Fassadenbrände: Bayerischer Innenminister will Dämmung untersuchen lassen
Londoner Feuerwehr unterbrach Sucharbeiten im Grenfell Tower und rechnet mit deutlich mehr Toten
Wie viele Menschen bei dem in der Nacht zum Mittwoch ausgebrochenen Brand des Grenfell-Tower-Hochhauses im Londoner Stadtteil North Kensington (vgl. Mehrere Tote bei Großbrand in Londoner Hochhaus) ums Leben kamen, steht immer noch nicht fest. Nicht nur wegen 18 von 79 Verletzten, deren Zustand noch "kritisch" ist, sondern auch weil unter den 400 bis 600 Bewohnern der insgesamt 120 Wohnungen noch ganze Familien vermisst werden, die die Zahl der bislang bestätigten 17 Toten noch deutlich nach oben korrigieren könnten. Bis diese gefunden werden, könnte es noch etwas dauern: Am Donnerstag unterbrach die Feuerwehr die Durchsuchung der immer noch rauchenden Ruine aus Sicherheitsgründen.
Die Brandursache steht bislang noch nicht fest. Fest steht dagegen, dass das Feuer blitzschnell die ganze Fassade erfasste, weshalb die Feuerwehr nicht mehr viel ausrichten konnte, obwohl sie nur sechs Minuten nach der Meldung des Brandes vor Ort war. Dem Guardian zufolge spielten dabei die Dämmplatten eine Rolle, mit denen man das 1974 errichtete Hochhaus von 2014 bis 2016 verkleidete. Dabei soll es sich um Verbundplatten aus Aluminium und dem billigen brennbaren Kunststoff Polyethylen gehandelt haben, die zuvor schon in mehreren anderen spektakulären Fassadenbränden als Ursache der blitzschnellen Ausbreitung ausgemacht wurden. Im australischen Melbourne sagte der Feuerwehrchef nach solch einem Fassadenbrand 2014, er habe "in 30 Jahren noch nie ein Feuer gesehen, das sich so schnell ausgebreitet hat". Solche Platten kosten nur etwa die Hälfte dessen, was für Verbundstoffe in "nicht brennbarer Qualität" verlangt wird.
Deutschland: Styropordämmung in Häusern unter 22 Metern Höhe
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sagte der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) nach der Londoner Feuerkatastrophe, ein "vergleichbarer Fassadenbrand an einem Hochhaus [sei] in diesem Ausmaß bei uns so gut wie ausgeschlossen". Allerdings wohnen die meisten Deutschen nicht in Hochhäusern - und in Gebäuden mit weniger als 22 Metern Höhe dürfen in der Bundesrepublik faktisch brennbare Fassadendämmungen verbaut werden, die hierzulande meist aus geschäumtem Polystyrol sind (vgl. Feuerfalle Styropor). Brandschutzexperten wie der Berliner Landesbranddirektor Wilfried Gräfling bemängeln das schon lange und weisen auf Brände wie die im Duisburger Stadtteil Meiderich hin, bei dem im letzten Jahr eine 33-jährige Mutter und ihre beiden acht und 14 Jahre alten Kinder starben, weil sich das Feuer an der Fassade des viergeschossigen Hauses dem dortigen Feuerwehrchef Oliver Tittmann zufolge "wie an einer Zündschnur" ausbreitete.
Styropordämmung löst zwar keine Brände aus, sorgt aber dafür, dass sich diese deutlich schneller ausbreiten können. Vor allem dann, wenn das durch sie mögliche blitzschnelle Abbrennen einer Fassade, noch durch Kamineffekte begünstigt wird, die zum Beispiel dann auftreten können, wenn sich Architekten ästhetisch selbst verwirklichen wollten, ohne die praktischen Folgen zu bedenken (vgl. Elend der Architektur und Flammendes Inferno oder zukunftsweisender Öko-Bau?).
Erst nur Wohnungsbrände geprüft
Zugelassen wurden Styropordämmplatten, weil man bei ihrer ersten Prüfung davon ausging, dass Brände in Wohnungen entstehen - und nicht außerhalb der Häuser: Etwa durch Kriminelle oder Terroristen, die Mülltonnen oder Autos anzünden. Stoßen solche Täter auf ein mit Polystyrol gedämmtes Gebäude, dann helfen keine "Brandriegel" aus Steinwolle an den Fenstern, die lediglich die Ausbreitung eines Wohnungsbrandes bremsen können.
Nachdem solche Dämmplatten von den Materialprüfungsanstalten auch mit einer L-förmigen Fassade und einem brennenden Müllcontainer getestet wurden, mussten die Brandschutzbestimmungen geändert werden. Die deutsche Bauministerkonferenz beschloss, dass bei Neubauten künftig nicht nur um die Fenster, sondern auch in 60 Zentimetern und drei Metern Höhe Brandriegel verbaut werden müssen. Herrmann will außerdem "überprüfen" lassen, "ob die aus energetischen Gründen geforderte Außendämmung eine zusätzliche Brandgefahr auslöst".
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