komplette Übernahme der stark gestiegenen Heizkosten".
Das sorge "für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten", argumentiert er. Dass auch Lebensmittelpreise massiv steigen und mit 502 Euro vor diesem Hintergrund keine großen Sprünge zu machen sind, scheint ihm entgangen zu sein: Nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle müsste eine armutsfeste Grundsicherung mindestens 678 Euro betragen. Wenn Vollzeitarbeitskräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung schlechter dastehen, dürfen sich die jeweiligen "Arbeitgeber" über den Fachkräftemangel nicht wundern.