Folgenschwerer Liquiditätsabfluss in den Anlagesektor

Wachsende Einkommensunterschiede begünstigen reiche Haushalte, die ihren Konsum trotz Mehreinnahmen kaum steigern. Es werden Geldanlagen gesucht

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Bei einer Untersuchung der Verwendung von Geldmitteln ist es unerlässlich, Annahmen zum Verhalten der Wirtschaftsakteure zu machen. Diese sollten den Kriterien Minimalität, Plausibilität und empirische Belegbarkeit genügen. Was evident ist, muss jedoch nicht real sein. Werden unbegründete Simplifizierungen, falsche Gewichtungen, Verabsolutierungen oder ein Fehlen wesentlicher Faktoren nachgewiesen, dann können ganze Theoriegebäude zusammenstürzen.

Ziehen alle Wirtschaftssubjekte gleichermaßen Nutzen aus Handelsakten, wie die klassische Ökonomie behauptet? Ist die Konkurrenz angesichts der marktbeherrschenden Stellung von Oligopolen tatsächlich als Grundpfeiler des Kapitalismus zu betrachten wie bei Karl Marx? Nimmt die Sparneigung mit den Einkommen zu, was für John Maynard Keynes ein "fundamentales psychologisches Gesetz" darstellt? Offenkundig handelt es sich um zentrale Ausgangsthesen der jeweiligen Theorien. Werden sie verworfen, dann hat dies begreiflicherweise Konsequenzen für den Erklärungswert und die Praxisrelevanz der abgeleiteten Lehrsätze.

Das makroökonomische Modell

Im Folgenden sollen Grundüberlegungen der keynesianischen Theorie in ein Modell eingebettet werden, das unhaltbare Annahmen vermeidet. Dass etwa die Sparquote nicht allgemein mit den Einkommen steigt, zeigt ein Vergleich von Staaten. Andere, vielfach gewichtigere Einflussfaktoren sind Mentalität, Staatsquote, Verteilung der Einkommen und Verschuldungsbereitschaft der Haushalte. Der Keynesianer Nicholas Kaldor hat bereits Mitte der 1950er Jahre auf die besondere Bedeutung von Einkommensunterschieden für das Sparverhalten hingewiesen.

Im Interesse allgemeiner Verständlichkeit wird im Modell auf formal-mathematische Darstellungen verzichtet. Die betrachteten Wirkungszusammenhänge sollen anstelle mit Formeln und Graphen durch ein Zahlenbeispiel illustriert werden. Mithilfe realitätsnaher Werte werden überraschende Resultate erlangt, die verbreiteten Ansichten widersprechen. So können Zinserhöhungen sehr wohl mit steigenden Wertpapierkursen korrelieren. Eine Kontraktion der Wirtschaft bei gleichzeitiger Verarmung der gesellschaftlichen Mittelschichten erscheint auf längere Sicht unvermeidbar, wenn keine Umverteilung von Reich zu Arm gelingt. Der notwendige Transferbetrag lässt sich dabei theoretisch ermitteln.

Im Modell soll die Inflation bei Gütern des täglichen Verbrauchs unberücksichtigt bleiben. Tatsächlich ist sie während der letzten Jahrzehnte relativ konstant geblieben, wenn auch hinsichtlich der Höhe Zweifel geäußert werden, die zum Teil auf der Anwendung der hedonischen Bewertungsmethode gründen. Ebenso sollen externe Faktoren wie politische Eingriffe in den Wirtschaftsprozess und Außenbeiträge ausgeschlossen bleiben. Auf sie wird im anschließenden Teil eingegangen.

Aus dem keynesianischen Konzept sollen die Transaktions- und Spekulationskassen übernommen werden. Die Transaktionskasse beschreibt das liquide Geldvermögen der Haushalte, soweit es für Konsumzwecke verwendet wird. Neben Bar- und Giralgeld lassen sich darunter Spareinlagen fassen, soweit sie größeren Anschaffungen zu einem späteren Zeitpunkt dienen. Davon unterscheidet sich die Spekulationskasse, die parallel zu Kapitalanlagen gehalten wird. Ihr Umfang hängt davon ab, ob steigende oder fallende Kurse erwartet werden. Die Größe der Transaktionskassen soll im Modell 20 Prozent des jährlichen Konsums betragen, die der Spekulationskassen 10 Prozent vom Anlagevermögen.

Die Bevölkerung wird in zwei Gruppen geteilt: Das eine Prozent mit den höchsten Einkommen und die übrigen 99 Prozent. Erstere sollen 25 Prozent ihres Einkommens für den Konsum ausgeben, der Rest 99 Prozent. Der Anteil der ersten Gruppe am gesamten Arbeitseinkommen soll 10 Prozent und der zweiten Gruppe 90 Prozent betragen. Für das Anlagevermögen werden umgekehrte Relationen angenommen, d.h. das reichste Prozent soll über 90 Prozent verfügen. Tatsächlich besitzt es global betrachtet "nur" etwas über 50 Prozent der Vermögenswerte. Ein bedeutender Eigentumsanteil dient jedoch der privaten Nutzung. Im Folgenden sollen allein Objekte berücksichtigt werden, deren Zweck die Erzielung von Gewinnen ist.

