Flucht aus Libyen: Milizen an den Push-Knöpfen
Seite 2: "Fließband der Schleuser kollabiert": Paradigmenwechsel der Milizen
- Flucht aus Libyen: Milizen an den Push-Knöpfen
- "Fließband der Schleuser kollabiert": Paradigmenwechsel der Milizen
- Auf einer Seite lesen
Im Original hieß der Bericht über das Geschäft mit Migranten in Libyen vom März 2017: The Human Conveyer Belt. Im aktuellen Bericht ist das Fließband der Schleuser "kaputt gegangen". Er heißt nun: The Human Conveyor Belt Broken und berichtet vom Kollaps der Schleuserindustrie in Libyen und in der zentralen Sahelzone.
Um die 97 Seiten auf einen Kern zu bringen: Dass die Migration aus Libyen ab Juli 2017 deutlich zurückgegangen ist, hängt demnach hauptsächlich mit einem "Paradigmenwechsel" der Milizen in Libyen zusammen, die ihr Geschäftsmodell umgestellt haben. Sie haben sich umorientiert. Statt weiter auf Profite im Schleusergeschäft zu setzen, haben sie sich auf die Seite derjenigen gestellt, von denen in Zukunft - im Zuge einer "Neuordnung Libyens" - mehr Geld zu erwarten ist.
Das ist die Konsensregierung, die mit der EU, besonders mit Italien, gute Verbindungen hat, das sind damit zusammenhängend Geschäftspartner oder Warlords, die ihrerseits mit der Nationalen Konsensregierung (GNA) Geschäfts- oder Arbeitsbeziehungen haben, oder zu anderen Mächtigen, wie dem Feldmarschall Haftar, der in Konkurrenz zur GNA steht. Eine beachtliche Rolle kommt hier zum Beispiel den Milizen der Madkhali-Salafisten zu, die zum einen mit der LNA Haftars verbündet sind, zum anderen aber auch in der Hauptstadt als Mitglieder der Rada-Miliz "Arrangements" mit der GNA-Regierung unter Faiez Serraj, insbesondere mit Innenminister Bashaga, haben.
Die Milizen sind Wirtschaftsunternehmen. Um es so zu auszudrücken: Der Geschäftsbereich "halbstaatliches Sicherheitsunternehmen" wurde als zukunftsträchtiger und lukrativer eingestuft als das Schleusergeschäft und deren Zulieferer ("manpower broker") damit vollführt ein ganzer Schwanz von angeschlossenen "Kleinunternehmern", örtlichen Milizen samt regionalen Warlords, eine Richtungsänderung. Das Migrationsgeschäft wurde unattraktiv, bekam einen schlechten Ruf, man wendet sich neuen Aufgabenbereichen zu.
Das Geld mit den Migranten, die bereits im Land waren, wurde nun weniger mit Überfahrten gemacht als mit Erpressungen und Folter in den Lagern, die von Milizen verwaltet werden, wie im genannten Hintergrundbericht zu lesen.
Der nächstliegende Weg zur Verbesserung der Lage der Migranten in den libyschen Lagern würde demnach auch über Milizen laufen und über den zuständigen Mann im Inneministerium, Mohamed al-Shibani, der eine Schlüsselfigur für Verhandlungen mit der EU ist und auch Gespräche mit dem IOM führt.
Zumindest sehen die Autoren des Berichts an dieser Stelle einen Hoffnungsschimmer am Horizont:
Nach einer Periode der Instabilität ist das Ministerium für den Kampf gegen illegale Migration (DCIM) jetzt unter der de-facto-Leitung des "Undersecretary" für Migration, Mohamed al-Shibani, stabiler geworden. Das wird auf libyscher Seite wahrscheinlich dazu führen, dass Zugangsmöglichkeiten zu den Internierungsanstalten für internationale Hilfsorganisationen neu verhandelt werden und das Haftsystem neu geordnet wird. Das wäre eine gute Gelegnehiet für die Geldgeber und die humanitären Akteure mit einer eigenen Verhandlungsposition aufzuwarten, die auf Transparenz und Rechenschaft baut.
Mark Micallef, Rupert Horsley und Alexandre Bish
Allerdings ist seit Erscheinen des Berichts der Machtkampf in Libyen mit der Offensive Haftars auf Tripolis in einer neuen Form ausgebrochen. Davon wie er ausgeht, wird auch abhängen, wie mit Migranten in Libyen umgegangen wird. Bislang schauen, ähnlich wie in Syrien, viele darauf, wie sich die "militärische Lösung", die Haftar anstrebt, entwickelt. Bei einer politischen Lösung müsste es darum gehen, den üblen Geschäften der Milizen Grenzen zu setzen.