Die Ursachen wachsender Ungleichheit

Seite 3: Bereicherung durch Veränderung der Marktlage

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Ein weiterer Mechanismus beruht auf den unterschiedlichen Wettbewerbskonstellationen, unter denen Wirtschaftssubjekte agieren. Verständlicherweise ist jeder Marktteilnehmer daran interessiert, beim Verkauf auf möglichst wenig Konkurrenz zu stoßen, während ihm auf der Einkaufsseite ein harter Wettbewerb der Anbieter entgegenkommt. Je umfangreicher die Machtinstrumente eines Akteurs sind und je effektiver er sie einsetzen kann, desto erfolgreicher wird er die Wettbewerbsbedingungen zu seinem Vorteil verändern können.

Wirtschaftssubjekte, die eine günstige Marktposition anstreben, sind Individuen, Gemeinschaften, Unternehmen und staatliche Akteure. Als dienlich erweisen sich ein dickes finanzielles Polster und eine exklusive Stellung, etwa aufgrund besonderer Fähigkeiten und Kenntnisse. Von Vorteil sind ebenso eine Verfügungsgewalt über geologische und biologische Ressourcen, eine gute geografische Lage und ein großer Markt. Schließlich hilft ein "Gespür" für künftige technologische Durchbrüche wie auch bei der Auswahl der richtigen Partner.

Befindet sich ein Wirtschaftsakteur bereits in einer günstigen Wettbewerbssituation, so ist er meist imstande, diese weiter auszubauen. Einmal bestehende Konstellationen neigen offenbar dazu, sich zu reproduzieren und zu verstärken. Dennoch ereignen sich angesichts der Vielzahl von Einflussfaktoren und deren schwieriger Kalkulierbarkeit zuweilen unerwartete Verschiebungen.

Vorteilhafte Wettbewerbsbedingungen werden in der Wirtschaft mit dem Begriff Marktmacht umschrieben. Diese bekommen sowohl Käufer als auch Lieferanten zu spüren. Als Käufer sind etwa Konsumenten betroffen, die hohe Preise zahlen müssen, weil große Einzelhandelsketten den Markt beherrschen. Unternehmen werden häufig unverhältnismäßig geschröpft, wenn sie beim Erwerb von Produktionsgütern und Ausgangsstoffen auf einige wenige Anbieter angewiesen sind.

Aus Lieferantensicht besteht eine ungünstige Wettbewerbslage, wenn harte Konkurrenz zu Preisnachlässen zwingt. Indem es der Wirtschaftselite gelungen ist, ein riesiges globales Arbeitskräftepotential zu erschließen, sind abhängig Beschäftigte unter verstärkten Druck geraten. Die nachteiligen Wettbewerbsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt manifestieren sich in der Bereitschaft, Lohneinbußen hinzunehmen, höhere Leistungen zu erbringen und schlechtere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren.

Immer mehr Branchen werden durch oligopolistische Strukturen bestimmt. Während Extraprofite in der Marxschen Werttheorie nur vorübergehend existieren, sind sie bei Kapitalgesellschaften mit beträchtlicher Marktmacht zur Regel geworden. Soweit diese global agieren, können sie Staaten unter Druck setzen, zumal das Angebot an Produktionsstandorten die Nachfrage bei weitem übertrifft. Um Investoren zu gewinnen, sehen sich Regierungen gezwungen, Vorleistungen und Steuerermäßigungen zu gewähren. Werden Großunternehmen als volkswirtschaftlich relevant betrachtet, dann sind politische Entscheidungsträger oft bereit, Grundprinzipien wie die Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Wirtschaftsakteure aufzugeben.

Umverteilung durch Kostenminimierung

Der dritte bedeutsame Mechanismus, der wachsende Einkommensunterschiede bewirkt, ist in der Investitionstätigkeit von Unternehmen begründet. Steigen die in Kapitalanlagen strebenden Einkommen schneller als die Nachfrage nach Konsumgütern, dann wird es immer schwieriger, für die verfügbaren Geldmittel lukrative Einsatzmöglichkeiten im produktiven Bereich zu finden. Zwar müssen weiterhin Ersatzinvestitionen getätigt werden. Kapitalanlagen zum Zweck einer Erhöhung des Produktionswertes sind indessen immer weniger rentabel, weil es an Kaufkraft mangelt. Auch stoßen Versuche, der Konkurrenz Marktanteile abzujagen oder das Verbraucherverhalten zu eigenen Gunsten zu beeinflussen, bald auf Schranken.

Um dennoch über einen produktiven Kapitaleinsatz höhere Gewinne erzielen zu können, verbleibt die Alternative von Kosteneinsparungen. Diese Möglichkeit bestand bereits, bevor wachsende Einkommensunterschiede eine Nachfrageschwäche verursachten. Der Kostenaspekt blieb jedoch im Hintergrund, solange sich genügend lukrative Investitionstätigkeiten durch Produktionsausweitung und Produktveredelung anboten. Zudem waren zu jener Zeit Finanzmittel nur beschränkt verfügbar, während gegenwärtig Anlagenotstand herrscht.

Einsparungen können sowohl durch eine effektivere Nutzung von Produktionskapazitäten und eine Rationalisierung von Arbeitsabläufen als auch durch einen Einsatz neuer Technologien erzielt werden. Darüber hinaus wird eine Kostenminimierung bei Ausgangsmaterialien und Löhnen angestrebt. Sparpotentiale lassen sich insbesondere über ein Einwirken auf die externen Wettbewerbsbedingungen erschließen. Geschieht dies im Verbund mit politischen Akteuren, dann erhöhen sich die Erfolgschancen. Erreichbar wären optimalere Standortbedingungen, neue Möglichkeiten des Outsourcing von Fertigungsschritten und Dienstleistungen, bessere Konditionen beim Einkauf sowie geringere Lohnkosten.

Während Kosteneinsparungen die Gewinne der Aktionäre erhöhen, sinken die Lohneinkünfte der Belegschaften wie auch die Einnahmen der Zulieferer. Unter ihnen befinden sich zwar ebenso Kapitaleigner. Da diese aber meist dem mittelständischen Bereich oder der globalen Peripherie angehören, sind sie kaum am oberen Ende der Einkommenspyramide zu finden.

Mit der Veränderung der Anteile am Verkaufserlös, die den Beteiligten jeweils zukommen, wachsen die Einkommensunterschiede. Der Umverteilungseffekt wäre geringer, wenn ein Hersteller die Produkte billiger anbieten müsste. Dann würde nämlich die Konsumentenseite zu Lasten der Aktionäre profitieren. Je größer jedoch die Marktmacht einer Kapitalgesellschaft ist, desto wahrscheinlicher wird sie die anvisierten Preise realisieren können.