Fabrikation der Beweise für den Irak-Krieg
Möglicherweise werden heute oder in den nächsten Tagen hohe Regierungsvertreter im Weißen Hauses von einem Sonderermittler wegen Geheimnisverrats angeklagt, eigentlich aber geht es um die Kriegslügen der Bush-Regierung
Die Bush-Regierung ist in Bedrängnis, Anspielungen auf Watergate gibt es zuhauf (Selbstmörderische Regierungspolitik und Intrigen in Washington). Mit der Affäre um die Entlarvung der CIA-Agentin Valerie Plame ist eine ganze Reihe von wichtigen Mitarbeitern des Weißen Hauses bis hin zu Vizepräsident Cheney verstrickt. Angeklagt werden könnten etwa Karl Rove, Berater von US-Präsident Bush, oder Lewis Libby, Vizepräsident Cheneys Stabschef, der für den Vizepräsidenten mit dem ominösen Office of Special Plans die "Beweise" für den gewünschten Krieg gegen den Irak zusammen zimmerte, nachdem die Geheimdienste nicht richtig mitzogen und sich nicht ganz von der Wahrheit entfernen wollten (Das Geheimherz der Lügenfabrik). Bei Valerie Plame – die zur Lewinsky der Bush-Regierung zu werden droht - geht es um gefälschte Dokumente, um die "16 Worte" von Bush und darum, ob Mitglieder des Weißen Hauses direkt an der Fabrikation von falschen Behauptungen beteiligt waren (The White House Iraq Group and the Case for War in Iraq). La Repubblica hat neue Einzelheiten zum "Nigergate" veröffentlicht.
Zu den 2000 gefallenen US-Soldaten und den Lügen zum Irak-Krieg haben THe United American Blogs ein Video veröffentlicht.
Sobald 2003 die Internationale Atombehörde im März 2003 endlich die Dokumente erhalten hatte, die angeblich beweisen sollten, dass der Irak unter Saddam Hussein versucht habe, 500 Tonnen Uranoxid vom Niger zu kaufen, stellte es sich schnell heraus, dass die Dokumente auf offiziellem Briefpapier der Regierung Nigers eine plumpe Fälschung waren und daher Bush in seiner Rede an die Nation am 29.01.2003 mit seinen "16 Worten" die Unwahrheit sagte (Die Demokratie ist in Gefahr). Den schon lange beschlossenen Krieg konnte das natürlich nicht aufhalten. Zuvor hatte Außenminister Powell im Dezember 2002 in seiner Rede vor der UN ebenfalls die Behauptung, der Irak habe ein Atomwaffenprogramm, damit begründet. Nach Bushs Aussagen noch einen Monat später habe man Geheimdienstinformationen über die Existenz von chemischen, biologischen und nuklearen Massenvernichtungsmitteln im Irak, das damalige Hauptargument für eine militärische Intervention aufgrund der Verletzung der UN-Resolution. Bush schob allerdings die Behauptung über die Beschaffung des Uran aus dem Niger den Briten zu:
The British government has learned that Saddam Hussein recently sought significant quantities of uranium from Africa.
Lange bot man in der britischen und der amerikanischen Regierung alle rhetorischen Kniffe auf, die Spindoktoren ziehen können, um zu verschleiern, dass man entweder einem billigen Betrug aufgesessen sei oder Dokumente gefälscht habe (Schwierige Suche nach Sündenböcken). Da war etwa die Rede vom Geheimdienst eines weiteren Landes, das aber nicht genannt werden wollte. Man versuchte auch, hier eine Spur zum französischen Geheimdienst zu legen, um dem Kriegsgegner Frankreich die Schuld in die Schuhe zu schieben. Blair, auf den der Große Bruder alles abwälzte, wollte sich herauszureden, dass man die Erkenntnisse gar nicht auf diese Dokumente gestützt habe. Schließlich musste auch noch der damalige CIA-Chef Tenet zu Hilfe eilen und die Schuld auf den Geheimdienst laden, der sich eigentlich doch gerade als Lügenlieferant störrisch verhalten hatte. Die US-Regierung versuchte sich mit Unwissen und Unschuld zu verteidigen, obgleich der CIA schon seit Ende 2001 von diesen Dokumenten wusste und sie nicht als glaubwürdig betrachtet hatte (u.a. wegen dieser Unbotmäßigkeit wurde ja das Office of Special Plans in Gang gesetzt). Im Weißen Haus wollte man davon aber nie etwas gehört haben.
