Fallpauschalensystem "angebohrt"
Eingeführt wurde das Klinik-Abrechnungsmodell unter der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (SPD). Parteifreunde wollen nun Ausnahme für Kinder- und Jugendmedizin
Während die Gewerkschaft ver.di und die Partei Die Linke fordern, das Fallpauschalensystem in Krankenhäusern generell durch ein bedarfsgerechtes Finanzierungsmodell zu ersetzen, schlagen SPD-Politiker dies zumindest vermehrt für den Bereich Kinder- und Jugendmedizin vor.
Als Grund wird die bei Kleinkindern oft kompliziertere Diagnostik genannt, die sich im Fallpauschalensystem nicht wiederfinde: "Weil es hauptsächlich auf Behandlungsfälle ausgerichtet ist, rechnen sich beispielsweise Kinderkliniken zum Teil nicht und sind gerade in ländlichen Räumen hier im Osten bedroht", sagte der sächsische SPD-Landesvorsitzende und Ostbeauftragte Martin Dulig vor wenigen Tagen der Deutschen Presseagentur.
Hintergrund ist, dass beispielsweise Vierjährige nicht verstehen, warum sie in einer Röhre, die komische Geräusche macht, stillhalten sollen. Bei Kindern bis zum Alter von rund acht Jahren werden daher MRT-Untersuchungen in der Regel mit Sedierung oder Narkose durchgeführt. Bei erwachsenen Patienten, die nicht an speziellen Angststörungen leiden, sind solche Maßnahmen überflüssig - an ihnen sind aber die Fallpauschalen im DRG-System (das Kürzel steht für "Diagnose Related Groups" - "Diagnosebezogene Fallgruppen") ausgerichtet.
Fortschritt bei Pflegepersonalkosten
Auf Druck von Gewerkschaften und Teilen der Opposition hat die Bundesregierung bereits 2018 beschlossen, die Pflegepersonalkosten aus dem Fallpauschalensystem herauszunehmen - Leistungen anderer medizinischer Berufsgruppen blieben jedoch außen vor.
Dabei betonen Hebammen seit Jahren, dass auch im Bereich Geburtshilfe Fallpauschalen nicht angemessen seien: Schließlich könne eine Geburt zwei Stunden oder mehr als 20 Stunden dauern. Verhängnisvolle Kunstfehler sowie Gewalt in der Geburtshilfe, - ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkanntes Problem -, können durch Zeit- und Kostendruck begünstigt werden. Die WHO nennt als Beispiele unter anderem "körperliche Misshandlung, tiefe Demütigung und verbale Beleidigung, aufgezwungene oder ohne ausdrückliche Einwilligung vorgenommene medizinische Eingriffe" sowie "Missachtung der Schweigepflicht, Nichteinhaltung der Einholung einer vollumfänglich informierten Einverständniserklärung, Verweigerung der Schmerzbehandlung, grobe Verletzung der Intimsphäre".
Entschließungsantrag dreier Länder
Im September 2020 brachten die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Bremen einen Entschließungsantrag in den Bundesrat ein: Dieser solle die Bundesregierung auffordern, den Bereich der Kinder- und Jugendmedizin aus dem Fallpauschalensystem herauszunehmen. "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, ihre Behandlung benötigt wesentlich mehr Zeit", heißt es in dem Antrag auf Initiative von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Gefordert wird eine "auskömmliche Finanzierung", die ausdrücklich auch die "erhöhten Qualitäts- und Personalbedarfe in der Geburtsmedizin einschließt".
Der Antrag wurde im Herbst zur Beratung an die Ausschüsse der Länderkammer überwiesen. Eine generelle Abkehr vom Fallpauschalensystem, das 2003 von einer "rot-grünen" Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) eingeführt und 2004 verbindlich wurde, fordern Schwesig und Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (ebenfalls SPD) sowie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bisher nicht.
Sylvia Bühler, die im ver.di-Bundesvorstand für das Gesundheitswesen zuständig ist, betrachtet das DRG-System aber inzwischen als "angebohrt": Zunehmend werde es auch von verantwortlichen Politikern in Frage gestellt, befand sie bereits im November. Die Gewerkschaft sieht sich auch durch eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zum Reformbedarf bei der Krankenhausfinanzierung bestätigt und fordert, das System der Fallpauschalensystem "auszusetzen und dauerhaft durch eine bedarfsorientierte Vergütung zu ersetzen".