"Fitzmas in October"
Sonderermittler Fitzgerald erhebt erste Anklage gegen den Stabschef des US-Vizepräsidenten Lewis Libby, der bereits zurückgetreten ist - Die Bush-Regierung stürzt damit in die bislang schwerste Krise
Dem 44-jährigen Sonderermittler Patrick Fitzgerald, der als unbestechlich, unpolitisch und rein auf die Rechtslage fixiert gilt, steht bei seinen Untersuchungen ein weit reichendes rechtliches Instrumentarium zur Verfügung, das von Behinderung der Justiz über Verschwörung bis zum Geheimnisverrat reicht. Fitzgerald hatte seine Mitarbeiter unter Strafandrohungen angewiesen, im Vorfeld der Pressekonferenz nichts auszuposaunen, was in der Blogosphäre und in der Presse zu wildesten Spekulationen führte. Der Bericht ist dabei nur eine erste Zwischenstation in den Ermittlungen, die Dutzende von Regierungsmitarbeitern betreffen. Fitzgerald: "It's not over."
Seit Freitagmittag Washingtoner Ortszeit ist es heraus: Der Top-Berater von Vizepräsident Dick Cheney und einer der Neokonservativen im inneren Zirkel der Macht in Washington, Lewis "Scooter" Libby, wird angeklagt. Die vom US-Justizministerium bestellte Grand Jury erhob in fünf Punkten Anklage - Falschaussage, Rechtsbehinderung, Meineid
Vordergründig geht es um die Klärung der Frage, welche Personen die CIA-Agentin Valerie Plame vorsätzlich enttarnt haben und unter welchen Umständen. Am 14. Juli 2003 war ihr Undercover-Status von dem rechten Kolumnisten Robert Novak unter Berufung auf "zwei hochrangige Regierungsvertreter" enthüllt worden.
Unbestritten ist, dass die Enttarnung – potentieller Geheimnisverrat nach dem "Intelligence Identities Act" von 1982 - als Racheakt erfolgte. Denn Plames Ehemann, der Ex-Diplomat Joe Wilson, hatte eine Woche zuvor die Behauptung des Weißen Hauses, Irak habe sich atomwaffenfähiges Uran aus Niger verschafft, in der "New York Times" nach Recherchen, mit denen ihn die CIA beauftragt hatte, widerlegt. Schlimmer noch: Er beschuldigte das Weiße Haus, unter falschen Vorwänden den Irak überfallen zu haben.
Inzwischen fällt Fitzgerald eine Aufgabe zu, die die amerikanischen Mainstream-Journalisten, die Geheimdienstausschüsse des Parlaments und die oppositionellen Demokraten sträflich vernachlässigt haben: die Aufklärung der These, die Wilson vor zwei Jahren aufstellte. Fitzgerald stochert dabei offenbar nicht nur im Lügengespinst herum, das die Kriegstreiber im Weißen Haus mithilfe der internen PR-Kampagne "White House Iraq Group" gesponnen haben (Fabrikation der Beweise für den Irak-Krieg), sondern nähert sich der oder den Spinnen darin selbst an. Nicht nur Bushs Chefberater Karl Rove (Der Zauberer von Bush) und der Cheney-Vertraute Lewis Libby stehen im Zentrum der Ermittlungen, sondern der Vizepräsident Dick Cheney selbst. Laut New York Times diskutierte Cheney Plames CIA-Identität mit seinem Berater Libby Wochen, bevor sie ausposaunt wurde - was Libby gegenüber Sonderermittler Fitzgerald anders dargestellt hatte, um seinen Boss zu schützen.
Für Aufregung hatte wenige Tage vor Fitzgeralds Untersuchungsbericht schon der Büroleiter von Ex-Außenminister Colin Powell, Lawrence Wilkerson, gesorgt, der die außenpolitischen Entscheidungen der USA einer "Geheimrunde", angeführt von Dick Cheney und Pentagonchef Donald Rumsfeld, zuordnete (Selbstmörderische Regierungspolitik und Intrigen in Washington). Nach Auffassung zahlreicher Beobachter befindet sich die Bush-Administration seit dieser Woche auf einem absoluten Tiefstand. Am Dienstag überschritt die Zahl der im Irak getöteten Amerikaner die Grenze von 2000, was tags darauf im ganzen Land Hunderte von gut platzierten Mahnwachen auf den Plan rief. Die Benzinpreise im Land der Geländewagenfahrer bewegen sich außerdem weiterhin auf Rekordhoöhe - was den unpolitischen "Joe Sixpack", den Mann auf der Straße, nicht gerade versöhnlich stimmt.
Und Bushs Wählerbasis, ein in Krisenzeiten ureigentliches Unterstützerklientel, ist politisch gespalten: Die einen haben sich hinter Bushs Wunschkandidatin für den Supreme Court, Harriet Miers, gestellt, die anderen wenden sich ab, weil sie keinen Abtreibungsfundamentalismus propagiert. "Plamegate", das von amerikanischen Linken erfreut als "Fitzmas in October" - in Anspielung auf "Christmas in December" (Weihnachten im Dezember) - bezeichnet wird (Searching the Weapons of Mass Disinformation), löst nicht nur in den Innereien von Washington Krämpfe aus, sondern hat auch internationale Dimensionen. Denn der irakische "Uranerwerb" aus Niger beruht auf gefälschten Dokumenten, die in Italien aufgetaucht waren, und über die der italienische Militärgeheimdienst nähere Kenntnisse hat (Fabrikation der Beweise für den Irak-Krieg) - was Fitzgerald in die Untersuchung mit aufgenommen hat.
Der ehemalige legendäre Mitarbeiter der "Washington Post", Carl Bernstein, der den "Watergate"-Skandal mit enthuellt hatte, warnte einerseits davor, "Plamegate" mit "Watergate" zu vergleichen. Andererseits sagte er einen Satz, den sich Bush-Gegner auf der Zunge zergehen lassen können:
In the case of the disclosure of the identity of Valerie Plame, there also has been a political cover-up, not necessarily a criminal one, having to do with the question of how we went to war and the smearing of this administration's opponents. The question of whether or not there is criminal culpability by Lewis Libby or Karl Rove is less-important, I believe, than the fact that their actions have finally shed light on questions that long ago should have been examined much more closely by the press and the political establishment, and particularly the president's fellow Republicans.