Folgenschwerer Liquiditätsabfluss in den Anlagesektor

Seite 3: Auseinanderdriften von realem Wert und Marktpreis

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Als Quintessenz bleibt, dass sich für die Preise der Anlageobjekte keine obere Schranke zuverlässig angeben lässt. Angesichts der hohen Gewinnchancen auf dem Kapitalmarkt könnten Privathaushalte nun geneigt sein, den Konsum einzuschränken und Anlagetitel zu erwerben. Der Nachfrageüberhang im Anlagebereich würde sich sowohl durch die größere Liquiditätszufuhr als auch durch die Folgen des Konsumrückgangs weiter verstärken. Solche kontraproduktiven Effekte dürften jedoch marginal sein, da allenfalls Vertreter der höheren Einkommensklassen über eine derartige Option verfügen.

Weitaus gravierender ist die Tätigkeit von Spekulanten, die mit geliehenem Geld operieren. Im Zuge der Verschuldungszunahme potentieller Anleger zieht die Nachfrage auf dem Anlagemarkt an, was die Kurse beflügelt. Die Fremdfinanzierung von Kapitalanlagen birgt allerdings ein gewisses Risiko. Eine länger währende Stagnation wie auch externe Faktoren, die in Anlegerkreisen negativ interpretiert werden, können Verkaufslawinen in Gang setzen und erhebliche Kurseinbrüche verursachen.

Die Entwicklung von Kursen und Preisen im Anlagesektor lässt sich als eine schlängelnd steigende Kurve in einem Koordinatensystem illustrieren. Die Ausschläge beschreiben die Volatilität, die sich mit zunehmendem Preisniveau verstärkt. Allenfalls extreme Abweichungen vom Mittelwert der Kurve nach oben lassen sich als Blasen titulieren. Wo aber befindet sich dieser Wert? Angesichts der kaum zu schließenden Diskrepanz von Angebot und Nachfrage müssen Versuche seiner exakten Ermittlung fehlschlagen. Werden Indikatoren für Blasen gesucht, dann ist offenbar der Grad der Fremdfinanzierung aussagekräftiger als die Abweichung von einer vermeintlich marktgerechten Höhe der Kurse.

Die Preisentwicklung von Anlageobjekten, die Erträge in Gestalt von Dividenden, Zinsen und Mieten abwerfen, ähnelt jener von spekulativen Anlagen. Der Preis einer Goldmünze etwa kann deren nominellen Wert um ein Vielfaches übertreffen. Wenn es sich um ein seltenes Objekt handelt, dürfte er sogar weit über dem Edelmetallwert liegen. Wie hoch der Preis steigen kann, wäre gleichsam schwierig zu ermitteln.

Dennoch besteht ein relevanter Unterschied. Im Gegensatz zu spekulativen Objekten haben Aktien, Immobilien und Anleihen einen realen Wert, der sich in der Ertragshöhe ausdrückt. Eine Wertbestimmung ist jedoch nur sinnvoll, solange Anlageobjekte hinsichtlich ihrer Renditen miteinander oder während unterschiedlicher Zeitabschnitte verglichen werden. Dagegen ist es nicht möglich, ihnen einen vom Marktpreis unabhängigen Wert zuzuordnen. Der im Modell verwendete Basiswert wurde gemäß dem aktuellen Preisniveau quasi willkürlich festgesetzt. Anders verhält es sich bei Gütern der Realwirtschaft. Ihr Wert bestimmt sich aus der in ihnen vergegenständlichten Arbeit, deren Preis die Lohnkosten sind. Hinzu tritt der Gewinn des Unternehmers, der sich nach Marx am Durchschnittsprofit orientiert.

Schließlich bewahrt eine Goldmünze ihren "inneren Wert" dadurch, dass ein höherer Preis als Ausdruck größerer Wertschätzung interpretiert wird. Bei Anlagetiteln, die eine Rendite erwirtschaften, sinkt der Wert im Umfang der Verteuerung. Verdoppeln sich die Beschaffungskosten einer Aktie, einer Anleihe oder einer Immobilie, dann ist das Gewinnpotential nur noch halb so groß.

