Fadenscheiniger Leitfaden
Die Content-Industrie will Schüler mit dem rechtlich zweifelhaften Flyer "Legal, sicher und fair" in ihrem Sinne beeinflussen
Auf der Website u.a. des Bundesverbands Musikindustrie e.V. wird eine PDF-Version eines suggestiven "Leitfadens für Eltern und Lehrer" zum Download angeboten, der Halbwahrheiten über das Urheberrecht propagiert. Das ominöse Pamphlet, das Schüler zu botmäßigem Umgang mit Urheberrechten im Internet disziplinieren soll, verkörpert stellenweise Realsatire, so dass man fast den Eindruck gewinnen könnte, es handele sich um ein von Hackern untergeschobenes Kuckucksei.
Die Broschüre warnt vor dem Download von Dateien fragwürdigen Ursprungs, jedoch bleiben ausgerechnet auch die Autoren selbst anonym ... Durchgängig unken die unbekannten Ratgeber, beim Herunterladen von Dateien sei mit Viren und Schadware zu rechnen, dabei beinhaltet die Datei "Legal, sicher und fair" selbst eine Art trojanisches Pferd: Denn im Impressum dieses offenbar im Eigenverlag produzierten Flyers fehlt die nach § 7 Abs. 1 Berliner Pressegesetz bzw. § 55 Abs. 1 Nr. 2 RStV bzw. § 5 Abs. 1 Nr. 1 TMG vorgeschriebene Angabe des Verfassers bzw. Vertretungsberechtigten des Vereins ("juristische Person"). Das Verteilen des ggf. (aus)gedruckten Flyers wäre demnach als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Man soll halt nicht alles aus dem Netz herunterladen ...
Unterstellt, das Pamphlet sei echt und ernst gemeint, so handelt es sich um einen dreisten bis naiven Versuch von Desinformation, der einen gewissen Aufschluss über das Gemüt im Lager der in die Kritik geratenen Verwertungsindustrie erlaubt. Im einzelnen:
Verwerterrecht ist "Nichturheberecht"
Auf S. 4 zählen die anonymen Autoren brav auf, wen das Urheberrecht denn so alles schütze: natürlich die Kreativen. Und, äh, ja, auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verlagen, Agenturen, Film- und Tonträgerherstellern oder Rundfunkanstalten. Mehrfach ist die Rede von "fairer Entlohnung der Kreativen". Die Nutzung legaler Seiten stelle eine "faire Bezahlung der Kreativen sicher" (S.14). Rührend!
Der Umstand, dass etwa die Musikindustrie die Künstler regelmäßig über den Tisch zieht und die Kreativen nur mit ca. 4% des Verkaufspreises eines Tonträgers beteiligt, wird nicht mitgeteilt. Ebenso wenig, dass bei Kinofilmen die wesentliche Auswertungsphase nach Kino-Verleih, Videothek, DVD-Verkauf und TV-Erstausstrahlung nach ca. drei Jahren abgeschlossen ist. Was danach noch an diesen Werken verdient wird, kommt den Künstlern, die längst honoriert und oft genug durch Rechte-Buyout ausgebeutet wurden, praktisch gar nicht zugute.
Die Datenträger-Verwerter, die das Internet fürchten, sind unkreative Unternehmer, die zum Kunstwerk bestenfalls einen Bezug haben wie ein Aktionär zum Unternehmen. Es geht in Wahrheit also um Geld für Nichturheber. Viele selbst ernannte Kommentatoren wie etwa Sven Regener haben nicht verstanden, dass mit "Urheberrecht" in Wirklichkeit meistens Verwertungsrecht gemeint ist. Nicht einmal die 51 Tatort-Theoretiker vermochten diesen überschaubaren Fall zu lösen, sondern kombinierten sich Unsinn zusammen.
Äpfel und Birnen
"Illegale Downloads sind genauso schlimm wie Ladendiebstahl" krakeelt der juristisch schwach beratene Flyer. Es sei zum Teil "mit ernsthaften Strafen zu rechnen". Mumpitz. Im Gegensatz zum Ladendiebstahl, der regelmäßig zu einem Strafermittlungsverfahren führt, werden Urheberrechtsverletzungen im privaten Bereich praktisch nicht mehr verfolgt und als Kavaliersdelikte behandelt. Auch Staatsanwälte möchten ihren Kindern, Freunden und Eltern in die Augen sehen können und nutzen ihre Zeit lieber sinnvoller. Die Filesharingfälle haben für Privatleute praktisch nur zivilrechtliche Bedeutung.
Der Vergleich einer Kopie mit dem Diebstahl einer fremden, beweglichen Sache hinkt, denn das Original ist nach wie vor da, der Besitzer eines Originals wird also nicht geschädigt. Auch dem Urheber bzw. Rechteinhaber wird kein - wie es häufig heißt - "geistiges Eigentum" gestohlen, sondern allenfalls eine Verwertungschance genommen. Es ist allerdings unbewiesen und sogar eher unwahrscheinlich, dass die Verwertungsform "Download" die konventionelle Auswertung etwa von Kinofilmen schädigt. Im Gegenteil wird bisweilen sogar das Interesse von neuen Konsumenten geweckt. Auch die Tonträger-Industrie mit ihrem anachronistischen Geschäftsmodell übertreibt maßlos.
