Flucht nach vorn

Der BND-Bericht schafft in zentralen Fragen keine Aufklärung

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Bis zur letzten Minute arbeitete der Sonderermittler an seinem Bericht. Zusammen mit den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) fügte Gerhard Schäfer noch am Freitagnachmittag zahlreiche Änderungen und Ergänzungen in den Rapport über den jüngsten BND-Skandal ein. Die Nacharbeit war unter anderem notwendig geworden, weil ein Journalist des Nachrichtenmagazins Focus gegen seine namentliche Nennung eine gerichtliche Verfügung erwirkt hatte. Um 17.30 Uhr schließlich wurde das Dokument am Freitag online gestellt - gut fünf Stunden nach dem geplanten Termin. Seitdem können sich Interessierte auf der Internetseite des Bundestages über die Observationen und Anwerbungen von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst von den neunziger Jahren an bis zum Jahr 2005 informieren. Mehr aber auch nicht. Der Bericht lässt, so die Kritik aller drei Oppositionsparteien, die zentrale Frage der Verantwortung offen.

Der FDP-Politiker und Vize-Vorsitzende des Kontrollgremiums, Max Stadler, bezeichnete die dokumentierte Überwachung von Journalisten als „eindeutigen und massiven Eingriff in die Pressefreiheit“. Der Bericht könne daher erste der Auftakt einer Diskussion über die Frage der politischen Verantwortung sein. Nach Ansicht des FDP-Abgeordneten lasse der Schäfer-Bericht offen, „wer wann von welchen Vorgängen wusste und sie gebilligt hat“. Auch Wolfgang Neskovic, der für die Linksfraktion im PKGr sitzt, mochte sich mit dem Vorliegenden nicht zufrieden geben. Der Bericht sei „maximal eine Bestandsaufnahme“. Zudem sei es „lächerlich“ zu glauben, „wir seien kontrollfähig“, sagte Wolfgang Neskovic über die eigene Arbeit.

Keine unabhängigen Informationen und Lücken im Bericht

Im Zentrum der Kritik der Opposition steht die Informationspolitik von Geheimdienst und Bundesregierung. Sonderberichterstatter Gerhard Schäfer konnte zur Erstellung seines Berichts maßgeblich nur auf Informationen des BND zurückgreifen. Die Einsicht in staatsanwaltschaftliche Aktenbestände und andere wichtige Quellen blieb ihm jedoch verwehrt. Wenn der BND aber auf der Anklagebank sitze und der Angeklagte über das Ausmaß der Beweisaufnahme bestimme, dann sei klar, was herauskomme, sagte Neskovic, der vor seinem politischen Mandat als Richter am Bundesgerichtshof arbeitete. Es wäre daher verfehlt anzunehmen, dass der Schäfer-Bericht ein zu eins der Wahrheit entspreche.

Hinweise darauf hatte es im Vorfeld auch von Betroffenen gegeben. Dem Journalisten Andreas Förster etwa waren bei der Lektüre zahlreiche Informationslücken aufgefallen. Der Mitarbeiter der Berliner Zeitung spielte im aktuellen Skandal eine zentrale Rolle, seit der Buchautor und Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom ihm im Spätherbst vergangenen Jahren erstmals Informationen zur gezielten Bespitzelung von Journalisten durch den BND zukommen ließ (Schädliche Veröffentlichungen). Gegenüber Telepolis hatte Schmidt-Eenboom erklärt, Förster kontaktiert zu haben, nachdem der BND ihn bedroht hatte. Wenig später stand auch der Berliner-Zeitungs-Journalist im Visier der Pullacher Geheimdienstler.

Gegenüber dem NDR erklärte Förster, dass die Informationen über seine Observation im Bericht sich nicht mit ihm vorliegenden Angaben des Kollegen deckten, der von BND mit der Überwachung beauftragt worden war. Das Dokument zeige offenbar nur einen „Ausschnitt“, so Förster. Als ihm der Bericht vor Veröffentlichung vorgelegt worden war, habe er zudem Korrekturen vorgenommen, „weil die Darstellung in dem ursprünglichen BND-Bericht falsch war“. Ähnlich äußerte sich der Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung, Hans Leyendecker, der ebenfalls im Bericht auftaucht.

