Flüchtlingsrepublik "Refugee Republic"
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Die Hochkommission der Vereinten Nationen zur Flüchtlingsfrage beschreibt Flüchtlinge als, "normale Leute, die ihre Heimat aufgrund der realen Bedrohung von Leib, Leben und Freiheit verlassen haben und dabei "alles" zurücklassen mußten". Heute gibt es weltweit mehr als 14 Million Flüchtlinge und mindestens 30 Million Leute wurden innerhalb der Grenzen ihrer eigenen Länder umgesiedelt. Jeder 122. auf der Erde ist zur Flucht gezwungen worden.
DER FLÜCHTLINGSSTAAT
UNHCR
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Miriam Langs Kritik am "Flüchtlingsstaat"
Ingo Guenther stellt ein Konzept für einen unabhängigen Flüchtlingstaat in seinem Netzkunstprojekt "Refugee Republic", der Flüchtlingsrepublik, dar. Die Sichtbarmachungen der Bewegung von Flüchtlingsströmen auf der Erde, von Statistiken und den Veranschaulichungen des ökonomischen Wertes der Einzelpersonen, die vertrieben werden, bilden die Grundlage der Flüchtlingrepublik.
Der seit 15 Jahren in USA und Tokio tätige ostdeutsche Immigrant Guenther ließ seine REFUGEE REPUBLIK als Privatunternehmen in Nevada registrieren. Anleihen können erworben werden, Reisepässe sind abruf- und ausdruckbar. RR, Refugee Republik, ist am 23. Oktober 1995 autorisiert worden. 50 Million Aktien der Kategorie A (stimmberechtigt) und 50 Million (stimmenrechtslose) Aktien der Kategorie B wurden herausgegeben. Der Grundsatz des Unternehmens beruht auf der Tatsache, daß Flüchtlinge einen wirtschaftlichen Wert haben und ihre Unterstützug als eine gute Investition angesehen werden kann.
In den achtziger Jahren begann Guenther eine Reihe von 3-D Skulpturen der Erdkugel zu erstellen. Diese Bilder der Erde haben eine erzählerische Struktur. Ingo Guenther arbeitet an Repräsentationen des Erdballs, die globale Bewegungen, Prozesse und Daten visualisieren. Die Kugelskulpturen basieren auf den Informationen und den Sichtbarmachungen von globalen Tatsachen, wie der Zahl nuklearer Sprengköpfe, der Schäden der Ozon-Schicht, der ökonomischen Macht, Prozessen des Datenfluß und der Migration der Flüchtlinge.
Diese Arbeiten zeigen gefährlichen Muster, wie die Standorte von Raketenbasen, welche für die Menschheit möglicherweise eine Bedrohung darstellen. Im Golfkrieg z.B. veranschaulichte er, wie oft diese Raketenbasen benutzt wurden. Ebenso werden finanzielle Bewegungen auf seinen Globen ästhetisiert und erscheinen als regelmäßiger Bildbeitrag im japanischen Wirtschaftsmagazin "Foresight". Indem Ingo Guenther Landkarten produziert, zeigt er wie politische Grenzen im Gegensatz zu natürlichen Grenzen konstruiert werden.
DER DATENSTAAT
Für den Künstler scheint die reale Form des Internet, aufgewickelt um die Erde, zur entscheidenden Kugel geworden zu sein.
Grenzkonflikte, Kriege und Flüchtlingsströme stellt Guenther in globalen Landkarten dar. 20 Millionen Flüchtlinge sind momentan unterwegs. Die Flüchtlingsrepublik würde ein Land in der Größe der Mongolei ergeben, wenn jeder Flüchtling ein Stück seines Landes mitnehmen könnte.
Das Flüchtlingrepublikprojekt ist seit März1995 auf dem Kunstserver Public Netbase, Wien on-line.
Seit kurzem gibt es eine Spiegelung, eine Mirrorsite des Projektes in den Vereinigten Staaten.
Guenther hat die Flüchtlingrepublik als Gemeinschaftsarbeit erstellt. Die in mehreren Sprachen abrufbaren Seiten wurden jeweils von verschiedenen Personen programmiert. So zum Beispiel ist die französische Version von RR als Hypertextversion, in der Form einer Küstenlinie erstellt worden.
Ingo Guenther schafft mit RefugeeRepublik ein eigenes Staatenkonzept. Seine Gleichsetzung des Staates mit einer Firma entspricht den Erklärungen Saskia Sassens. Die Grundregeln des Aktienhandels sind das ökonomische Konzept jeder Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Flüchtlingrepublik-Website ist nur eine Skizze dieser Idee, der Umriß der Struktur des Problems. Die Site selbst hinkt hinter ihren eigenen Ansprüchen hinterher. Ist die Flüchtlingsrepublik ein makaberer Scherz, ironischer Kommentar oder reale Lösung? Sicherlich ist sie eine Recherche die ein Thema ins öffentliche Bewusstsein bringt.
RR behandelt den auf Aktien beruhenden Staat. Die Vorgabe einer registrierten Firma namens Flüchtlingsstaat besteht, um daraus einen Staat zu entwickeln. Anteilsscheine können käuflich erworben werden. Die Staatsbürgerschaft beruht nicht mehr auf Geburt, Verschwägerung oder Verbrüderung.
Guenther spricht den Flüchtlingen wirtschaftlichen Wert zu. Saskia Sassen legt in ihrer theoretischen Beweisführung handfest dar, wie wertvoll Flüchtlinge wirklich sind. Sie zeigt anhand von offiziellen Statistiken, daß Immigranten 50 Prozent der Sekretärinnen in New York ausmachen. Sie hat die Muster der Migration verfolgt, die sich beträchtlich im letzten Jahrhundert geändert haben. Heute sind die Hälfte aller Einwanderer Frauen. Sie unterstreicht auch, daß die Einwanderer und Flüchtlinge heute in die Städte abwandern. Dort stützen sie mit einer tragenden Rolle in der Dienstleistungsindustrie die Wirtschaft der neuen globalen Stadt.
RR ist zu einem umstrittenen Internetzort geworden und ist von den politisch aktiven Flüchtlingsgruppen stark kritisiert worden. Sie wollen nicht lediglich den Datenraum mit anderen Fremdlingen oder sogar Feinden teilen, sondern in ihre Heimat zurückkehren. Die meisten politisch Konservativen sind der Ansicht, daß das Projekt eine verrückte Fantasie ist. Man sollte das Projekt sorgfältig betrachten, nicht nur weil es die Tradition der politisch orientierten Kunst aufnimmt, sondern auch weil es Transportmittel für Information, Fakten und Theorien ist. In dieser Hinsicht kann es als eine im Netz real funktionierende Lösung zum Problem der Flüchtlinge gesehen werden. Möglicherweise ist es, wie Ingo Guenther selbst sagt, aber vor allem anderen eine Gestaltungsarbeit, eben "nur" Kunst.
Für RR gibt es auch einen eigenen Reisepaßeinband, der auf fast alle Pässe der Welt zugeschnitten werden kann. Das japanische Zeichen auf der Paßhülle bedeutet "Republik der Menschen, die in Schwierigkeiten sind". Das könnte jeden von uns betreffen, wenn man an Grenzübergängen staatlicher Gewalt ausgeliefert ist. Die Refugee Republic Reisepaß-files können von der RR Webseite geladen werden. Ausgedruckt und um den eigenen Paß als Hülle gewickelt, werden Sie damit hoffentlich die menschlichen Qualitäten von Beamten an den Paßkontrollen ansprechen.
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