Fliegende Kisten

"Trine" kombiniert Action-Abenteuer mit Physik-Labor

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit selbst gebauten Brücken über Abgründe: Das finnische Videospiel Trine ist ein kniffliger Rätsel-Parcours - und eines der schönsten Games des Jahres.

Die Story ist nun wirklich Fantasy-Konfektionsware. Da ist der tumbe Ritter Pontius, ein Haudrauf, der gerne Held wäre. Dann die schöne Diebin Zoya, gewandt und verschlagen, immer auf der Jagd nach dem nächsten Glitzerkram. Und, um das klischeebeladene Trio zu vervollständigen, der Magier Amadeus, der mit Feuerbällen gerne die holde Weiblichkeit beeindrucken würde, aber damit noch nicht sehr weit gekommen ist. Der Zufall will, dass sie alle zur gleichen Zeit über ein magisches Artefakt, das Trine, stolpern. Dabei werden die drei Möchtegern-Abenteurer zu einer Person verschmolzen: Ein auf Dauer untragbarer Zustand, den sie nur hinter sich lassen können, wenn sie das Geheimnis des Trine erforschen und nebenbei auch noch das Königreich von fiesen Untoten befreien.

Aus Antihelden, die auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet sind, lässt sich gemeinhin viel komisches Kapital schlagen - man denke nur an die Filme "Oh brother, where art thou" oder "Shrek". Den Machern von "Trine", der finnischen Spieleschmiede Frozenbyte, geht es aber um etwas ganz Anderes. Die Grundkonstellation dient vor allem dazu, das bestechende Spielprinzip zu etablieren: Per Mausklick schaltet der Spieler zwischen den drei Charakteren hin und her und nutzt ihre jeweiligen Fähigkeiten, um Hindernisse und Monster zu überwinden.

"Trine" ist ein Sidescroller mit Puzzle- und Kampfeinlagen, der seinen Retro-Touch geflissentlich kultiviert. Eine ähnliche Spielidee findet sich bereits in Blizzards Konsolen-Klassiker The Lost Vikings, das 1992 drei pixelige Nordmänner auf eine Odyssee durch feindliche Gefilde schickte. Aber "Trine" ist nicht nur ein flexibles Spiel mit wechselnden Fähigkeiten, sondern auch ein Labor für spannende Physik-Knobeleien - Pate stand hierbei ganz offensichtlich LittleBigPlanet.

Auf ihrer Suche nach dem Geheimnis des Artefakts überwinden Pontius, Zonya und Amadeus haufenweise Hindernisse und nutzten dabei die Gesetze der Schwerkraft. Der beschwerliche Weg führt über kochende Lavabecken, kippende Plattformen, mit Pfählen gespickte Abgründe und rotierende Riesenzahnräder. Zu allem Überfluss sind die 15 Level auch noch von aggressiven Knochenmännern, Fledermäusen und Riesenspinnen bevölkert. Bei diesen Begegnungen der eher unfreundliche Art zahlt sich Pontius' urgewaltige Kampfkraft aus. Mit Schild und Schwert schlägt er sich durch die feindlichen Reihen, Felsblöcke und schwere Kisten dienen ihm als Wurfgeschosse. Zonya kämpft lieber auf Distanz, schießt mit ihrem Bogen Feuerpfeile auf verschanzte Gegner und durchtrennt damit auch Stricke, um Kettenreaktionen auszulösen. An einem Seil mit Enterhaken schwingt sie sich über gähnende Abgründe und zieht sich zu hohen Plattformen hinauf, wo Heiltränke und Schatztruhen warten. Amadeus schließlich kann Kisten und Planken aus dem Nichts entstehen lassen und sie anschließend durch die Luft bewegen. Das ist sehr nützlich, um beispielsweise ein Gewichte-Rätsel zu lösen.

Den größten Reiz von "Trine" macht aus, dass es in nahezu jeder Situation mehrere Lösungswege gibt: Das erhöht die Experimentierfreude und den Wiederspielwert. Typische Spielsituationen erfordern meist eine Kombination aus allen Fähigkeiten: Der Magier schubst mit telepathischen Kräften einen an der Decke aufgehängten Rollschlitten an; die Diebin hängt sich blitzschnell mit dem Seil an die Unterseite des Schlittens und lässt sich über den Abgrund tragen; auf der anderen Seite angekommen, erledigt der Krieger mit gewaltigen Schwerthieben die versammelte Skelett-Meute. Teamwork eben.

