Flüchtlingspolitik: Warum wem "tatsächlich unbürokratisch geholfen" wird
- Flüchtlingspolitik: Warum wem "tatsächlich unbürokratisch geholfen" wird
- Willkommenskultur mit eindeutig politischen Ambitionen
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Mitleid greift dort, wo ein Feind des Westens ein bestimmtes Land angreift, sagt Freerk Huisken. Aus einem Gespräch über die Neuauflage der deutschen Willkommenskultur
Der Krieg in der Ukraine erzeugt, wie aus allen bisherigen Kriegen bekannt, eine große Fluchtbewegung. "Auf acht bis zehn Millionen" werde die Zahl der aus der Ukraine wachsen, so die Prognose von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der sich früher immer nur für eine "begrenzte Anzahl" von Flüchtlingen ausgesprochen hat, wollte zügig 100.000 aufnehmen. Anderswo, gerade in den osteuropäischen Staaten, gibt es ebenfalls eine erstaunliche Offenheit zur Aufnahme weiterer Kontingente.
Mehr als 700.000 waren bereits Mitte Mai in Deutschland erfasst, genaue Zahlen sind wegen Weiter- und Rückreise nicht bekannt. Es gibt eine Aufnahmebereitschaft, die es bislang für Kriegsflüchtlinge aus anderen Gebieten so noch nie in Deutschland gegeben hat – stattdessen: Beschäftigungsverbote, Gutscheine statt Geld etc. – was alles der Abschreckung diente.
Eins kann man hier also schon vorwegnehmen: In der neuen deutschen Flüchtlingspolitik zeigt sich deutlich eine Ungleichbehandlung, die eine Unterscheidung zwischen wertvollen und vermeintlich minderwertigen Menschen vornimmt.
Die 180 Grad-Wende – äußerst selektiv
Deutschland hat den Milliarden-schweren Waffenlieferungen und dem noch teureren Aufrüstungsprogramm – wie schon 2015 von der Zivilgesellschaft gefordert und dann von Kanzlerin Merkel ("Wir schaffen das!") verbindlich gemacht – wieder eine Willkommenskultur hinzugefügt.
Dazu seien hier einige zentrale Aussagen des emeritierten Hochschullehrers Freerk Huisken aus einem Interview bei "99 zu eins" zusammengefasst.
Freerk Huisken, der an der Universität Bremen zur politischen Ökonomie des Ausbildungssektors forschte, arbeitet an der marxistischen Zeitschrift Gegenstandpunkt mit und hat zum Thema Flüchtlingspolitik zwei Bücher vorgelegt: 2016 die Flugschrift "Abgehauen - eingelagert, aufgefischt, durchsortiert, abgewehrt, eingebaut" und 2020 die "Flüchtlingsgespräche 2015ff.", die sich als Hilfe zur Auseinandersetzung mit den "Ja-aber-Deutschen" in Sachen Ausländerfeindlichkeit verstehen und die auf Diskussionen des Autors bei seinen zahlreichen Vorträgen und auf die darauf entstandene Korrespondenz rekurrieren.
Der neue Umgang mit den Flüchtlingen aus der Ukraine – was passiert hier und inwiefern hat sich tatsächlich etwas verändert?
Freerk Huisken: Selbst der bürgerlichen Presse ist aufgefallen, dass im "Umgang mit Flüchtlingen" doch "erhebliche Veränderungen" vorgenommen worden sind. Zur Erinnerung: Noch Ende letzten Jahres hatte Polen seine Grenze zu Belarus brutal gegen einige tausend Flüchtlinge abgedichtet. Und dabei auch Tote in Kauf genommen. Für die freie Presse werden die hässlichen Folgen der "Festung Europa" mit dem "Massensterben im Mittelmeer", den "Lagerbränden in Griechenland" und der "Konzentration" von "aufgefischten" Flüchtlingen in Lagern in Libyen etc. mit einem gewissen moralischen Bedauern, aber eben als unvermeidbar zur Kenntnis genommen.
Und dann die besagte 180 Grad-Wende: enorme Menschenmassen, die vor dem Krieg flüchten, werden jetzt in den Anrainerstaaten Polen, Rumänien usw. aufgenommen. Also in Staaten, die ihre Grenzen fast lupenrein abgedichtet hatten oder jeden Flüchtling abwiesen.
"Herrschende Ausländerfeinde"
Eine große Hilfewelle zeichnet jetzt ganz Europa aus, Bürger bieten Hilfe an, die weit über die deutsche Willkommenskultur von 2015 hinausgeht. Und das wird von der Politik, den "herrschenden Ausländerfeinden", total befördert. Moralische Heuchelei ist bei allen Politikern angesagt, um sich und die Bürger zu Hilfeleistungen zu verpflichten.
Diese plötzlich wieder entdeckte Aufgabe kann natürlich irritieren. Um die "europäische Glaubwürdigkeit"sorgen sich daher die Schrei ber von der Vierten Gewalt, die sich ja als Diener am Wirken der Staatsgewalt verstehen.
Wenn jetzt unbedingt gehandelt werden muss, wäre ja die rein logische Konsequenz die Öffnung der Außengrenzen Europas für alle Flüchtlinge, die sich in den "Lagern stauen." Bzw. umgekehrt müsste man, um die Glaubwürdigkeit zu erhalten, die Grenzen zur Ukraine wie überall abschotten. Statt dessen soll man zwei diametral sich gegenüberstehende Umgangsweisen – die einen werden mit offenen Armen aufgenommen, die anderen aus Syrien, Afghanistan usw. haben hier nichts zu suchen – sinnvoll finden.
Jetzt, in Kriegszeiten gehört sich also überhaupt kein Zweifel an den staatlichen Umgangsweisen mit Problemfällen; da müssen die verlogenen Begründungen der Politik "glaubwürdig" für die Bevölkerung "rüberkommen", das weiß die Presse. In diesen Zeiten bedarf es der völligen Übereinstimmung von Volk und nationaler Führung. Alles andere würde die Parteilichkeit für den Krieg stören und damit den Fortgang des Sterbens…
Man könnte sagen, der Umgang war früher mit den Flüchtlingen aus Afghanistan, Afrika, Asien insgesamt anders und hatte nicht den Zweck, Flüchtlingen zu helfen. Jetzt hat sich doch konkret etwas geändert, den Flüchtlingen aus der Ukraine wird tatsächlich geholfen. Ein Zustand, der doch wünschens- und begrüßenswert ist, oder?
Freerk Huisken: Diese neue, politisch initiierte Willkommenskultur ist überhaupt nicht "selbstlos." Ihr Zweck ist nicht die Bewältigung des Elends der Flüchtlinge, in das sie durch den Krieg gebracht wurden. Wenn die Politik eingesehen hätte, dass Jahrzehnte ihrer Abschottungspolitik falsch waren und bei den Ukrainern jetzt die Kehrtwende vollzogen werden müsste, dann wäre doch gleich die Frage fällig, wieso nur bei den Ukrainern?
Warum nicht bei den Elendsgestalten aus den Lagern Griechenlands oder Kenias, bei den Kriegsflüchtlingen aus Syrien, Libyen, dem Jemen usw.? Der erste Schluss, den es also zu ziehen gilt: Es ist augenscheinlich, "dass Flüchtlinge, nicht gleich Flüchtlinge sind". Genügend Menschen aus anderen Kriegs- und Krisengebieten, die hier Schutz suchen wollten, sind ja abgewiesen worden. Und an solchen Schutzsuchenden fehlt es weiterhin nicht.