Folgt nach den Anschlägen das Gipfelsterben?
Das Jahrestreffen der Bretton-Woods Institutionen wurde vor dem Hintergrund der Anschläge in den USA abgesagt. Das selbe Schicksal droht dem World Economic Forum
Zwar geisterte im Rahmen des Analyse-Overkills nach den Anschlägen auf WTC und Pentagon der Begriff "Globalisierungsgegner" als mögliche Urherberschaft das eine oder andere Mal durch die Redaktionsstuben und Sendestudios, so richtig an das Gesagte glaubte allerdings kaum jemand. Einen Zusammenhang zwischen den so genannten Globalisierungsgegnern und den jüngsten Ereignissen in den USA gibt es indes. Schneller als erwartet könnte die Forderung nach Abschaffung der kritisierten Gipfeltreffen vor dem Hintergrund der Anschläge in New York und Washington in Erfüllung gehen.
Mit den Ereignissen vom vergangenen Dienstag verschwand ein bisheriges Megathema urplötzlich aus dem Fokus der Berichterstattung. Von den "Globalisierungsgegnern" und ihren Aktivitäten ist seither kaum mehr etwas zu vernehmen. Abgesehen von gewissen Nennungen im Zusammenhang mit dem krampfhaften aber aussichtslosen Bemühen eine Täterschaft samt Motiven präsentieren zu können, blieb es Still um die Seattle-Menschen. Vermutlich wird es vorläufig auch still bleiben. Nicht etwa weil die Kritikpunkte obsolet geworden wären, sondern weil die beliebtesten Ziele globalisierungskritischer Mobilisierung sich ins Nichts aufzulösen drohen. So wurde gestern bekannt, dass das Jahrestreffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds vom 29./30. September nicht stattfinden wird. Weltbank Präsident James Wolfensohn und IWF-Direktor Horst Köhler haben diesen Entscheid aus "tiefstem Respekt und Sympathie für die Familien und all die Betroffenen der schrecklichen Ereignisse vom vergangenen Dienstag" getroffen, wie sie in einem gemeinsamen Communiqué mitteilen. Die Arbeit nach dem regulären Fahrplan wollen die beiden Bretton-Woods Institutionen erst im kommenden Jahr wieder aufnehmen.
"Reconfigure the programm"
Bereits am Sonntag wurde publik, dass die Durchführung des Jahrestreffens des World Economic Forum vom kommenden Januar in Frage gestellt wird. Der politisch umstrittene Großanlass könnte mit dem Hinweis auf die Sicherheit der Teilnehmenden einen eleganten Abgang durch die Hintertür machen.
"Here at the World Economic Forum we are making plans to reconfigure the programme of our Annual Meeting to reflect these new realities.", ist auf der Website des WEF unter der Rubrik "Tragic Events of 11 September" zu lesen.
Was "reconfigure the programm" genau bedeutet, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Am Hauptsitz des WEF in Genf gibt man sich bedeckt. Die Planung für das Jahrestreffen nehme den geplanten Lauf, heißt es, doch offenbar werden alle Optionen geprüft - auch eine Absage des prestigeträchtigen Jahrestreffens.
Unterdessen haben die ersten großen Firmen ihre Teilnahme abgesagt. Der Schweizer IT-Konzern Ascom - in Deutschland bekannt wegen seines Powerline-Engagements ("Internet aus der Steckdose") - ließ verlauten, dass Aufwand und Ertrag nicht mehr stimmten und deshalb auf eine Teilnahme am Davoser Gipfel verzichtet werde. Der Sonntagsblick zitiert einen namentlich nicht genannten Schweizer Wirtschaftsführer sogar mit der Aussage "Davos wird nicht stattfinden". Die ganz großen Namen wie etwa die Bank UBS oder der Technologie Konzern ABB wollten zu einer allfälligen Teilnahme noch keine Stellung nehmen und den Entscheid des WEF bezüglich der Durchführung des Gipfels voll und ganz respektieren.
Dass das WEF-Treffen ein gefundenes Fressen wäre für Urheber von Anschlägen wie sie jüngst in den USA verübt wurden, steht außer Zweifel. Während einer Woche geben sich dutzende von Staatspräsidenten, hunderte von Wirtschaftsführern und ebenso viele Vertreter aus Wissenschaft und Kultur ein Stelldichein. Deshalb wird die Sicherheit - unabhängig von den aktuellen Ereignissen - seit jeher besonders groß geschrieben. Seit fünf Jahren aber ist der Großanlass im Visier der Globalisierungsgegner und wurde in der Folge von Gegenkundgebungen und -konferenzen, aber auch Sabotageaktionen behelligt. Während bislang von Seiten des WEF stets die Devise galt, den Gipfel um jeden Preis durchzuführen und dabei auch die Aushebelung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit wohlwollend in Kauf genommen wurde, präsentiert sich die Ausgangslage trotz den Ereignissen in den USA so neu doch auch wieder nicht.
Rückenwind für Strafverfolger
Sollte das Elite-Treffen im kommenden Januar stattfinden, so ist mit Verweis auf die Anschläge vom vergangenen Dienstag die legitimatorische Grundlage für ein noch härteres und rechtsstaatlich umso bedenklicheres Vorgehen gegen Kritiker gegeben. Die möglichen Einsatzszenarien liegen auf dem Tisch. Zwei Studien geben einen Einblick in die Denk- und Vorgehensweise der involvierten Sicherheitsorgane. Neben einer nicht explizit auf Davos zugeschnittenen Studie zur Gewaltbereitschaft der Globalisierungsgegner beschäftigt sich ein Bericht mit den Ereignissen des Vorjahres und gibt Empfehlungen für die Durchführung des Gipfels in den kommenden Jahren.
Da ist etwa zu lesen "die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse müssen weiter verbessert werden", um "gewaltorientierte Aktivisten und Organisatoren vor dem Anlass identifizieren zu können". Die Begehrlichkeiten der zuständigen Stellen sind nicht neu - nur erhalten sie jetzt zusätzlichen Rückenwind.