Forschungsskandal: Deutsche Forschungsgemeinschaft und Niels Birbaumer schließen Vergleich
Seite 3: Probleme in der Wissenschaft
Das ganze Verfahren wirft aber auch ein fragliches Licht auf die Forschung und ihren Umgang mit Problemen: Den Medienberichten zufolge ging es dem jungen Informatiker und Neurowissenschaftler anfangs um ein genaues Verständnis des wissenschaftlichen Verfahrens. Als er auf Probleme hinwies, habe man ihn im Umfeld Birbaumers ausgegrenzt.
So eskalierte die Sache überhaupt erst. Wenn Birbaumer eine gewisse Schludrigkeit bei der Erhebung der Daten eingeräumt hätte, wäre das Urteil gegen ihn – sowohl in den Medien als auch von den Institutionen – wahrscheinlich milder ausgefallen. Der Hirnforscher, der sich in dem kurzen Vergleich ganze fünfmal als "Professor Dr. Dr. h.c. mult." titulieren lässt, hielt an seiner Unschuld fest und warf den Gremien Fehler vor.
Ein Teilerfolg ist für ihn nun, dass die DFG die Strafmaßnahmen schon zum 1. Januar 2023 auslaufen lässt, also vor Ende der fünf Jahre. Die Vermischung der formalen und wissenschaftlichen Fragen arbeitet für ihn – und wie der Kommentar in der FAZ zeigt, geht sie mancherorts auf. Den formalen Streit konnte er nicht gewinnen, den wissenschaftlichen schon.
Problematisch ist auch der damalige Umgang mit dem jungen Informatiker. Seinen Publikationen zufolge stand ihm eine blendende Karriere in den Neurowissenschaften bevor. Zur Zeit des Skandals war er Postdoktorand an der Universität Tübingen und betreute dort auch einige Doktoranden. Aus seinem Umfeld erfuhr ich damals, dass die Geschehnisse einige Nachwuchswissenschaftler "sehr verunsichert" haben.
Der "Whistleblower" musste nämlich die Universität verlassen. Sein Vertrag lief schlicht aus und wurde nicht verlängert. Das ist der "Vorteil" befristeter Stellen, dass sich im Streitfall lästige Kündigungsklagen erübrigen. Heute arbeitet er laut eigenen Angaben bei einem lebenswissenschaftlichen Unternehmen in der freien Wirtschaft.
Soll man so in der Wissenschaft mit Leuten umgehen, die kritische Fragen stellen? In der DFG-Denkschrift zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis heißt es, dass Zweifel an den Ergebnissen zu guter Forschung dazugehören3:
Zu den Prinzipien gehört es insbesondere, lege artis zu arbeiten, strikte Ehrlichkeit im Hinblick auf die eigenen und die Beiträge Dritter zu wahren, alle Ergebnisse konsequent selbst anzuzweifeln sowie einen kritischen Diskurs in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zuzulassen und zu fördern.
Das ist mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Einrichtungen, die bei der DFG Mittel beantragen, verpflichten sich zur Einhaltung der Leitlinien für gute wissenschaftliche Praxis. Damit dürften diese für so gut wie alle Fachhochschulen, Universitäten und Forschungsinstitute Deutschlands gelten.
Milliarden vom Steuerzahler
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft erhält Jahr für Jahr über drei Milliarden Euro vom Steuerzahler zur Verteilung an Wissenschaftler aller Disziplinen. Den kritischen Nachwuchsforscher mit einem kleinen Projekt an einer anderen Institution aufzufangen, wäre für sie kein Problem gewesen – vor allem, wenn man weiß, wie wenig junge Wissenschaftler in Deutschland verdienen.
So könnte man ein Zeichen dafür setzen, dass gute wissenschaftliche Praxis und Zweifel mehr sind als hehre doch leere Worte. Damit hätte man auch ein deutliches Zeichen für den wissenschaftlichen Nachwuchs gesetzt.
Natürlich wiegt in einem hierarchischen System das Schicksal eines unbekannten Informatikers weniger als das Wort eines "Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult." Letzteres steht übrigens für mehrere erhaltene Ehrendoktorwürden (Lateinisch: doctor honoris causa). Aber was wäre in diesem Fall wohl eine Frage der Ehre?
P.S. Im deutschen Sprachraum besteht ein Personenname aus Vor- und Nachnamen. Dass man sich hier akademische Doktorgrade in Ausweise eintragen lassen kann, führt wohl dazu, dass manche die Bedeutung einer Person daran festmachen, was alles vor ihrem Namen steht. Aber immerhin arbeiten Politiker mit Plagiaten hart daran, die öffentliche Wahrnehmung von Doktoren zu verändern.
Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.