Verwendung und Wachstum von Einkommen

Das Arbeitseinkommen (zuzüglich Renten und Sozialleistungen) während eines Jahres wird auf 3000 festgesetzt. Das Anlagevermögen soll bei 6000 liegen und einen jährlichen Ertrag von drei Prozent abwerfen. In Tabelle 1 sind die (realen) Einkommen, der Konsum, das Anlagevermögen sowie die Transaktions- und Spekulationskassen beider Bevölkerungsgruppen berechnet. Um einen Bezug zur Realität zu erhalten, können die Zahlen mit dem Faktor 1000 multipliziert und die Prozentwerte als Anzahl der Haushalte betrachtet werden. Der Jahreskonsum des reichsten Haushalts würde 116000 Euro betragen, der Durchschnitt der übrigen 27182 Euro.

Tabelle 1
Bevölkerungsgruppe 1 Prozent 99 Prozent Summe
Arbeitseinkommen 300 2700 3000
Kapitaleinkommen 162 18 180
Gesamteinkommen 462 2718 3180
Konsum 116 2691 2807
Transaktionskasse 23 538 561
Anlagevermögen 5400 600 6000
Spekulationskasse 540 60 600

Im nächsten Schritt werden die Veränderungen innerhalb einen Jahres modelliert. Die Einkommen aus Arbeit und anderen Leistungen sollen real um ein Prozent wachsen. Zur Feststellung der Wertveränderung des Anlagevermögens erscheint es plausibel, die Sichtweise des Anlegers einzunehmen. Unter Berücksichtigung der Risiken ist für ihn die Rendite das allein maßgebliche Kriterium. Die Wertzunahme entspricht also gerade der erwarteten Gewinnsteigerung. Um diese zu ermitteln, ist eine Untersuchung der Ertragsfähigkeit der zugrundeliegenden Vermögenswerte erforderlich.

Einen großen Teil der Anlageobjekte bilden Anleihen, deren Ertrag sich aus Zinsen speist. Die Einnahmen bei Immobilien beruhen auf Vermietung und Verpachtung. Anlagen in Edelmetallen, Antiquitäten und Kunstwerken wie in Rohstoffen und Grund und Boden dienen sowohl der Wertsicherung als auch Spekulationszwecken. Gewinnprognosen sind recht schwierig, jedoch ist der Anteil jener Objekte gering. Eine weitere Anlageform sind Derivate, bei denen es sich faktisch um Wetten handelt. In der Summe entstehen daher keine Gewinne. Das kritisch betrachtete globale Derivatvolumen in dreistelliger Billionenhöhe betrifft die Basiswerte. Die eingesetzten Geldmittel betragen dagegen nur einige Prozente des Anlagevermögens.

Schließlich verbleibt als bedeutende Quelle für Kapitalerträge das Produktivvermögen. Dessen Wert verändert sich im Zuge von Abschreibungen und von Investitionstätigkeiten. Letztere lassen sich in Ersatzinvestitionen, in Investitionen zur Steigerung des Produktionswerts und solche zur Kosteneinsparung unterscheiden.

Ersatzinvestitionen dienen der Erhaltung des aktuellen Produktionspotentials. Eine Wertsteigerung wird entweder durch Produktionsausweitung oder durch Produktveredelung erzielt. Sie verlangt ein Wachstum der kaufkräftigen Nachfrage. Kosteneinsparungen lassen sich durch Anwendung neuer Technologien, eine Effektivierung von Fertigungsabläufen und eine Intensivierung der Arbeit erreichen. Demselben Zweck dienen Produktionsverlagerungen, Outsourcing und ein Wechsel zu preisgünstigeren Produktionsfaktoren.

In der Praxis ist eine Differenzierung kaum möglich, da Investitionstätigkeiten meist alle drei Aspekte umfassen. Dennoch werden Prioritäten gesetzt, und dementsprechend ist der Einfluss auf die zu erwartenden Gewinne unterschiedlich. Ersatzinvestitionen bezwecken vornehmlich eine Sicherung des vorhandenen Renditepotentials. Eine Erhöhung des Produktionswerts vergrößert die Kapitalerträge durch zunehmende Verkaufserlöse. Investitionen zur Kosteneinsparung steigern die Profitmargen zu Lasten schwächerer Wirtschaftsakteure.

Nutznießer von Spareffekten sind vor allem große Kapitalgesellschaften, die oftmals zu Oligopolen zusammengeschlossen sind. Da sich das Produktionsvolumen nicht wertmäßig erhöht, findet faktisch eine Umverteilung von Arm zu Reich statt. Dieser Tatbestand rechtfertigt die Annahme, dass das Ertragspotential des angelegten Vermögens schneller wächst als die Arbeitseinkommen. Die jährliche Zunahme soll im Modell zwei Prozent betragen.