Fall Asef N.: Nürnberger Lehren

Seite 2: Deutungskampf über die Vorfälle

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Der öffentliche Deutungskampf über die Vorfälle war denn auch recht heftig. Die übliche Masche, von verletzten Polizisten und brutalen Demonstranten zu reden, half nicht mehr weiter, als die eindeutigen Bilder erst von Hunderttausenden, dann von Millionen gesehen wurden. Man musste andere Kaliber auffahren: In Wirklichkeit habe es sich bei den Schülerinnen und Schülern um Autonome und Linksradikale gehandelt, die, man weiß nicht wie koordiniert, zum Ort des Geschehens geeilt seien, um mal wieder so richtig Randale zu machen.

Erschröckliches Nürnberg! Tag und Nacht stehen autonome Schocktruppen verteilt über die Stadt bereit, um bei Anruf Widerstand zu leisten. Seltsamerweise hatten sie ihr übliches Widerstandsgerät komplett vergessen; Knüppel, Hunde, Schmerzgriffe und Maulschellen hatte nur die Polizei en masse mitgebracht. Die Publicity-Situation wurde prekär, da zog man ein letztes Ass aus dem Ärmel: Asef N. habe bei dem Abschiebeversuch wüste dschihadistische Drohungen ausgestoßen.

Man solle ihn nur abschieben, in einem Monat sei er zurück, um Deutsche zu töten. Ein Geschenk des Himmels! Der angeblich harmlose und gut integrierte Flüchtling war in Wirklichkeit ein Dschihadist kurz vor dem Verüben seiner Verbrechen, quasi ein knapp verhinderter Anis Amri, den zurück nach Afghanistan zu schaffen, schon mal eine polizeiliche Prügelorgie wert sein müsse.

Regierung versucht zu tricksen

Dumm nur, dass das Landgericht Nürnberg-Fürth, das wie vorher schon das Amtsgericht Nürnberg keinen Grund sah, gegen Asef N. einen Haftbefehl zu erlassen, außerdem mit erstaunlicher Deutlichkeit die Rechtmäßigkeit des ganzen Einsatzes in Zweifel zog. Asef N. hatte nämlich eine Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte Jugendliche beantragt.

Die war zwar bereits eine Woche vor dem Abschiebeversuch abgelehnt worden; davon hatte man aber weder ihn noch seinen Anwalt unterrichtet. Die Zustellung des Bescheids erfolgte erst nach dem Abschiebeversuch. Zu dieser Situation hatte das Gericht folgendes zu sagen:

Die Kammer erlaubt sich, ohne dass es für diese Entscheidung (die Entscheidung über den Haftbefehl gegen Asef N., MH) darauf ankäme, den Hinweis an die beteiligte Behörde, dass sie erhebliche Zweifel hegt, ob es rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, wenn die Bekanntgabe eines bereits verfügten Bescheides, der mit einem Rechtsmittel angegriffen werden kann, bis zum Zeitpunkt des Vollzugs der Abschiebung zurückgestellt und somit die Einlegung des Rechtsmittels vereitelt wird.

Landgericht Nürnberg-Fürth

Mit anderen Worten: Das Landgericht deutet an, dass es vor den Tumulten an der Berufsschule und vor der angeblichen Anschlagsdrohung durch Asef N. zu einem massiven Rechtsbruch durch die Behörden selbst gekommen war. Ein Rechtsstaat wie aus dem Bilderbuch.

Nebenbei: Hat es denn jetzt eine Untersuchung zu den angeblichen dschihadistischen Drohungen von Asef N. gegeben? Ist geprüft worden, ob er tatsächlich Verbindungen in das islamistische Milieu hat und deswegen insgeheim eine Gefahr darstellt? Wenn dem so ist, dann hört man nichts davon. Anscheinend war die Drohung, die er ausgestoßen haben soll, doch nur gerade gut genug, um die Brutalitäten vor der Berufsschule im Nachhinein zu rechtfertigen.

Anmerkungen zu "fleißig und gut integriert"

Seltsam war allerdings auch, was vermeintliche und echte Unterstützer von Asef N. zum Besten gaben. Der afghanische Flüchtling sei doch so fleißig und gut integriert gewesen - empörend sei das, ausgerechnet so jemand abzuschieben. Was soll das eigentlich bedeuten?

Wenn Asef N. ein fauler Sack wäre, der den ganzen Tag Comics liest, sich am Bauch kratzt und kaum Deutsch spricht - wäre es dann völlig in Ordnung gewesen, ihn in ein Afghanistan abzuschieben, das mehr und mehr wie die Hölle auf Erden aussieht? Weil auf "Faulheit" in Deutschland immer noch die Todesstrafe steht? Sind Menschenrechte dann fakultativ, wenn die Betroffenen keine superproduktiven Bestarbeiter sind?

So wie der Rechtsstaat sich mal kurz selbst verabschiedet hat, als es darum ging, Asef N. möglichst schnell außer Landes zu schaffen? Vielleicht sollten sich solche Fleißkärtchenverteiler noch einmal Gedanken über ihren Arbeitsfetisch und ihre Idee von Integration Gedanken machen.

Die Randale in Nürnberg - ein historisches Ereignis, vielleicht sogar vergleichbar mit den Schwabinger Krawallen von 1962?

Wahrscheinlich nicht. Sondern einfach nur ein Lehrstück zu den Themen Migration, fakultative Rechtsstaatlichkeit und Polizeigewalt im Deutschland des Jahres 2017 - und als solches interessant.