Finanzgipfel: Es ist Zeit, dass der Westen seine Billionen-Schulden zahlt!
Regierungschefs mächtiger und weniger mächtiger Staaten reisten nach Paris. Es geht um einen globalen Finanzpakt, aber Geld soll nicht fließen. Über die gefährliche Zahlungsverweigerung der Reichen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat diese Woche zum Gipfel nach Paris geladen. Rund 40 Staats- und Regierungschefs, darunter etwa ein Dutzend aus Afrika, der chinesische Premierminister und der brasilianische Präsident, werden in der französischen Hauptstadt zusammen mit internationalen Organisationen, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und des Privatsektors an dem "Gipfel für einen neuen globalen Finanzpakt" teilnehmen.
Es gehe darum, so Macron, "internationale Solidarität neu zu denken". Man müsse die "Glaubwürdigkeit der reichen Länder" wiederherstellen und mehr für globale Gesundheit, Bildung und Nahrungssicherheit tun. Das sind hehre Worte. Aber mangelt es wirklich an Worten und Versprechen? Sind es nicht Taten, also reale Geldflüsse, die fehlen?
So werden seit vielen Jahren auf G7-Gipfeltreffen oder Klimakonferenzen Ankündigungen gemacht, mehr für die armen Teile der Welt, die den Großteil der Menschheit beherbergen, zu tun. Aber die Worte werden bis heute nicht in barer Münze eingelöst – abseits von mickrigen Almosen.
Die Klimafinanzierung in Höhe von jährlich 100 Milliarden Dollar pro Jahr, die die Industriestaaten an die Entwicklungsländer zahlen sollen, wurde bereits 2009 auf dem Klimagipfel in Kopenhagen ins Leben gerufen. 2020 sollte die Marke spätestens erreicht werden, doch daraus wurde nichts. Noch heute ist man deutlich von der Summe entfernt.
Und bei dem, was bisher gezahlt wird, handelt es sich größtenteils gar nicht um zusätzliche Zahlungen, sondern um Kredite, umetikettierte Entwicklungshilfe oder private Investitionen. Die Summe ist auch viel zu niedrig, um eine Energiewende und Klima-Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren.
Ein Fonds für Klimaschäden, "loss and damage" genannt, wurde als großer Durchbruch beim letzten Klimatreffen in Ägypten 2022 gefeiert. Doch es wird darüber weiter nur geredet und gestritten, aber nicht gezahlt.
Schuldenerlasse für Entwicklungsländer bzw. -erleichterungen wurden immer wieder versprochen. Ein einziges Mal wurde gehandelt. Beim G8-Gipfel in Gleneagles vor fast 18 Jahren im Juli 2005 konnten weltweite Bewegungen und Kampagnen, ausgehend vom Globalen Süden, die Industriestaaten dazu bringen, für 36 arme Länder insgesamt 130 Milliarden Dollar an Schulden zu erlassen. Ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft.
Doch es war nur eine kurze Verschnaufpause. Die globale Finanzkrise von 2008 und der Absturz der Rohstoffpreise im Jahr 2014 zwangen viele Regierung dazu, mehr Schulden zu machen. Heute sitzen viele Staaten daher wie zuvor tief im Schuldensumpf.
Anfang 2020 stufte der Internationale Währungsfonds IWF 34 Länder als Staaten ein, die sich in einer Schuldenkrise befinden bzw. davon gefährdet sind. Zudem listete der IWF 64 Länder auf, die mehr für Schuldentilgung als für die Gesundheitsversorgung ausgeben müssen. Die Daten stammen noch aus der Zeit vor der Covid-19-Pandemie, die alles noch schlimmer machte.
Der Grund für die ewigen Schuldenkatastrophen in Afrika, Südostasien oder Lateinamerika? Der reiche Norden erfüllt weiter die Forderungen aus der Zivilgesellschaft und dem Globalen Süden nicht, wie Regulierungen von Kreditgebern und faire Welthandelsregeln. Die strukturellen Treiber der Schuldenspiralen werden bis heute nicht adressiert.
