Fall Guérot: Kündigung wegen Querdenkens oder Nichtdenkens?

Ulrike Guérot im Mai 2019. Bild: Dontworry, CC BY-SA 4.0

Uni Bonn soll Politikwissenschaftlerin gekündigt haben. Nun tobt die Debatte: Waren Plagiate Auslöser oder politisches Engagement? Der Fall geht wohl vor Gericht.

Mit der "Selbstkontrolle" der Wissenschaft ist das so eine Sache. Vor wenigen Tagen ist dazu ein brillanter Beitrag des Psychologen Daniel Leising von der TU Dresden erschienen, der allen Akteuren im Wissenschaftssystem zu denken geben sollte.

Es ist in den seltensten Fällen so, dass Wissenschaftler genuin wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens berufliche Nachteile haben. Die raren Kündigungen im Wissenschaftsbetrieb sind meist Folge von begleitenden ungünstigen Umständen oder des Scheiterns einer einvernehmlichen Lösung.

Rauswürfe an österreichischen Universitäten

An der österreichischen Universität Klagenfurt, dereinst medial die "Plagiatsschmiede vom Wörthersee" getauft, wurde im Jahr 2006 eine Universitätsassistentin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft gekündigt. Anlass war freilich schwerwiegendes Plagiieren in ihrer Diplomarbeit.

Dennoch erfolgte die Kündigung nicht genuin deshalb, sondern weil die Plagiatorin alternative Angebote der Universität nicht annehmen wollte. 2018 wurde wieder eine Wissenschaftlerin an der Universität Klagenfurt entlassen, diesmal wegen Mobbings. Auch hier war zwar der Mobbing-Vorwurf ursächlich, aber die fristlose Entlassung war eine Konsequenz der Ablehnung eines alternativen Angebots des Rektors.

An der Universität Salzburg wurde im Jahr 2012 einem Biologen wegen Fälschungsverdachts gekündigt. In den beiden letztgenannten Fällen nannten Massenmedien die Klarnamen der Wissenschaftler.

Ein Wissenschaftler hat damit jede Reputation verloren und somit alles, was er beruflich aufweisen kann. Das heißt, auf jede Kündigung oder Entlassung dieser Art folgen in der Regel mehrjährige Rechtsstreitigkeiten. Und das kündigte auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot an, der nun die Universität Bonn gekündigt haben soll.

Eine Presseerklärung und ein Tweet

Ob und warum die Hochschule Ulrike Guérot zum 31.03.23 tatsächlich gekündigt hat, wissen wir nicht. In einer Presserklärung vom 24.02.23 heißt es:

Im vergangenen Jahr waren öffentlich Vorwürfe gegen die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Guérot erhoben worden, sie habe sich während ihrer Dienstzeit an der Universität Bonn fremdes geistiges Eigentum angeeignet, ohne dies als solches kenntlich zu machen.

Die zuständigen Gremien der Universität haben den Sachverhalt geprüft und sehen ihn – bezogen auf den Veröffentlichungszeitraum seit dem Eintritt in die Universität Bonn im September 2021 und auf eine frühere Veröffentlichung, die für die Berufung von Relevanz war – als erwiesen an.

Dem von Frau Prof. Dr. Guérot unter anderem vorgetragene Einwand, dass es sich bei den relevanten Publikationen nicht um wissenschaftliche Veröffentlichungen handele, sind die zuständigen Gremien nicht gefolgt. Das Rektorat hat daraufhin die gebotenen arbeitsrechtlichen Schritte eingeleitet.

"Arbeitsrechtliche Schritte" kann vieles bedeuten. Dass es sich tatsächlich um eine Kündigung handelt, verriet Frau Guérot erst selbst auf Twitter:

In ihrem Tweet nimmt es die Politologin einmal mehr mit Fakten nicht so genau, wie auch die FAZ berichtet. Zunächst einmal ist das Buch aus dem Jahr 2016, um das es sich handelt – "Warum Europa eine Republik werden muss! Eine politische Utopie" – ohne Zweifel ein wissenschaftliches Buch.

