Faeser-Plan: Was Vermieter nicht fragen dürfen, erzählt ihnen der Geheimdienst
Klappt Deradikalisierung, wenn der Wahrheitsgehalt von Verschwörungstheorien steigt? Die Ministerin könnte gleich doppelt falsch liegen. Ein Kommentar.
"Verfassungsschutz, guten Tag! Wissen Sie eigentlich, was ihr Mietinteressent politisch so macht?" - "Ach, was denn?" - "Also, jetzt nichts, wofür man ihn einsperren könnte, jedenfalls nicht, dass wir wüssten – aber ein Extremist ist das schon, das sollten Sie wissen, bevor sie den einziehen lassen."
So oder so ähnlich scheint sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) neue Maßnahmen zur "Deradikalisierung" vorzustellen. Wer sich nach Einschätzung der Behörden radikalisiert hat, soll Druck bekommen, den das Strafrecht nicht hergibt. Dazu will Faeser die Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes ausweiten.
Im Gesetzentwurf ihres Ministeriums für eine Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes, den das Kabinett bereits gebilligt hat, ist in § 20 verklausuliert von "Übermittlung" solcher Informationen über mutmaßliche Extremisten "an inländische Stellen" die Rede. Gemeint sind hier wohl auch private "inländische Stellen", denn um öffentliche geht es ausdrücklich in anderen Paragraphen.
Laut Gesetzestext geht es darum, die Betroffene "a) zu deradikalisieren oder b) in ihren Bestrebungen oder Tätigkeiten durch gefährderbezogene Maßnahmen sowie die Gestaltung und Überwachung von Strafvollzug und Führungsaufsicht zu beschränken." Im November soll der Bundestag darüber abstimmen.
Allerdings gibt es Gegenwind innerhalb der Koalitonsfraktionen, während Unions-Abgeordnete dafür sind. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz hält Faesers Entwurf für "juristisch so schlicht nicht haltbar", wie er vergangene Woche im Bundestag sagte.
Nach Ansicht von Fachleuten wird damit dem Inlandsgeheimdienst ermöglicht, Vermieter, Arbeitskollegen, Familienmitglieder oder Bekannte anzusprechen und diskret auf den Extremismusverdacht gegen die Zielperson hinzuweisen, solange es irgendwie der "Deradikalisierung" diene, oder irgendwie helfe, "das Gefährdungspotenzial zu reduzieren".
So würde "die Rolle, die der Verfassungsschutz in unserer Gesellschaft hat, ziemlich grundlegend ausgeweitet", zitierte die Süddeutsche Zeitung vergangene Woche den Jura-Professor Mark Zöller, der an der Ludwig-Maximilians-Universität in München das Recht der inneren Sicherheit lehrt
Mehr Macht für Agenten und Immobilienbesitzer
Das ist aber nur eine Seite des Problems. Abgesehen davon, dass Mitarbeiter des Verfassungsschutzes selbst nicht immer Musterdemokraten sind, könnten durch die geplante Regelung auch Privatpersonen mit ökonomischer Macht, die nicht einmal der Form halber auf das Grundgesetz vereidigt wurden – zum Beispiel Vermieter – mitentscheiden, wie sich die "Deradikalisierung" für Betroffene konkret gestaltet.
Dass der Amtseid auch beim Inlandsgeheimdienst fantasievoll ausgelegt wird, zeigt das Beispiel seines früheren Präsidenten. Nur wenige Eingeweihte wissen, welche Spuren die Radikalisierung von Hans-Georg Maaßen in der Behörde hinterlassen hat. Maaßen ist inzwischen wegen seiner Kontakte zur Reichsbürger-Szene selbst ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten, könnte beim Inlandsgeheimdienst aber auch noch seine Seilschaften haben.
Wenn Personal, das unter Maaßen im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingestellt wurde, "Linksextremismus" so definiert, wie er es tut, dann könnten Linke bald schon bei Vermietern angeschwärzt werden, wenn sie die Ansichten des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow teilen.
Dessen Überwachung wurde dem Verfassungsschutz 2013 vom höchsten deutschen Gericht verboten, aber Maaßen machte erst vor wenigen Tagen wieder deutlich, dass er Ramelow nach wie vor als gefährlichen Linksextremisten sieht.
Unfreiwillig sagt Maaßen damit wohl mehr über seinen eigenen Platz im politischen Koordinatensystem aus. Auch einigen seiner CDU-Parteifreunde ist er inzwischen deutlich zu rechts; ein Ausschlussverfahren ist aber gescheitert. Aktuell fordern Politikerinnen der Partei Die Linke einen Untersuchungsausschuss zu seiner Amtsführung.
Was hinzukommt, ist aber, dass es von der Willkür und der politischen Einstellung von Menschen mit ökonomischer Macht abhängen würde, ob den Angeschwärzten tatsächlich Nachteile aus der Denunziation erwachsen oder nicht.
Vermieter sollen vom Inlandsgeheimdienst Informationen bekommen, nach denen sie aus guten Gründen nicht fragen dürfen – und sie können dann mit diesen Informationen anfangen, was sie wollen.
Bei der Wohnungsbesichtigung, im Vorstellungsgespräch oder in entsprechenden Fragebögen ist es in der Regel unzulässig, nach der politischen oder religiösen Überzeugung sowie auch allgemein nach Vorstrafen zu fragen – Bewerberinnen und Bewerber dürfen sogar bewusst lügen, wenn sie trotzdem nach politischen Ansichten gefragt werden und den Eindruck haben, dass ihr Gegenüber ein ganz anderes Weltbild hat.
Ausnahmen gelten nur bei konfessionellen oder parteipolitischen Arbeitgebern – oder wenn eine kirchliche Einrichtung Räume vermietet.
Deradikalisierung geht anders
Zu guter Letzt stellt sich aber auch die Frage, ob der gewünschte Deradikalisierungseffekt überhaupt zu erwarten ist, wenn jemand eine Mietwohnung im letzten Moment doch nicht bekommt oder von Arbeitskollegen plötzlich komisch angeschaut wird.
Gerade Verschwörungstheorien gelten in staatstragenden Kreisen als Ausdruck und Motor von Radikalisierungsprozessen. Eine Deradikalisierung könnte also eher schlecht funktionieren, wenn den mutmaßlich Radikalen auch noch ein handfester Grund für die Annahme gegeben wird, dass in ihrem Leben Dinge schieflaufen, weil verborgene Mächte im Hintergrund wirken.
Der Inlandsgeheimdienst agiert in diesem Fall als verborgene Macht, auch wenn Faeser dafür ganz offiziell eine gesetzliche Grundlage schaffen will. Allein das Wissen um diese Möglichkeit kann die Meinungsfreiheit einschränken. Betroffene wissen nicht mit Sicherheit, ob sie betroffen sind, oder können es nicht beweisen – es sei denn, Vermieter oder Kollegen lassen es sie in der einen oder anderen Form wissen.
Das kann auch mal nach hinten losgehen: Angenommen, der Verfassungsschutz weiß nichts von der rechtsextremen Gesinnung eines Vermieters oder Arbeitgebers, weil dieser nicht auf Demos geht und bei Facebook unter Pseudonym gerade noch am Rande des Erlaubten kommentiert – dann bewirkt der Geheimdienst mit dem Hinweis auf einen Neonazi unter den Bewerbern vielleicht sogar, dass dieser bevorzugt wird.
Schließlich sind Menschen mit ökonomischer Macht nicht von Haus aus gute Demokraten.