So wird wie in der Vergangenheit in neokolonialer Manier der Reichtum der armen Länder in die wohlhabenden Industriestaaten abgesaugt: durch Steuerhinterziehung, illegale Finanzströme, unfaire Handelsregime, Korruption oder durch die Rückführung der Gewinne von multinationalen Unternehmen Richtung Norden.
Nun soll ein von Macron einberufener Finanzgipfel also global "Solidarität" schaffen und die Misere aus der südlichen Welt vertreiben. Doch das ist ohne den nötigen politischen Willen und echte Zahlungsbekenntnisse ein frommer Wunschtraum.
So beklagt Amnesty International (AI), dass viele Staaten und zivilgesellschaftliche Organisationen, die die von diversen Krisen am stärksten betroffenen Gemeinschaften repräsentieren, gar nicht auf dem Gipfel vertreten seien. Zudem kritisiert Agnès Callamard, Generalsekretärin von AI, die Unverbindlichkeit der Zusammenkunft:
Es ist fraglich, ob das von Frankreichs Präsident Macron außerhalb des üblichen UN-Rahmens einberufene Treffen in Paris ein geeignetes Forum für die erforderlichen grundlegenden Reformen ist.
Masood Ahmed, Präsident der Denkfabrik Center for Global Development in Washington, erwartet von der Versammlung keine konkreten Maßnahmen, sondern lediglich eine Verständigung darüber, dass "wir viel größer und mutiger denken müssen. Wir müssen bereit sein, uns zu verändern".
Es sei aber schwierig, die Regierungen im Norden dazu zu bringen, Steuergelder für die Bekämpfung globaler Krisen wie die Klimakrise auszugeben. Ein Vertreter des US-Finanzministeriums erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press, dass vom Pariser Treffen keine wesentlichen neuen geldpolitischen Zusagen erwartet werden sollten.
Auch der Élysée-Palast will den Ball flach halten. Es gehe eher um eine Plattform für den internationalen Austausch.
Geld ist da, nur der politische Wille fehlt
Doch bei aller Kritik an den üblichen Rede-Gipfeln wie der aktuelle, bei der die Zahlungsverweigerung der reichen Staaten oft nur mit rhetorischen Feigenblättern verdeckt wird, gibt es auch Positives zu vermelden. Viele der auf der Tagesordnung stehenden Themen greifen Vorschläge einer Gruppe von Entwicklungsländern auf, die von der Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, angeführt und als "Bridgetown-Initiative" bezeichnet wird.
Mottley ist bereits zu einer Ikone auf Klimagipfeln geworden. In ihrer Rede auf der Konferenz in Glasgow im Jahr 2021 kritisierte sie in scharfen Worten die leeren Versprechen hinter den netten Worten der Regierungschefs der Industriestaaten.
Sowohl bei den Angeboten zur Emissionsreduktion, als auch bei der Klimafinanzierung und Unterstützung zur Bewältigung von Klimaschäden ließen die reichen die armen Länder im Regen stehen, so die Regierungschefin der Inselrepublik.
Die Ausrede, es gäbe kein Geld, lässt sie nicht gelten. So hätten die Zentralbanken der reichsten Staaten in den letzten zehn Jahren 25 Billionen Dollar zur Stimulierung der Wirtschaft mobilisiert, neun Billionen allein für den Kampf gegen die Pandemie in den ersten 18 Monaten. Mit diesen Summen, so Mottley, könnten die globale Energie-, Agrar- und Transportwende sofort umgesetzt werden und garantieren, dass die Obergrenze von 1,5 Grad Celsius Erderhitzung nicht überschritten werde.
Wie viele Schreie der Menschheit, wie viele Bilder des Leids müssen wir noch sehen, damit die 200 hier Versammelten endlich reagieren?
Der Druck von den Entwicklungsländern auf die Regierungen der reichen Staaten nimmt also zu. Das gestiegene Selbstbewusstsein von Schwellenländern wie Brasilien und China hilft, diesem Druck den nötigen geopolitischen Nachdruck zu verleihen.
Zudem wird die Forderung nach einer echten Kehrtwende auch in den Industrienationen lauter. Mehr als 140 Ökonomen und Politikexperten haben Anfang der Woche zum Paris-Gipfel einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie die Staats- und Regierungschefs der reichen Länder auffordern, die lebensbedrohlichen Krisen, die vom Klimawandel und der Ungleichheit ausgehen, durch eine Umverteilung von Billionen Dollar an die armen Länder zu bekämpfen.
