Fatale Situation für Flüchtlinge in Griechenland

Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Ein Lagebericht über skandalöse Zustände

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Reportagen und Berichte über Flüchtlinge rufen gemischte Gefühle hervor. Wer die heute unter einschlägige Artikel geposteten Leserkommentare mit der Einstellung der Leser vor 2014 vergleicht, kann durchaus erschrecken. Seinerzeit verurteilten die Meisten die inhumanen Bedingungen, unter denen Schutzsuchende zu leiden hatten. Heute lässt sich der Eindruck nicht verdrängen, dass allein die Präsenz von Asylsuchenden viele Zeitgenossen zu hysterischen Reaktionen bewegt.

Ein großer Teil der Europäer hat seine Einstellung zur Flüchtlingsfrage von einer Willkommenskultur, wie sie noch 2015 vorherrschte, zu einer mehr oder weniger differenzierten Fremdenangst geändert. Diejenigen, die bereits frühzeitig von den Übrigen als rassistisch eingestufte Reflexe zeigten, fühlen sich bestätigt und erfreuen sich nun, wie die Ereignisse von Chemnitz zeigen, zumindest in einigen Regionen eines erhöhten Zuspruchs.

Diese Entwicklung ist nicht nur auf Deutschland, Österreich, Ungarn und Italien beschränkt. Auch in Griechenland hat sich das Klima geändert, wenngleich die Reaktionen verglichen zu Deutschland noch weniger heftig ausfallen.

Offene Grenzen in den EU-Raum

Die erste Regierung von Alexis Tsipras hatte direkt nach ihrer Wahl im Januar 2015 die von der Vorgängerregierung errichteten gefängnisartigen Flüchtlingslager geöffnet. Die damalige Immigrationsministerin Tasia Christodoulopoulou, die das neue Ministeramt als erste Politikerin des Landes führte, entschied, sämtlichen Neuankömmlingen sechsmonatige Duldungspapiere samt freier Bewegungsmöglichkeit im Land zu erteilen.

"Die Ägäis hat keine Grenzen", lautete das Motto, das Hunderttausende von der Türkei aus auf griechische Inseln übersetzen ließ. Die Grenzen Europas waren plötzlich für alle offen. Die Flüchtlinge und Immigranten zog es indes von Griechenland weiter nach Nordeuropa.

Die Regierung Tsipras hatte bei aller demonstrierten Humanität schlicht "vergessen", dass die oft wegen der teuren Flucht mittellosen Menschen neben Aufenthaltspapieren auch noch ein Dach über den Kopf und Verpflegung benötigen. In der ersten Phase der Flüchtlingskrise überließ die Regierung wissentlich Privatinitiativen und Hilfsorganisationen die Verpflegung der Menschen. Sie selbst präsentierte das Drama als weiteres Detail einer sich in Griechenland wegen des Sparkurses abspielenden "humanitären Katastrophe".

Wie so vieles andere, was Tsipras im Lauf seiner Karriere versprochen hat, blieben auch die guten Worte, dass den Schutzsuchenden Obdach geboten würde, Worthülsen ohne praktische Umsetzung. Statt mit organisierten Maßnahmen dem Problem Herr zu werden, lies die Regierung die Schaffung zahlloser, durch Freiwillige geschaffener provisorischer Lager zu.

Offensichtlich war dies als weiteres Druckmittel in der Euro-Krise gedacht. Unvergessen bleibt die an die Eurogruppe gerichtete Drohung von Verteidigungsminister Panos Kammenos, dass Griechenland tausende Flüchtlinge und Immigranten ohne Papiere, darunter auch Dschihadisten, nach Berlin und Brüssel weiterziehen lassen müsse, wenn die Kreditgeber weiterhin auf ihren Forderungen bestehen würden.

Die Tatsache, dass eine derartige Äußerung des Koalitionspartners den nach eigenen Angaben ideologisch links denkenden Tsipras nicht zu Konsequenzen bewegte, lässt tief in die Wahrhaftigkeit der Ideologie des Premiers blicken.

Die lasche Organisation der griechischen Regierung hatte entlang der Westbalkanroute Folgen. Die mit dem Andrang Schutzsuchender vollkommen überforderten Balkanländer wurden durch die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Grenzen zu öffnen, entlastet.

Eine Entscheidung, die ihr von einem Teil der deutschen Wähler, aber auch von Parteigenossen heute zum Vorwurf gemacht wird. Ihr allein das Versagen in der europäischen Flüchtlingspolitik anzulasten, würde dem Problem, dass wirklich Schutzbedürftigen Asyl gewährt werden muss, jedoch nicht gerecht werden.