Schadware
Der Flyer wiederholt mantraartig die Warnung vor irgendwelchen Viren, Spyware, Phishing, mit denen anonym gehostete Dateien verseucht seien. Und mit Abzockseiten sei zu rechnen (also anderen als denen der Content-Industrie). Herzlich willkommen im Internet, liebe anonyme Autoren! Und was Schüler nach Meinung der Broschüre offenbar beträfe, sei der Missbrauch von Kreditkarten. Und natürlich darf auch die Warnung vor Kinderpornographie nicht fehlen, die ja bekanntlich das Internet geflutet hat - falls man Frau von der Leyen und Baroness zu Guttenberg für seriöse Quellen hält.
Die geheimnisvollen Autoren bieten als Lösung technische Kontrollen und Sperren an, indem sie den Eltern empfehlen, an Rechnern für ihre Kindlein beschränkte Zugriffsrechte einzurichten. Ob dies pädagogisch sinnvoll und zielführend ist, soll hier nicht vertieft werden. Aber wäre es bei dieser Logik nicht weitaus dringender, auch die legalen Informationskanäle wie Privatfernsehen und Teile des öffentlich-rechtlichen Programms zu blockieren, die Kinder verblöden? Wer versucht, das Internet mit irgendwelchen Infrastrukturen zu zensieren, hat offensichtlich weder technischen noch psychologischen Sachverstand. Bei Jugendlichen, die keine Wege finden, solche Sperren zu umgehen, müssten sich Eltern im Gegenteil ernsthaft Gedanken über deren geistige Entwicklung machen.
Raubkopierer sind Verbrecher ...
Die altklugen Autoren geben ungebeten wie unqualifiziert Rechtsauskunft darüber, ob das Nutzen von Streaming-Angeboten erlaubt sei. Sie räumen immerhin ein, dass eine höchstrichterliche Klärung noch ausstehe und die "Juristen unterschiedliche Auffassungen vertreten". Strafen seien möglich. Um die feinsinnige juristische Diskussion hier mal abzukürzen: Wenn es zur ersten Verurteilung eines Streamguckers kommen sollte, schickt der Autor persönlich an die GVU, welche diesen Flyer mitträgt, eine Riesenflasche Champagner Moët Chandon.
Besonders gewarnt wird vor Filmportalen mit der Endung ".to", von denen die weltfremden Schüler bestimmt noch nie gehört haben und daher dringender Aufklärung bedürfen. Auch Namensbestandteile wie "Pirat" scheinen der Moral abträglich zu sein. Und auch bei Links in Blogs ist Misstrauen angesagt: "Nur in wenigen Fällen werden digitale Inhalte legal über Blogs zur Verfügung gestellt." Wirklich?
Vor allem Filesharing ist den Autoren ein Gräuel. Wer "Fernsehsendungen" auf diese Weise illegal hoch- oder runterlädt, soll mit "gravierenden Strafen" zu rechnen haben. Auch diese Rechtsauskunft ist wohl etwas vollmundig. Besonders geduldig ist das Flyerpapier bei der Behauptung, ein Anschlussinhaber sei über die IP-Adresse leicht ermittelbar, denn zur häufig behaupteten Zuverlässigkeit und Eindeutigkeit gibt es unterschiedliche Auffassungen.
"Elter haften für ihre Kinder"
Nach dem Horrorszenario mit dem Knast legen die Autoren noch eins drauf und drohen mit Sippenhaft: "Erklären Sie Ihren Kindern, welche Konsequenzen Ihre Familie gegebenenfalls tragen müsste, wenn sie illegale Inhalte herunterladen oder geschützte Werke im Netz verbreiten." Es sei mit Kosten für anwaltliche Abmahnungen zu rechnen. Dass diese Abmahnpraxis in vielerlei Hinsicht umstritten ist, war den Autoren keine Zeile wert. Die angebliche Haftung der Eltern für ihre Kinder ist dann wohl doch ein bisschen komplizierter.
Und immer wieder lauert diese böse "Abofalle"! Sich aufdrängende Hinweise über die Rechts(un)wirksamkeit von solchen Geschäften mit Minderjährigen haben sich die Autoren ebenfalls gespart. Wozu auch? Denn der Flyer weiß selbstlos Rat und verweist downloadwillige Mitmenschen auf legale, kommerzielle Portale - an denen sich die Geldgeber der Broschüre im Schlaf dumm und dämlich verdienen.
Propaganda im Lehrplan
Das Pamphlet enthält "Tipps für Lehrer", die das Thema Urheberrecht in diversen Fächern ansprechen sollen - darunter sogar ausdrücklich "Religion". In der Tat wäre das Thema einer Diskussion zwischen Lehrern und Schülern nicht ohne Charme. An etlichen Schulen wird die Auflage aus § 46 UrhG, mitgeschnittene Schulfunksendungen spätestens am Ende des auf die Übertragung der Schulfunksendung folgenden Schuljahres zu löschen oder Vergütung zu zahlen, traditionell ignoriert, denn nicht alle Pädagogen sind auf den Kopf gefallen. Durch die Diskussion hätten auch die Lehrer eine faire Chance, von ihren Schülern über die Realität des Urheberrechts im Internet informiert zu werden und interessante Inhalte zu finden. Als Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht im digitalen Zeitalter ist die angebotene Broschüre "Legal, sicher und fair" jedoch wohl eher ungeeignet.
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