Fracking: Auf zu neuen (Fall-)Höhen?
Seite 4: Eine Industrie sucht ihren Weg
Die Öl- und Gasförderindustrie steht ihrerseits an einem Scheidepunkt. Den privaten und staatlichen Förderkonzernen dürfte kaum entgangen sein, dass die konventionellen Fördertechniken ihre Grenzen erreichen und mit Europa ein ganzer Kontinent seit Jahren sinkende Öl- und Gasausbeute verzeichnet. Vielmehr sind auch die Unternehmen selbst von Rückgängen in ihrer Förderung betroffen: BP förderte 2011 9% weniger als 2010 und 15% weniger als 2009, Shell förderte 2011 9,5% weniger als 2010, ExxonMobil verlor im selben Zeitraum 4,5% Fördermenge, Total 8,5%.
Die Geschäftsgrundlage steht an einem Scheidepunkt und der Peak ist in den großen Förderkonzernen spürbar. Unternehmensintern dürfte klar sein, dass stagnierender oder sinkender Öl- und Gasoutput zu einer Strategieänderung in der Energieversorgung führt, wie es in Deutschland inzwischen versucht wird. Dies ist kein Ausblick, der solchen Unternehmen Freude macht. Die Fracking-Technologie und ihre in Öl und Gas messbaren Erfolge in den USA sind daher eine willkommene Referenz, die man nun gern auf den Rest der Welt skalieren will. Ein neues Geschäftsfeld wäre gefunden.
Freunde und Wegbereiter: Leonardo Maugeri und BP
Da das Thema jedoch sensibel ist und zugleich teils restriktive gesetzliche Regelungen gelten, ist eine Öffentlichkeit hilfreich, die politischem Druck zumindest nicht im Wege steht. BP bereitet offensichtlich seit geraumer Zeit das politische Feld. Grundargument ist ein hemmungsloser Optimismus darüber, wie weit die Fördermengen sich noch steigern lassen: Laut BP und IEA von heute 88 Millionen Barrel pro Tag auf 104 mb/d in 2030/2035.
Die Industrie darf dabei an jenen Argumenten ansetzen, die Peak-Oil-Warner in den vergangenen Jahren mühsam in die Öffentlichkeit getragen haben: Die Warnung vor stagnierenden und sinkenden Fördermengen. 29 der 86 Seiten des neuen BP World Energy Outlook befassen sich direkt oder subtil mit unkonventionellen Fördermethoden. Das Dokument durchzieht einerseits das Versprechen, dass jederzeit ausreichend Öl und Gas verfügbar ist, und zugleich die Warnung, dass die dafür notwendigen Voraussetzungen alle "above the ground" hergestellt werden müssen. "Above the ground" bedeutet, dass die großen Hürden für steigende Energieverfügbarkeit von der Industrie nicht unter der Erde gesehen werden, sondern oberirdisch.
Bis 2005 war eine dieser Hürden das US-Trinkwasserschutzgesetz. In Deutschland verläuft die derzeitige Diskussionsgrenze ebenfalls zwischen Wasserschutz und Geologie und eine Vielzahl von Bürgerinitiativen mischen mit, die diese vergleichsweise dezentrale Form der Energierohstoffgewinnung vor der eigenen Haustür fürchten.
BP unterstützte das Sabbatical des Leonardo Maugeri. Maugeri war für Strategieentwicklung beim italienischen Ölkonzern ENI zuständig, bevor er sich 2011 seine Auszeit nahm, um am Belfer Center for Science and International Affairs in Harvard seine Studien über die neuen unkonventionellen Fördermethoden zu einem vielbeachteten Abschluss zu führen: "Oil: The next Revolution" heißt das Ergebnis - eine Studie, die über 110 mb/d in 2020 für möglich hält.
Auch Maugeri weist Ideen eines absehbaren Ölfördermaximums von sich und legte im Sommer vergangenen Jahres einen Grundstein für einen Richtungswechsel in der medialen Debatte über die Zukunft der fossilen Energieversorgung. Die Internationale Energieagentur wie auch BPs neuer World Energy Outlook schlagen in die von ihm aufgerissene Kerbe, wenngleich die IEA dies wesentlich neutraler macht als der Ölkonzern, dessen Geschäftsgrundlage am Einsatz neuer Technologien hängt. Bereits fest verankerte Medien-Mythen verstärkt BP im Energy Outlook gern, indem beispielsweise der Bilanztrick angewendet wird, prognostizierte Gas-Überschuss-Exporte mit einem andauernden Ölimport der USA gegenzurechnen und so per Saldo auf 99% Selbstversorgungsgrad der USA in 2030 zu kommen, obwohl die USA dann ihr Ölimportminimum bei immer noch 30% des heutigen Niveaus erreichen.
Eine Frage der Zeit
2030 scheint auch diese Fördertechnik an ihre Grenzen zu stoßen, ist den Darstellungen bei IEA und BP zu entnehmen. Aber eine Diskussion darüber, wie es nach dem Fracking-Wunder weitergehen soll, findet bislang nicht statt. Die Hoffnung, dem nahen Ölfördergipfel und seinen Auswirkungen entkommen zu sein, lässt hinten runterfallen, dass 2030 auch nur 17 Jahre entfernt ist.
Selbst 2036, das Jahr, bis zu welchem die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) die Ölfördermenge ''maximal'' als steigerbar ansieht, ist nur noch 23 Jahre entfernt (auch wenn in der 2011 veröffentlichten Kalkulation mögliche Fracking-Zuwächse mangels verlässlicher Daten noch nicht enthalten sind).
Infrastrukturelle Umstellungen jener Größenordnung, die die fossilen Energieträger im Laufe von 150 Jahren hervorgebracht haben, stellt man aber nur mit extremen Anstrengungen innerhalb solch kurzer Zeiträume um. Zum Vergleich: Allein an Dresdens berühmter Waldschlößchenbrücke baut man inzwischen 6 Jahre, mit Vorplanungen und Bürgerentscheid ist man jetzt gut 13 Jahre beschäftigt. Berlins Flughafenprojekt geht ins siebte Jahr. 2 Kilometer Eisenbahntunnel in Leipzig werden inzwischen seit 10 Jahren gegraben.
Ein Umbau des Verkehrssystems derart, dass es Preisschocks aufgrund eines Auseinanderklaffens von Ölangebot und Ölnachfrage aushalten kann, ist ein Unterfangen, welches mit dem Apollo-Projekt verglichen werden kann: der Reise eines Menschen zum Mond.