Der ehemalige, medialer Aufmerksamkeit nicht abgeneigte Botschafter Joseph Wilson brachte sich auch selbst ins Spiel und bekannte, vom CIA oder gar von Cheney beauftragt 2002 in den Niger gereist zu sein und festgestellt zu haben, dass die Dokumente gefälscht waren und die Story nicht glaubwürdig ist. Damit war wohl für die CIA der Fall endgültig erledigt, nicht aber für das Weiße Haus. Wilson tat die Ergebnisse seiner Erkundungen öffentlich am 6. Juli 2003 in der New York Times kund, kurz darauf deckte der regierungsnahe Journalist Robert Novak auf, dass nach verlässlichen Informanten aus dem Weißen Haus die Frau von Wilson eine CIA-Agentin ist. Das wurde gemeinhin als Rache des Weißen Hauses verstanden. Das ist eine Straftat in den USA – und Bush kam gerade unter den von ihm gesteckten Bedingungen des Kriegs gegen den Terror nicht umhin, eine schonungslose Aufdeckung zu versprechen.
Kompliziertes Gemauschel
Am 16. Juli veröffentlichte die italienische Zeitung La Repubblica die gefälschten Dokumente und beschrieb, dass der italienische Geheimdienst Sismi in die Affäre von Anfang verwickelt war. Eine heiße Geschichte, da Berlusconi Italien an der Seite von Bush und Blair in den Krieg geführt hat, während die Mehrheit der Bevölkerung dagegen war. Heiß war dies auch deswegen, weil darin die Journalistin Elisabetta Burba von der Zeitschrift Panorama verwickelt war, die zu Berlusconis Medienreich gehört. Schon 2002 stand in einem Artikel dieser Zeitschrift, dass der Irak sich Uran von Nigeria (nicht Niger) besorgt habe. Burba hatte die gefälschten Dokumente schließlich zur amerikanischen Botschaft gebracht, die diese sofort nach Washington sendete.
Erhalten hatte sie diese von Rocco Martino, einem ehemaligen Carabinieri und Sismi-Mitarbeiter, der seit 1999 in Luxemburg lebte und sein Geld als Informant des französischen Geheimdienstes verdient. Dieser hatte wiederum mit der Hilfe und im Auftrag von alten Sismis-Bekanntschaften Briefpapier und Stempel aus der Botschaft Nigers durch einen fingierten Einbruch Anfang 2001 beschafft.
La Repubblica hat nun eine Serie von Artikeln über "Nigergate" veröffentlicht, die noch einmal die ganze Geschichte aufrollen und sie näher an die italienische Regierung und ans Weiße Haus heranbringen. Nach Informationen der Zeitung haben Martino und Antonio Nucera, ein Sismi-Mitarbeiter, ursprünglich den Plan ausgeheckt, sich mittels Mitarbeitern der Botschaft das Notwendige für eine Fälschung zu holen. Dabei spielte eine 60-jährige Frau, eine Rolle, die nur als "La Signora" in dem Zeitungsartikel auftaucht. Sie habe wiederum den ersten Konsul Zakaria Yaou Maiga hingewiesen, der schließlich einen Einbruch vortäuschte, den ein Botschaftsangehöriger dann Anfang Januar 2002 der Polizei meldete. Mit dem Material wurde beispielsweise ein auf Juli 2000 datiertes Dokument gefälscht, das Verhandlungen zwischen Irak und Niger belegen sollte. Martino habe man gebraucht, um die Dokumente zu überbringen und die Beteiligung von Sismi verdeckt zu halten. Mit den guten Beziehungen von Martino zum französischen Geheimdienst versuchte man nach geglückter Fälschung die Dokumente diesen zu verkaufen, so dass man für das erste darauf sitzen blieb, bis der 11.9. kam. Nach Geheimdienstchef Pollari, der La Repubblica ein Gespräch gewährte, wollte Nucera einfach nur Martino helfen.