Die Rechtsprechung besagt eindeutig, dass auch Populärwissenschaft Wissenschaft ist. Wäre das Buch tatsächlich ein "nicht-wissenschaftliches" Sprachwerk, müsste es sich um Belletristik, einen Bildband, ein Rätselheft, eine Gebrauchsanleitung oder Ähnliches handeln – das Sprachwerk müsste also zur Kunst, Unterhaltung oder Technik gehören.

Die Argumentation, dass ein Sachbuch einer Wissenschaftlerin ein nicht-wissenschaftliches Werk sei, wird also kaum halten sein können.

Vier deutsche Wissenschaftler wegen Plagiaten gekündigt

Ebenso ist zweifelhaft, dass Guérot die erste Person in Deutschland sei, die "wegen ‚Plagiat‘" gekündigt wurde. Auf Telepolis-Anfrage berichtet die Plagiatsplattform VroniPlag Wiki von vier Fällen, "in denen (ausschließlich jüngere) Wissenschaftler(innen) wegen Plagiaten ihre Stelle in Deutschland verloren haben". Das schreibt Gerhard Dannemann, Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Die vier Fälle sind hier dokumentiert:

Und tatsächlich ergibt sogar ein simples Googeln, dass einer der Plagiatoren akademischer Rat und Habilitand war und nach der Aberkennung des Doktortitels aus dem Wissenschaftssystem ausgeschieden ist.

Und fast schon in Vergessenheit geraten ist der Plagiatsfall der Kunst-Professorin Anette Seelinger.

Vorwurf gegenüber Guérot bestätigt

Aber hat Ulrike Guérot nun plagiiert, oder nicht? Ich habe die ursprünglich vom Politikwissenschaftler Markus Linden erhobenen Plagiatsvorwürfe überprüft. Für mich gibt es keinen Zweifel an deren Korrektheit. Hier ein Beispiel:

Markus Linden hat noch zahlreiche weitere Stellen gefunden, und auch ich konnte diese und andere Stellen mit Hilfe der Software "Turnitin" bestätigen.

Ulrike Guérot hat also in zumindest zwei Büchern plagiiert, die sie als Wissenschaftlerin verfasst hat und die sicher nicht der Nicht-Wissenschaft, also etwa der Kunst zuzuordnen sind.

Aber genügt das für einen Rauswurf? Oder waren es nicht doch die Kritik an den staatlichen Coronamaßnahmen und letztlich ihre Aussagen zum Ukraine-Krieg, die zur Entscheidung der Uni-Leitung geführt haben? Auch das wissen wir nicht. Dazu passt aber ein Beispiel aus Österreich: Im Jahr 2021 hat die Medizinische Universität Wien einem bekannten Corona-Maßnahmengegner gekündigt.

Ausgefallene Lehre im Wintersemester

Das Plagiieren war bei Guérot vielleicht "nur" die Spitze des Eisbergs. Im Wintersemester 2022/23 hatte sie bereits zahlreiche Lehrveranstaltungen an der Universität Bonn abgesagt.

Der Journalist Thomas Dudek schrieb auf Twitter, die Professorin habe sich krankschreiben lassen, habe aber weiter Werbung für ihre Bücher gemacht und sei auch auf sozialen Netzwerken aktiv gewesen. Ein Konflikt schwelte hier womöglich schon länger.

In der Tat haben viele andere Plagiatoren in Deutschland ihre Professuren behalten, wenn vielleicht auch nur wegen fehlender dienstrechtlicher Handhabe, so etwa Cornelia Koppetsch oder Hans-Peter Schwintowski.

Stefan Weber ist Plagiatsforscher und betreibt das Wissenschaftler-Netzwerk "Gute wissenschaftliche Praxis in Österreich". Im Herbst 2023 erscheint sein neues Buch "Die Dysfunktionalität der Universität. Ein Schwarzbuch der Wissenschaft".

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