Der weitere Ablauf der Geschichte ist bekannt. Die griechische Regierung konnte aus der Flüchtlingskrise keinen Gewinn hinsichtlich der Kreditverhandlungen erzielen. Dies gelang stattdessen der Türkei.

Mit dem ethisch fragwürdigen EU-Türkei-Deal und der Schließung der West-Balkan-Route wurde die Attraktivität des Fluchtwegs über Griechenland erheblich reduziert. Die Probleme von Immigranten und Asylsuchenden in Griechenland gerieten aus dem Fokus der internationalen Öffentlichkeit.

UNO: Lasst die Menschen von den Inseln aufs Festland!

Die griechische Regierung hat im Zusammenhang mit dem EU-Türkei-Deal zugesagt, dass Neuankömmlinge erst nach endgültigem Entscheid über ihren Asylantrag von den Ägäisinseln, auf denen sie ankommen, weiter zum Festland reisen dürfen. Andererseits blieben von Seiten der Europäer die versprochenen Beamten aus.

Für die Inseln bedeutete dies, dass die Lager auf den Inseln sich trotz geringerer Anzahl von Neuankömmlingen stetig weiter füllten. Die Regierung in Athen selbst, scheint das Interesse an dem ihr vorher angeblich so wichtigen Thema verloren zu haben.

Am schlimmsten steht es um das Lager Moria auf Lesbos. Hier konnte die BBC in den vergangenen Wochen vor Ort im Lager eine Reportage drehen. Der Zugang von Journalisten, Fotoreportern und Kamerateams in die Lager wurde von der Regierung nach dem EU-Türkei-Deal massiv eingeschränkt. So gibt es nur wenige Reportagen über die verheerenden Zustände in den Lagern.

Skandalös ist, dass Frauen und Kinder, Familien aus Kriegsgebieten zusammen mit eindeutigen Wirtschaftsflüchtlingen auf engstem Raum zusammengepfercht werden. In den Lagern bilden sich rechtsfreie Räume, in denen die Insassen lernen, dass der Kräftigste und Gewaltbereiteste die besseren Überlebenschancen hat. Es gibt Selbstmordversuche selbst bei Kindern, die die Aussichtslosigkeit ihrer Situation nicht mehr ertragen können.

Die EU, die dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump die Trennung von Immigrantenkindern von ihren Eltern vorwirft, sieht weg, wenn Gleiches in Griechenland geschieht. Gemäß dem EU-Türkei-Pakt bleiben die Eltern im Lager auf den Inseln, wenn ein erkranktes Kind in eines der griechischen Kinderkrankenhäuser gebracht werden muss.

Beide Krankenhäuser befinden sich in Athen. Vollkommen bigott erscheint, dass vorzugsweise junge, männliche Immigranten unter den Augen der Frontex auch ohne abgeschlossenes Asylverfahren mit Schiffen aufs Festland "entkommen" können, während Familien mit Kindern aus Syrien in unwirtlichen Lagern ihres Schicksals harren müssen. Es ist ein offenes Geheimnis auf den Inseln, dass immer mal wieder zur Entlastung der Lager einige Insassen auch ohne abgeschlossenes Verfahren weiterreisen dürfen.

Die Verantwortlichen für Flüchtlinge der UNO riefen die griechische Regierung in einem dramatischen Appel dazu auf, das mehr als dreifach über seine Kapazität überfüllte Lager zu räumen und die dort Lebenden aufs Festland zu lassen.

Moria, Europas dunkles Geheimnis, ist einer der Orte, an denen die Neuankömmlinge in Europa zum ersten Mal in Kontakt zur wahrlich schlechtesten Seite der europäischen Kultur kommen. Noch weniger als über die Flüchtlinge in Moria wird darüber berichtet, dass die Versorgung der Lager mit Nahrung meist nicht mit einer öffentlichen Ausschreibung, sondern per Direktvergabe an Dienstleister erteilt wird.

Die jeweiligen Aufträge werden dafür zur schlicht zeitlich begrenzt, wodurch das Gesamtvolumen des Auftrags unter die Grenze zur Ausschreibungspflicht fällt. Es lässt sich nicht beweisen, dass durch diese Verfahrensweise Begünstigte der lokalen, regionalen und nationalen Verantwortlichen gefördert werden. Allerdings gelten solche Vergabemethoden gemeinhin als Indiz für Vetternwirtschaft.

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