Failed State BRD

Seite 2: Verwilderung des Staates?

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Dieser jüngste Skandal um eine mutmaßliche rechtsextreme "Schattenarmee" im Umkreis des KSK reiht sich in eine immer länger werdende Serie von rechten Skandalen im bundesrepublikanischen Staatsapparat, die auf dessen krisenbedingt einsetzende "Verwilderung" hindeuten.

Hierunter ist der zunehmende Einfluss und die zunehmende Autonomie von Rackets und Seilschaften zu verstehen, die ihre jeweils eigenen Interessen innerhalb der staatlichen Machtstrukturen verfolgen und die Machtmittel des Staates als eine bloße Ressource für ihre Partikularinteressen benutzen. Der Staat wird zur bloßen "Beute" von Rackets.

Die Bundesrepublik als ein "Failed State"? Diese Vorgänge, bei denen staatliche Militärkräfte ein Eigenleben entwickeln, erinnert selbstverständlich an die Staatszerfallsprozesse, wie sie in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems sich voll entfalten.

Selbstverständlich sehen sich die rechtsextremen Akteure, die sich in solchen Killertruppen organisieren, als die großen "Retter" eines rassereinen, nur noch als nationalsozialistisches Hirngespinst existierenden Deutschlands. Doch ein ähnlicher Wahn, die ethnisch homogene Heimat zu "retten", trieb beispielsweise auch die faschistischen Milizen beim Putsch in der Ukraine an, der das Land in den Zerfall und Bürgerkrieg führte.

Die von der neuen deutschen Rechten massiv geschürte Angst vor dem "Bürgerkrieg", der durch Flüchtlinge eingeschleppt werden soll, ist eine rechtsextreme Projektion: Gerade an der Schnittstelle zwischen der rechten Szene und reaktionären Kräften im Staatsapparat scheint man mit Verve den Bürgerkrieg zu forcieren. Die braune Staatsfraktion in der Bundesrepublik scheint entschlossen, in Reaktion auf die zunehmenden Krisentendenzen auf die faschistische Karte zu setzen.

Verfilzung zwischen Staatsmacht und der Neuen Rechten

Nicht nur in Sachsen, wo inzwischen Polizeischüler die Ausbildung abbrechen, die den allgegenwärtigen Rassismus nicht teilen, scheint die Verfilzung zwischen Staatsmacht und der Neuen Rechten weit vorangeschritten. Eine Fülle von Vorfällen, die angesichts der Rolle der Staatsmacht bei den Ausschreitungen in Chemnitz öffentlich thematisiert wurden, deutet auf eine massive Überschneidung zwischen rechter Szene und rechten Kreisen im Staatsapparat.

Die rechte Terrorgruppe Freital soll von sächsischen Polizisten 2015 vor Razzien gewarnt worden sein, Informationen aus dem Staatsapparat gelangten in die rechte Szene - und spätestens der berühmte Hutbürger des LKA-Sachsen machte die rechten Sympathien in Teilen eines Polizeiapparates deutlich, der sich immer nur dann "überfordert" sieht, wenn der rechte Mob zu Hetze und Pogrom sich zusammenrottet.

Die Polizei in Berlin wiederum scheint inzwischen ein Fall für Amnesty International zu sein. Die NGO berichtete über Drohbriefe an linke Aktivisten, die allen Anzeichen nach von Berliner Polizisten verschickt worden seien.

Demnach sollen sie in mindestens 18 Fällen Material aus Polizeibeständen, unter anderem Fotos, die von erkennungsdienstlichen Maßnahmen stammen, für einen Drohbrief genutzt haben. Aussagen der Betroffenen zufolge können diese Materialien nur aus Polizeikreisen stammen. In dem Brief wird den Betroffenen gedroht, sensible persönliche Daten unter anderem an rechtsextreme Kreise weiterzuleiten.

Amnesty International

Hinzu kommen die unzähligen, kaum noch zu überblickenden "Einzelfälle" der vergangenen Jahre, in denen weite Teile des bundesrepublikanischen Staatsapparates - angeführt vom Innenminister Seehofer und einem Verfassungsschutzchef, der linksradikale Kräfte in der SPD wittert - klar machten, dass sie auf dem rechten Auge blind bleiben wollen.

Antisemitische Nazidemonstrationen, die von der Polizeikräften unbehelligt bleiben, waffenfuchtelnde AfD-Wahlkämpfer, deren Provokation von der Polizei totgeschwiegen werden, die immer wieder an die Öffentlichkeit gelangende Zurschaustellung faschistischer Gesinnung durch Beamte oder die "Pannen" und "Versäumnisse" bei der Aufklärung rechtsterroristischer Umtriebe, etwa im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex - sie sind längst zur neuen deutschen Normalität geronnen.

Dieser Rechtsdrift des deutschen Staates fand unter einem Innenminister statt, der aufgrund seiner rechtspopulistischen Ausfälle längst von der Neuen Rechten als "einer der ihren" wahrgenommen werde, wie es die Süddeutsche Zeitung formulierte, unter einem Verfassungsschutzchef, der sich unter anderem als Politberater der AfD hervortat.

