Fall Amri: Neues Dokument, schwere Vorwürfe gegen das LKA
Der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt hätte wegen "banden -und gewerbsmäßigen Drogenhandels" verhaftet werden können. Angeblich wurden Aktenvermerke zurückdatiert, um Versäumnisse zu verschleiern
Nach Auffassung des Berliner Innensenators Andreas Geisel (SPD) hätte der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt verhindert werden können, ohne mit Vorgaben des Aufenthaltsrechts oder den Prognosemodellen zur Einschätzung der Gefahr zu hadern (vgl. dazu Gravierende Fehleinschätzungen im Fall Amri). Anis Amri hätte laut Geisel vor dem 19. Dezember 2016, dem Zeitpunkt des Anschlags, verhaftet werden können. Gründe dafür lagen vor und sie waren der Polizei bekannt, lautet ein Teil der Vorwürfe des Berliner Innensenators.
In einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz teilte Geisel mit, dass Ermittler des Berliner Landeskriminalamts bei Amri "banden - und gewerbsmäßigen Handel mit Drogen" festgestellt haben. Er sei also nicht nur, wie es bislang verlautbart wurde, als "Kleindealer" geführt worden. Dies gehe aus einem neu aufgetauchten Dokument hervor, das Amri diese Tatbestände im November vorwarf.
Nach Ansicht von Experten hätten diese Erkenntnisse ausgereicht, um bei der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl zu erwirken, erklärte Andreas Geisel.Die Neuigkeiten seien "bedrückend" wird der Innensenator zitiert. Das mag auch darin begründet sein, dass der andere Teil seiner Enthüllungen noch brisanter ist.
Nach bisherigen Kenntnisstand wurde die LKA-Akte über Amri nämlich nachträglich verändert, um möglicherweise Spuren, die auf eine nachlässige Behandlung des Falles verweisen, zu verwischen. Am gestrigen Dienstag sei festgestellt worden, dass eine LKA-Akte mit der Zusammenfassung der Telefonüberwachung Amris von Januar 2017 auf November 2016 zurückdatiert worden sei - "entscheidende Aktenvermerke" seien rückdatiert worden, präzisiert ein Spiegel-Bericht.
Dieser Verdacht habe sich erhärtet, nachdem ein vom Senat eingesetzter Sonderermittler und Ex-Bundesanwalt die "richtigen Fragen gestellt" habe, berichtet der Tagesspiegel. Alles deute darauf hin, dass nach dem Anschlag Vermerke verändert wurden, lautet die Formulierung im Spiegel, der davon berichtet, dass mittlerweile Anzeige wegen Urkundenverfälschung gestellt wurde.
Um welche Aktenvermerke es konkret geht, geht aus den genannten Berichten im Tagesspiegel und im Spiegel nicht hervor. Die Geschichte wechselt an diesem Punkt in Spekulative:
Mehrere Polizisten im LKA werden disziplinarrechtlich überprüft. Eine mögliche Erklärung für die etwaige Manipulation der Akten könnte sein, dass die Beamten den Asylbewerber Amri zwar als Islamisten verfolgten, ihn aber nicht wegen Dealens festnehmen wollten. Möglicherweise hätten Ermittler die Erkenntnisse nicht verfolgt, weil Drogenhandel eben keinen islamistischen Hintergrund habe, sagte Geisel. Im Nachgang sei der Vermerk dann womöglich verändert worden, um die Panne zu verschleiern.Tagesspiegel
Der Bericht der Süddeutschen Zeitung schafft hier etwas Klarheit. Demnach sind dem Berliner Senat am Dienstag zwei Dokumente übergeben worden: der Abschlussbericht der telefonischen Überwachung Amris, der als islamistischer Gefährder beobachtet worden war, wo auch der "Vorwurf des gewerbsmäßigen Drogenhandels notiert ist, der aber keine Konsequenzen hatte", - und ein zweites Dokument, erstellt am 17. Januar 2017, in dem nur noch von kleinen Mengen Drogen die Rede war. Dieses wurde dann anscheinend auf den November 2016 rückdatiert.