Folgen von TTIP für die EU: Mehr Arbeitslosigkeit, sinkende Einkommen, schrumpfende Exporte
Nach einer neuen Analyse würde TTIP eher den USA nützen, während in der EU der Binnenmarkt mit Konsequenzen allem für Nord- und Westeuropa einbrechen könnte
Nach einer Studie von Jeronim Capaldo für das Global Development And Environment Institute an der Tufts University könnte das geplante transatlantische Freihandelsabkommen für die EU negative Folgen haben. Während die EU-Kommission selbst nur auf geringes wirtschaftliches Wachstum setzt, könnte das Gegenteil eintreten: die Arbeitslosigkeit könnte wachsen und der europäische Wirtschaftsraum erodieren.
Nach einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie könnte TTIP zu einem, wenn auch mit maximal 0,5 Prozent geringem Anstieg des BIP führen - im Laufe von 13 Jahren. Im "ambitioniertesten" Szenario, bei dem 98% der Zölle, 25% der nicht-tarifären Handelshemmnisse im Waren- und Dienstleistungsbereich und 50% im öffentlichen Beschaffungswesen beseitigt würden, würde sich angeblich das Realeinkommen eines Vierpersonenhaushalts in der EU um maximal 545 Euro im Jahr 2027 wachsen, bei weniger "ambitionierten" Versionen könnten es gerade mal 41 Euro sein (TTIP-Wachstumsstudien: neoliberale Holographie). Gleichzeitig würden die Exporte anderer Länder in die EU und die USA und umgekehrt sinken.
Allerdings sind die Vorhersagen dieser Studie hoch spekulativ. Auswirkungen hat das Freihandelsabkommen auch für den Handel innerhalb der EU, was auch die von der Kommission in Auftrag gegebene Studie konzediert. Der erwartete Anstieg der Exporte fällt nicht nur für die USA höher als für die EU aus, die Importe aus den USA und anderen Nicht-EU-Ländern gehen auch auf Kosten des EU-Binnenhandels.
Capaldo verweist darauf, dass die vier am meisten zitierten Studien alle methodisch auf dem Modell Computable General Equilibrium (CGE) der Weltbank beruhen. Das Hauptproblem sei hier die Annahme, dass es nach einer Liberalisierung zu einer makroökonomischen Stabilisierung komme und etwa Arbeitsplätze, die in einem Sektor entfallen, in einem anderen geschaffen werden. Das sei aber wenig realistisch. Meist würden Arbeitsplätze in Sektoren, die unter starkem Konkurrenzdruck stehen, schnell wegbrechen, während die Branchen, die kompetitiver seien, nur langsam und oft auch unzureichend neue Arbeitsplätze schaffen., was zu einer steigenden Arbeitslosigkeit führt. Die EU habe gerade erst gezeigt, dass selbst dann, wenn Jobsuchende für ein geringes Gehalt arbeiten würden, keine Vollbeschäftigung erzielt wird. Zudem seien Verluste und Gewinne in der Gesellschaft nicht gleich verteilt. Weitere vereinfachende Annahmen des Modells wie gleichbleibende Exportanteile von Ländern machen wirkliche Vorhersagen problematisch.
Nach einer Simulation der Auswirkungen von TTIP auf die globale Ökonomie auf der Grundlage des United Nations Global Policy Model (GPM) und unter der Annahme, dass weiterhin Austeritätspolitik betrieben werden muss und das Wachstum in der EU und den USA nicht sonderlich hoch ist, kommt Capaldo zu ganz anderen Vorhersagen. Dabei werden die Zuwächse im Handelsvolumen von den anderen Studien übernommen.
Mit dem GPM lassen sich die Interaktionen zwischen Ländern und Regionen und auch die Folgen von TTIP für einzelne Länder analysieren, was mit dem CGE nicht möglich sei. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Nachfrage, nicht einfach nur die Zahl der Arbeitsplätze berücksichtigt wird. Wenn mittels einer Kostenreduktion durch die Liberalisierung die Löhne einbrechen, dann wird sich auch die ökonomische Aktivität in einem Land ändern, d.h. die Nachfrage bricht ein, was die Binnenwirtschaft schrumpfen lässt. Bei steigendem Konkurrenzdruck durch die Liberalisierung kann es zum Druck auf die Währung und zum Versuch kommen, die Konkurrenzfähigkeit durch Senkung der Löhne aufrechtzuhalten.
Vermögensverteilung verschärft sich
In den Simulationen mit Einführung von TTIP und ohne sinkt in allen EU-Ländern der Nettoexport. Berücksichtigt wurden einzeln die großen EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, die übrigen Länder wurden in die Blöcke Nord- und Westeuropa sowie Süd- und Osteuropa aufgeteilt. Am stärksten würde der Export bis 2025 in Nord- und Westeuropa mit 2 Prozent, gefolgt von Frankreich (1,9%), Frankreich (1,14%) und Großbritannien (0,95%) zurückgehen, während der für die USA ebenso wie in praktisch allen anderen leicht anstiege. Süd- und Osteuropa wäre mit -0,70 Prozent weniger stark betroffen.
Während in der EU das BIP leicht zurückgeht (in Deutschland um 0,29 %), würde es entsprechend in den USA leicht ansteigen. Zur Folge hätte die Entwicklung, dass es in den USA 784.000 Arbeitsplätze mehr geben würde und die Gehälter durchschnittlich um 699 Euro steigen, während TTIP vor allem in Nord- und Westeuropa (-223.000), Deutschland (-134.000) und Frankreich (-130.000) Arbeitsplätze kostet, insgesamt wären es 583.000. In Deutschland würden die Einkommen um 3.402 Euro fallen, in Frankreich um 5.518, in Großbritannien um 4.245.
Der Autor geht davon aus, dass durch das Sinken der Einkommen, die wirtschaftliche Stagnation in der EU verstärkt wird und eine weitere Verlagerung des Reichtums von der Arbeit an das Kapital stattfindet - in Großbritannien beträfe dies 7 Prozent des BIP, in Deutschland 4 Prozent. Die Differenz zu den anderen Studien, die einen geringen Anstieg des Einkommens vorhersagen, liegt für den Autor vor allem darin, dass sie nur das BIP, aber nicht die Einkommensverteilung betrachten. Und als Folge würden auch die Steuereinnahmen leicht sinken, während immer mehr Geld in Wertpapiere angelegt wird, was zwar den Finanzsektor stärkt, wenn die Zinsen unten bleiben, aber zu höherer Instabilität und wachsenden Schulden führt.
Der Autor räumt ein, bei seiner Analyse nur den Handel und die sich aus diesem ergebenden Folgen analysiert haben, während der Aspekt der Investitionen, die TTIP ja anregen will, unberücksichtigt geblieben sei. Es seien also weitere Analysen der finanziellen Folgen von TTIP notwendig.