Das braune Erbe der Bundesrepublik

Zuletzt bemühte sich die New York Times anlässlich der rechten Hetzjagden in Chemnitz, der Frage nachzugehen, wieso es im deutschen Staatsapparat diese rechtsextremen Tendenzen gebe, die nun in konkreten faschistischen Putschplänen - inklusive Massenmord - manifest werden.

Wie sei es etwa möglich, dass ein Verfassungsschutzchef im größten Revolverblatt des Landes anscheinend "Neonazis verteidigt", indem er die Belege für Hetzjagden auf Flüchtlinge zu Fälschungen deklariert? Das Signal, das so an die extreme Rechte gesendet werde, "könne nicht klarer" sein: "Ihr habt Kräfte auf eurer Seite in der staatlichen Bürokratie." Woher kommt also die "rechte Fäulnis im Herzen des deutschen Staates", wie es das meinungsbildende Ostküstenblatt formulierte?

Die New York Times sieht die wichtigsten Ursachen für das "sympathetische" und "symbiotische" Verhältnis von Sicherheitsdiensten und der extremen Rechten in der frühen Geschichte der Bundesrepublik. Der von den amerikanischen Besatzungskräften gegründete Vorläufer des Verfassungsschutzes entwickelte sich schnell zu einem "Magnet für Ex-Nazis und Gestapo-Mitglieder", die an der Verfolgung und dem Verbot der KPD in der Frühphase des Kalten Krieges federführend beteiligt waren.

In den 1960ern seien von ehemaligen SS-Mann und damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hubert Schrübbers bevorzugt ehemalige SS-Leute in den Verfassungsschutz eingeschleust worden, sodass in den 1970ern Sozialdemokraten und Liberale im Verfassungsschutz verstärkt unter Druck und Verdacht gerieten.

Es sei folglich kaum verwunderlich, dass der zu Beginn des 21. Jahrhunderts unternommene Versuch, die NPD zu verbieten, daran scheiterte, dass ein Großteil "der Rechtsorientierung der Partei durch den Staat selber vermittels bezahlter Informanten geformt wurde", so die New York Times. Im Klartext: Der deutsche Staat formte vermittels des Verfassungsschutzes seine eigene rechtsextreme Partei.

Diese Durchsetzung staatlicher Organe mit SS-Leuten und ehemaligen Gestapo-Häschern stellt keine nur für den "Verfassungsschutz" geltende Ausnahme dar. Der bundesrepublikanische Staat ist von ehemaligen Nazis aufgebaut worden. Dies ist keine polemische Überspitzung, sondern nackte, mit empirischen Material belegbare Wahrheit, wie Henryk M. Broder in einem Spiegel-Artikel darlegte, der sich mit einer Studie zu der "unbewältigten Vergangenheit unserer Justiz" beschäftigte:

Im April 1951 beschloß der Bundestag ein Gesetz, das mit seinen späteren Änderungen zur Folge hatte, daß beinahe alle ehemaligen NS-Beamten einen "Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung" hatten und außerdem auch das Recht, ihre Bezüge für die Zeit der Nichtbeschäftigung nachzufordern. Mit dieser Regelung, so Autor Müller, "fanden über 90 Prozent der nach 1945 entlassenen Nazi-Beamten wieder zurück in den Staatsdienst". So wurde die Mitgliedschaft in der NSDAP "faktisch Voraussetzung für die Einstellung in den Öffentlichen Dienst". Überspitzt: Ehemalige Pgs hatten bessere Chancen, übernommen zu werden.

"Knechte des Gesetzes". Wie der Rechtsstaat seine Richter fand, Henryk M. Broder

Diese ehemaligen NSDAP-Mitglieder, die in der Regel wieder im bundesrepublikanischen Staatsdienst Aufnahme fanden, hinterließen somit offensichtlich ihre braunen Spuren im Staat, ihr brauner Ungeist wirkt fort, wie der sich entfaltende Skandal um die KSK nahelegt. In der Bundesrepublik agiert auch heute noch eine Generation von Staatsdienern, die von ehemaligen Nazis in ihrem braunen Ungeist geformt wurde - und die sich ihren Ziehvätern verpflichtet fühlen. Dies gilt gerade für die "Machtministerien" der Bundesrepublik, für den "tiefen Staat" im Gestrüpp der Polizeiapparate und Sicherheitsdienste.

Ihre Ehre heißt Treue - dies gilt etwa für den NS-Blutrichter Hans Filbinger, der vom Schriftsteller Rolf Hochhuth als ein "sadistischer Nazi" bezeichnet wurde. Filbinger machte, nachdem er als Marinerichter Todesurteile gegen Deserteure fällte, eine steile Karriere in der Bundesrepublik, um erst 1979 als Ministerpräsident Baden-Württembergs zum Rücktritt gezwungen zu werden, nachdem seine Tätigkeit als Häscher des NS-Regimes publik wurde.

2007, beim Tod Filbingers, hielt sein "gelehriger Schüler" (Tagesspiegel) Günther Oettinger - ehemals Ministerpräsident Baden-Württembergs, derzeit EU-Kommissar für Haushalt - die umstrittene Trauerrede, in der er den NS-Richter verteidigte.

Wolfgang Schäuble, einer der Architekten der gegenwärtigen reaktionären Wende der CDU, ließ es sich nicht nehmen, allen öffentlichen Protesten zum Trotz von Filbinger öffentlich Abschied zu nehmen.