Fernsehübertragungen auch bald aus deutschen Gerichtssälen?
Filmverbot bei laufenden Verhandlungen könnte vom Bundesverfassungsgericht gelockert werden
Das Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren der Familie Becker bewegt die Nation, und viele reagieren mit Unverständnis auf die Übertragungen der ersten Gerichtsverhandlung in den Vereinigten Staaten. Ausgerechnet ein Verfahren, in dem es um den Ausschluss der Öffentlichkeit und damit auch um das Abschalten der Fernsehkameras ging, wurde zur besten Sendezeit in Zusammenschnitten gezeigt. In Deutschland übertrug der Nachrichtenkanal N24 die gesamte Anhörung bis zur Entscheidung des Richters. Auch in Deutschland könnten solche Übertragungen bald möglich werden. Das Bundesverfassungsgericht wird dazu am 24. Januar eine Entscheidung verkünden.
Ex-Tennisstar Boris Becker hatte beantragt, das anstehende Verfahren in Florida unter Ausschluss der Öffentlichkeit fortzusetzen, da er sich um die Sicherheit seiner Familie sorge. Der Antrag richtete sich insbesondere gegen die in Amerika inzwischen übliche Übertragung von Fernsehbildern direkt aus dem Gerichtssaal. Doch das amerikanische Gericht gab dem Antrag nur teilweise statt. Um die Sicherheit der Familie Becker und die Vertraulichkeit der Werbeverträge von Boris Becker zu garantieren, wird es Einschränkungen geben. Unter anderem sendeten die Privatsender RTL und SAT1 längere Zusammenschnitte aus dem mehrstündigen Anhörungsverfahren. ARD und ZDF wollen weitgehend auf eine direkte Übertragung verzichten und lediglich in ihren Nachrichten und den Boulevardmagazinen vom anstehenden Becker-Sorgerechtsverfahren berichten. Die beiden öffentlich-rechtlichen Sender werden auch wegen der in Deutschland geltenden Rechtslage nicht direkt aus dem Gerichtssaal senden, berichtet der ARD-Videotext.
Bislang werden in Deutschland nur die Verhandlungen der Hamburger Amtsrichterin Barbara Salesch bei SAT1 übertragen. Ausnahmen werden nur für Verhandlungen im Bundesverwaltungsgericht für denkbar gehalten. Barbara Salesch ist die einzige deutsche Richterin, die vor laufender Kamera rechtskräftige Urteile fällt. Zusammen mit SAT1 hat sie ein privates Schiedsgericht gegründet und somit das Fernsehverbot umgangen. Für Schiedsgerichte gilt das gesetzliche Filmverbot nicht. Für die Streitparteien hat das Verfahren sogar noch finanzielle Vorteile, denn SAT1 zahlt alle Verhandlungskosten. Doch auch diese Sendeform birgt Nachteile für Verfahrensbeteiligte, wie der Fall der unfreiwillig komisch wirkenden Regina Zindler mit dem Maschendrahtzaun zeigt.
Das Bundesverfassungsgericht wird sich am 24. Januar mit einer Verfassungsbeschwerde des privaten Nachrichtensenders n-tv befassen und eine Entscheidung verkünden. Im November des letzten Jahres berief sich n-tv bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe auf das Recht der Informations- und Rundfunkfreiheit. Durch das bestehende Verbot, im Gerichtssaal Bilder aufnehmen zu dürfen, sei das Fernsehen gegenüber der Presse und den Internetmedien schlechter gestellt. n-tv führte weiter aus, dass das Fernsehen in zeitgeschichtlich bedeutenden Prozessen - wie etwa dem kommenden NPD-Parteiverbotsverfahren - der Öffentlichkeit verdeutlichen kann, wie dieser Rechtsstaat funktioniere.
n-tv war zuvor in den Jahren 1995 in einem Politbüroprozess und 1999 in der Verhandlung über die "Schulkruzifix"-Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung gescheitert, eine Drehgenehmigung durchzusetzen. Zwar haben sich Vertreter der Bundesregierung als auch Vertreter der Richter und Anwälte für eine vorsichtige Öffnung der Gerichtssäle ausgesprochen, doch eine Fernsehübertragung von Verfahren über Familienstreitigkeiten oder Strafrechtsprozessen wird wohl nicht zugelassen. Hier ist man sich einig, dass der Persönlichkeitsschutz der Betroffenen überwiegt.
Eine Internet-Umfrage (N=1043) bei n-tv zeigt, dass mehr als 75 Prozent den Schutz der Privatsphäre auch für Prominente wie Boris Becker für notwendig halten. Lediglich 16 Prozent sehen das nicht so, acht Prozent ist das völlig gleichgültig. ARD-Programmchef Günter Struve bleibt vorerst bei der Entscheidung, so etwas gehöre nicht in deutsche Wohnzimmer.
Der Pressedienst newsroom berichtet, dass das Ereignis doch eher lokalen Bezug habe, denn von den bundesweit verbreiteten US-Blättern informierte lediglich "USA Today" mit sieben Druckzeilen über das Anhörungsverfahren.