Mit der Zeit sammelt das fusionierte Trio viele Erfahrungs-Elixiere ein, die es in neue Fähigkeiten und bessere Ausrüstung investieren kann. Pontius verfügt dann über einen todbringenden Kriegshammer, während Amadeus noch mehr Kisten und Planken zu gleicher Zeit manifestieren kann. Magische Artefakte, an schwer zugänglichen Orten platziert, verleihen den Charakteren Spezialeigenschaften wie Unterwasseratmung oder Trefferresistenz; die wunderbringenden Fundstücke können auch zwischen den Spielfiguren getauscht werden. Dieses Upgrade-System ist aber bewusst schlank gehalten, wie überhaupt das Gameplay seine Stärke aus der Grundidee und ein paar wenigen, trefflich kombinierten Hindernis-Zutaten zieht.

Das erste, was an "Trine" auffällt, ist natürlich die erstklassige Grafik: Die farbenfrohen, stimmig ausgeleuchteten Wald-, Höhlen- und Kerker-Level sind eine Augenweide und lassen fast vergessen, dass sich die Handlung nur auf der Rechts-links-Achse vollzieht. Auch die zurückhaltend feierliche Musik trägt zur dichten Atmosphäre bei.

Dass "Trine" trotzdem keine Höchstwertung erhält, liegt denn auch eher an der Summe kleinerer Fehler, die im Spielablauf und bei der Benutzerführung anfallen. Die Steuerung ist bei Sprüngen und Kämpfen präzise, hakt aber manchmal, wenn Amadeus seine herbeigezauberten Objekte richtig platzieren will. Auch die Physik reagiert nicht immer naturgetreu: Ohne Fremdeinwirkung fängt eine Schaukel plötzlich an zu schwingen, weil sie - nun ja - das offensichtlich muss, um unser Fortkommen zu behindern. Die Skelette sind nicht besonders intelligent (was will man von den Hohlschädeln auch erwarten), greifen brav der Reihe nach an und gehen auch nicht in Deckung, wenn sie von Zonya beschossen werden.

Größere Abstriche müssen, wie bereits erwähnt, bei der faden Story gemacht werden, die mit einer langweiligen deutschen Synchronisation einhergeht. Kaum nachvollziehbar ist schließlich, dass Frozenbyte den Multiplayer-Modus tief in den Auswahlmenüs versteckt hat - bei einem Spiel, das geradezu nach Multiplayer schreit. Der Koop-Modus eröffnet viele neue Möglichkeiten, weil die drei Spielfiguren die Hindernisse gemeinsam bewältigen und damit auch zeitgleich die Level-Physik beeinflussen können. Leider gibt's das Ganze nur offline und mit den - im Vergleich zu Tastatur und Maus - nicht ganz so präzisen Game-Controllern.

Zuletzt gab es noch Irritationen um die Preisgestaltung und das Veröffentlichungsdatum von "Trine". Die PC-Version, seit Anfang Juli über Steam erhältlich, kostet knapp 30 Euro (Demo). Das ist etwa doppelt so viel, wie Käufer voraussichtlich für die Konsolen-Fassung werden zahlen müssen. Wann genau das Spiel für die PS3 herauskommt, steht allerdings noch nicht fest - "im Spätsommer", sagt Frozenbyte-Sprecher Joel Kinnunen. Ob und wann es eine Version für die Xbox 360 geben wird, ist auch noch nicht so ganz klar. Für die Konsolen-Portierung ist die Firma Atlus zuständig, Frozenbyte hat da offenbar nur wenig Einfluss. "Trine" hätte einen Markterfolg auf jeden Fall verdient, denn es kann Rätsel- und Action-Fans gleichermaßen begeistern. Auf der Videospielemesse E3 in Los Angeles wurde es völlig zurecht mit dem Editors' Choice Award ausgezeichnet.