“Maßnahmen überwiegend rechtswidrig“

Was auf den ursprünglichen Bericht zutraf, wurde durch die Bearbeitung vor Veröffentlichung noch einmal verstärkt. Darauf gehen Verfasser und Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums schon im Vorwort zu der nun online stehenden Version ein:

Auch Namen von Unternehmen, Vereinen etc. sind unkenntlich gemacht worden. Textpassagen sind gestrichen worden, wo dies aus Gründen des Geheimnis- oder Persönlichkeitsschutzes geboten ... erschien.

Aus dem Vorwort zur öffentlichen Version des BND-Berichtes

So besteht der Wert des Berichtes maßgeblich darin, die bereits seit Wochen in der Presse kursierenden Vorwürfe zu bestätigen. Dieses Resümee wird nach ausführlicher Darstellung der Einzelfälle schließlich auf Seite 172 (von 179) gezogen. Zu den in der Presse erhobenen Vorwürfen, der BND habe über längere Zeiträume hinweg im Inland Journalisten rechtswidrig überwacht, sei festzustellen, dass solche Observationen stattgefunden haben. Zudem wird von Gerhard Schäfer bestätigt, dass „Journalisten mit dem Ziel geführt (wurden), Informationen, Informanten und redaktionelle Hintergründe anderer Journalisten auszuforschen“. Derartige Maßnahmen könnten jedoch in die Medienfreiheit der ausgespähten Journalisten eingreifen, so der warnende Hinwies.

Zu Ende des Berichtes gibt der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof die Empfehlung, deutsche Agenten zur Schulung über geltende Grundrechte zu schicken. Aus „zahlreichen Anhörungen“ sei eine „umfassende Aufklärung der Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes darüber erforderlich, wie weit die Pressefreiheit persönlich und sachlich reicht“.

Forderung nach einem neuen Untersuchungsausschuss

Aber wie weit können die Konsequenzen aus dem neuen deutschen Geheimdienstskandal reichen? Dass die Betroffenen mit den nun veröffentlichten Schlussfolgerungen leben können, wird schon aus der Antwort der Bundesregierung ersichtlich. Darin gesteht die Regierung die ohnehin bekannten Verstöße ein, um die Brisanz der Offenbarungen zu schmälern:

Die von Sachverständigen festgestellten Tatsachen entsprechen nahezu deckungsgleich den vom BND getroffenen Feststellungen.

Stellungnahme der Bundesregierung zum Schäfer-Bericht

Der BDN, so heißt es weiter, werde sich formell bei den Betroffenen entschuldigen, sofern rechtswidrige Eingriffe in die Pressefreiheit festgestellt würden. Solche Verstöße werden in der Antwort damit begründet, „dass das Untersuchungsreferat ... abgeschottet agiert hat. So konnten sich dort über Jahrzehnte hinweg Methoden und Denkweisen erhalten, die in der Zeit der Bipolarität entstanden sind“. Und auch auf dieses Eingeständnis folgt die Entlastung einer anderen wichtigen Stelle: dem Bundeskanzleramt. Dessen Akten hätten „keinerlei Hinweise auf eine Information ... über Observationsmaßnahmen gegen einzelne Journalisten“ enthalten.

Der Zweck des Manövers drängt sich auf: Offenbar sollen die Verantwortlichen für den Skandal aus der Schusslinie gezogen werden. Während eines erheblichen Teils der Observierungszeit war der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier Chef des Kanzleramtes. Für die Geheimdienste waren dort der CDU-Mann Bernd Schmidbauer und der SPD-Mann Ernst Uhrlau verantwortlich. Letzterer steht derzeit dem BND vor.

Um ihre Verantwortung zu klären, soll das Kanzleramt am kommenden Mittwoch im Innenausschuss des Bundestages Rede und Antwort stehen. Die Anhörung könnte der erste Schritt zu einem neuen Untersuchungsausschuss sein. Nach Vorlage des Berichtes sei es nicht mehr nur die Aufgabe der Kontrollkommission, sondern des gesamten Parlamentes, „die politische Verantwortung für diese skandalösen Vorgänge aufzuklären“, sagte der FDP-Politiker Max Stadler als Mitglied der PKGr schon am Freitag.

Dies würde nichts anderes als die Einrichtung eines neuen Untersuchungsausschusses bedeutet. Es wäre der zweite Ausschuss, der sich binnen weniger Wochen den Verfehlungen des Geheimdienstes widmen würde. Vor wenigen Wochen erst war eine solche Parlamentskommission zur Untersuchung der Verwicklungen von BND-Agenten in den Irak-Krieg einberufen worden ("Es gibt sehr wohl noch offene Fragen").