Auswirkungen auf die Realwirtschaft

Die in den Anlagemarkt gelangte überschüssige Liquidität fehlt der Realwirtschaft. Auch werden durch die Aufstockung der Transaktions- und Spekulationskassen Mittel gebunden. Diese sind jedoch gering und können leicht durch eine private Kreditaufnahme ersetzt werden.

Infolge des Geldentzugs entsteht auf dem Gütermarkt ein Nachfragedefizit. Wollen Unternehmen nicht auf Halde produzieren, dann bleibt ihnen keine andere Wahl als eine Drosselung des Angebots. Um nicht in rote Zahlen zu rutschen, werden die Ausgaben im erforderlichen Umfang reduziert. Wenn alle Aufwendungen proportional sinken, vermindern sich im Modell die Geldeinnahmen der Haushalte gerade um den Betrag von 347. Der Rückgang betrifft nicht nur Einkommen aus Arbeit, sondern auch Kapitalerträge und damit den Wert der Anlageobjekte. Sowohl für die Einkommen als auch für die Anlagevermögen errechnet sich ein Minus von 10,8 Prozent im Vergleich zu Tabelle 2.

Mit den verminderten Einkünften fallen die Konsumausgaben der Haushalte. Ehe es den Unternehmen gelungen ist, das Güterangebot an die gesunkene Nachfrage anzupassen, bricht diese augenfällig erneut ein. Je öfter der Prozess sich wiederholt, desto tiefer sacken Konsum- und Einkommensniveau. Der Wettlauf ist offenbar nicht zu gewinnen, solange reichlich Geldmittel außerhalb der Realwirtschaft verbleiben.

Würde das vermögende Prozent seinen hohen Privatverbrauch trotz Einkommenseinbußen aufrechterhalten, hätte dies allenfalls marginale Effekte. Dagegen ließe sich die Konsumnachfrage durch einen Abbau der Transaktionskassen aufrecht erhalten. Allerdings würde sich deren Größe im Modell um mehr als 60 Prozent reduzieren. Da sich der Liquiditätsabfluss in den Anlagesektor fortsetzen dürfte, wäre diese Reserve schnell aufgebraucht. Eine Kontraktion der Wirtschaft könnte fortan nur durch private Verschuldung aufgehalten werden, die sich jedoch nicht unbegrenzt steigern lässt.

Diskrepanz zwischen Modell und Realität

Das im Modell verwendete Zahlenbeispiel mag irreal erscheinen. Trotzdem entspricht es weitgehend den tatsächlichen Gegebenheiten. Ist der Konsumanteil des vermögenden Prozents mit 25 Prozent zu gering angegeben? Bei einer Verdopplung wäre immer noch Liquidität im Umfang von 229 übrig. Oder sollte die Größe der Spekulationskassen auf 50 Prozent angehoben werden? Der verbleibende Geldbetrag würde nur um 14 Prozent sinken. Noch überraschender ist der minimale Effekt steigender Arbeitseinkommen. Ein Zuwachs von fünf statt einem Prozent würde den Liquiditätsüberschuss lediglich um 3,5 Prozent vermindern.

Da die Kurse der Wertpapiere bislang recht moderat gestiegen sind und die Wirtschaft nicht kontrahiert, ist die überschüssige Liquidität in der Realität offenbar weitaus geringer als im Modell. Dafür sind externe Faktoren ausschlaggebend, die vor allem in der Tätigkeit politischer Instanzen begründet sind. Um die verbleibenden Geldmittel in die Realwirtschaft zu schleusen, bieten sich mehrere Alternativen an. Sie sollen im Fortsetzungsteil erörtert werden.

Ferner wird im nächsten Teil der Nachweis erbracht, dass höhere Zinssätze nicht zwangsläufig Kursverluste von Wertpapieren nach sich ziehen. Vielmehr werden gegenteilige Effekte identifiziert. Ebenso wird aufgezeigt, dass unter Bedingungen eines Anlagenotstands ein gebremstes Wachstum der Realwirtschaft eher stimulierend auf den Anlagemarkt wirkt.