"Den Klimazusammenbruch aufzuhalten ist keine Raketenwissenschaft", sagte der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel, der den Brief unterzeichnet hat, in einer Erklärung.
Die Regierungen müssen aufhören, die fossile Brennstoffindustrie zu subventionieren. Internationale Banken müssen den Ländern des Globalen Südens ihre Auslandsschulden erlassen. Und wir müssen extremen Reichtum besteuern.
Die ständige Behauptung, dass die öffentlichen Finanzen knapp sind, sei ein Mythos. Das zeigten die Billionen-Aufwendungen für Unternehmen im Zuge der Finanzkrise oder der Pandemie sowie die horrenden Summen, die für Militär und Rüstung jedes Jahr ausgegeben werden.
Die Unterzeichner des Briefs an die Regierungen der reichen Länder fordern drei zentrale Maßnahmen, um zusätzliche Mittel für die faire Schuldenbegleichung freizusetzen.
1. So sollte die Finanzierung von fossilen Brennstoffen eingestellt werden. Damit könnten 500 Milliarden Dollar pro Jahr allein in den G20-Staaten freigesetzt werden.
2. Die unrechtmäßigen Schulden des Globalen Südens müssten gestrichen werden, was circa 300 Milliarden Dollar jährlich einbringen würde.
3. Die Reichen sollten endlich besteuert werden. So haben die wohlhabendsten ein Prozent zwei Drittel des in den letzten zwei Jahren neu geschaffenen weltweiten Reichtums für sich beansprucht, während gleichzeitig die Ungleichheit und die Armut global enorm zunehme, so stark wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Progressive Steuern auf extremen Reichtum, beginnend bei zwei Prozent, könnten 2,5 bis 3,6 Billionen Dollar pro Jahr einbringen. Weitere Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung würden die Summe noch erheblich steigern.
Gemäß Experteneinschätzung "summieren sich diese bescheidenen Vorschläge auf 3,3 Billionen Dollar pro Jahr. Eine neue Studie in Nature Sustainability schätzt die fairen Klimaschulden der reichen Länder auf das Doppelte, nämlich sieben Billionen Dollar pro Jahr bis 2050".
Genügend Geld ist also vorhanden, ohne den Wohlstand in den Industriestaaten für die Normalbürger:innen zu gefährden. Moralisch gibt es zudem keinen Grund, die Tilgung der Schulden, die die reichen Länder aufgehäuft haben, vor dem Hintergrund des Verursacher- und Profiteurprinzips weiter zu verweigern. Die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen verlangt es zudem.
Es ist an der Zeit und dringend notwendig: Die Reichen müssen endlich zur Kasse gebeten werden. Das wird allen zugutekommen, da nur derart die Erde belebbar und sicher gehalten werden kann.
Außerdem werden die eskalierenden Krisen im Globalen Süden zunehmend die Krisen des Globalen Norden – und das gilt nicht nur in Hinsicht auf Flucht und Migration. Der Sondergesandte des US-Präsidenten für das Klima, John Kerry, sagte am 13. Juni 2023 vor dem UN-Sicherheitsrat:
Lassen Sie mich zunächst allen sagen, dass es inzwischen unbestreitbar ist, dass die Klimakrise eine der größten Sicherheitsbedrohungen darstellt, nicht nur für die Industrieländer, sondern für den gesamten Planeten, für das Leben auf der Erde selbst. Und es ist eine Krise, die die Länder schon heute jedes Jahr Milliarden von Dollar kostet, die wir nicht einmal zur Verhinderung, sondern nur zur Beseitigung des Schlamassels ausgeben. Und was am wichtigsten ist: Sie kostet die Welt Millionen von Menschenleben. Sie ist eine aktive Bedrohung für die Lebensgrundlagen und den Frieden der Menschen überall auf diesem Planeten.
Das sagt Kerry, Abgesandter der USA! Ist es also wirklich unmöglich, den politischen Willen zu finden, aus solchen Worten die entsprechenden Geldflüsse entspringen zu lassen?
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