Dann geht es mit Oktober 2001 weiter, als der Plan im Weißen Haus schon fertig war, in den Irak einzumarschieren, wenn Afghanistan als erstes Ziel eingenommen und der Krieg gegen ein zweites, nicht mit al-Qaida verbundenes Land trotzdem als notwendige Weiterführung des Kriegs gegen den Terror legitimiert werden konnte. Damals hatte Nicolo Pollari, der Chef des italienischen Militärgeheimdienstes Sismi, bereits die CIA davon benachrichtigt, dass der Irak versucht habe, Uran (Yellowcake) aus dem Niger zu kaufen. Das könnte bestätigen, dass der Irak bereits im Visier stand und die engen Verbündeten wie Blair und eben Berlusconi bereits ins Vertrauen gezogen worden waren. Die CIA scheint aber auf die "Beweise" nicht angesprungen zu sein.
Nach La Repubblica war für Berlusconi und Pollari das Hauptmotiv, Anerkennung von den Amerikanern als Verbündete zu erhalten. Der italienische Geheimdienst sollte eine wichtige Rolle spielen und daher Beweise für Saddams Schuld herbeischaffen, die das Weiße Haus begehrte. Als die CIA blockierte ging man den direkten Weg ins Weiße Haus. Pollari traf sich am 9. September 2002 angeblich geheim in Washington mit dem damaligen Nationalen Sicherheitsberater Stephen Hadley, der unter Condi Rice arbeitete und gute Verbindungen auch zu Cheney hatte. Das habe ein leitender Mitarbeiter von Sismi der Zeitung auch bestätigt. Dort dürfte es nach der Zeitung aber nicht nur um die Niger-Dokumente gegangen sein, sondern auch um die ebenso ominösen Aluminiumröhren für Zentrifugen zur Herstellung von Plutonium, für die Sismi angeblich Beweise hatte. Einen Tag zuvor waren sie von Judith Miller als smoking gun präsentiert worden.
24 Stunden später, so La Repubblica, erschien in der New York Times auf der ersten Seite der Artikel White House Lists Iraq Steps to Build Banned Weapons von Judith Miller und Michael Gordon, die so tapfer ihren Informanten vor dem Sonderermittler Patrick Fitzgerald gedeckt und dafür sogar ins Gefängnis gegangen war (allerdings geht es hier vornehmlich um die Zentrifugen, eine andere Schwindelstory). Die einstige Starjournalistin mit ihren guten Verbindungen, die gerne über Massenvernichtungswaffen geschwafelt und darüber auch ein Buch veröffentlicht hatte, war allerdings schon abgestürzt, nachdem im Irak nichts gefunden worden war und sich die New York Times für ihre regierungskonforme Berichterstattung entschuldigt hatte (Seltene Selbstanzeige). Dass Miller zutiefst in der Sache steckt, ist mittlerweile allen klar, die New York Times ist nun diskreditiert, weil sie so lange zu ihr stand. Drei Tage danach erschien der schon erwähnte Artikel in Panorama. Schließlich veröffentlichte die britische Regierung ihr erstes Geheimdienstdossier über die angeblichen Massenvernichtungswaffen Husseins (Beweise jenseits allen Zweifels ...), mit dem der "Beweisgang" eröffnet und der Weg zum Krieg endgültig eingeschlagen wurde.
Es gibt auch Vermutungen, dass die dubiose Neocon-Ikone Michael Ledeen, ein alter Kriegstreiber, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater, Mitglied des American Enterprise Institute (AEI), verwickelt bereits in die Iran-Contra-Affäre und verwoben mit dem Weißen Haus, mit Nigergate verbunden ist. Ledeen hat bekanntermaßen als "Italienexperte", der er unter anderem ist, auch Kontakte zur italienischen Regierung und zum Geheimdienst.
Die italienische Regierung hat die Behauptungen der Zeitung inzwischen als unbegründet und haltlos zurückgewiesen. Es gebe keinerlei Verbindungen zwischen den gefälschten Dokumenten und Sismi oder der Regierung. Das hätten auch Untersuchungen ergeben, die von britischen und amerikanischen Berichten bestätigt worden seien.