Fracking: Auf zu neuen (Fall-)Höhen?

Argumente zum Peak Oil sprechen durchaus für den Einsatz unkonventioneller Fördertechniken, doch muss man sich die Dimension klarmachen, um die es beim Einsatz des Fracking geht

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Peak-Oil-Warner sehen derzeit alt aus: Berichte über die neue revolutionäre Ölfördermethode namens "Fracking" sagen einen Boom voraus, der alle Warnungen vor steigenden Ölpreisen oder einer möglichen Ölknappheit ins Reich der Dauernörgler verbannt. Fracking verspricht uns weiter steigende Ölförderraten, eine sich selbstversorgende USA und ein Ende allen Versorgungspessimismus. Doch ein weltweiter Einsatz der neuen Technologie sollte ebenso sorgsam bedacht sein wie die Eigeninteressen der Ölindustrie.

Unstrittig ist inzwischen, dass durch die konventionellen Ölfördermethoden keine weitere Steigerung der Ölförderung möglich ist. 2006 war der Höhepunkt der globalen Ölförderung gewesen, sagte die Internationale Energieagentur IEA in ihrem Jahresbericht 2011, 2012 wurde dieses Ölfördermaximum auf 2008 korrigiert. Die Grenzen des Wachstums der herkömmlichen Ölförderung wurden also in den vergangenen Jahren sichtbar.

Der Rohstoff ist für unsere heutige Wirtschaftsweise unverzichtbar, er treibt Ölheizungen und die Verpackungs- und Einkaufsbeutelindustrie, fällt in Form von Pflanzenschutzmittel auf unser Essen und hält das Verkehrssystem in Gang. Und vieles mehr: Die Bedeutung von Erdöl kann nur schwer überschätzt werden. Die Ölkrisen Mitte und Ende der 1970er Jahre zeigten den Ölverbrauchernationen deutlich genug diese Bedeutung, um sich strategische Reserven von mindestens 90 Tagesdosen anzulegen.

Preis-Signale und kanadischer Sand

Würden wir Öl allein mit der konventionellen Ölfördertechnik bereitstellen, wäre die Welt also laut IEA bereits am Peak of Oil angekommen. Die tägliche Dosis ließe sich nicht mehr steigern. Nur weil andere Techniken für andere Lagerstätten entwickelt und einsatzbereit gemacht wurden, steigt die Fördermenge überhaupt noch.

Dass sich in der Ölwelt etwas verändert hat, verrät die Preisentwicklung in der vergangenen Dekade. Vervier- bis verfünffacht hat sich der Ölpreis und mit ihm die Einnahmen der Ölförderkonzerne - seien es private oder staatliche. Am Umsatz gerechnet ist Öl das weltwichtigste Handelsgut. Die neuen Preisniveaus machen es möglich, dass neue Techniken überhaupt zum Einsatz kommen, denn sie sind aufwändiger und damit teurer. Erst das heutige Preisniveau macht ehemals unwirtschaftliche Ölvorkommen ausbeutbar und den Teersand-Abbau im großen Stil interessant. Im Tagebau werden in Kanada tausende Tonnen Bitumen bewegt, per Erdgasverbrennung erhitzt und unter Zugabe riesiger Süßwasserströme ausgewaschen. Erst nach dieser aufwändigen, energieintensiven und im Vergleich zur konventionellen Fördertechnik ineffizienten Prozedur wird aus dem zähen Teersand jener Stoff, den die Raffinerien zu Diesel & Co. weiterverarbeiten können. Kanada "fördert" auf diesem Wege inzwischen fast 2 Millionen Barrel pro Tag und ist damit zum fünftgrößten "Ölförderland" der Welt aufgestiegen. Gekauft wird der exportierte Anteil des Stoffs hauptsächlich von Kanadas Nachbarn, den USA, weshalb neue Pipelines gelegt werden wollen, wegen derer sich Hoffnungsträger Barack Obama mit Umweltkonservativen konfrontiert sieht.

Unkonventionelle Methoden

Eine andere Kategorie von Öllagerstätten hat die Firma BP im Jahr 2010 bekannt gemacht, als ihr die schwimmende Explorationsplattform Deepwater Horizon explodierte und es über drei Monate nicht gelang, den Ölausfluss in 1.500 Metern Meerestiefe zu stoppen. Gebannt verfolgte die fernsehvernetzte Welt den Super-GAU der Ölförderbranche und machte sich so manchen kritischen Gedanken, jedoch ohne den eigenen Lebensstil mit der größten Umweltkatastrophe seit Tschernobyl in Zusammenhang zu bringen.

In den kleinen (plastikstrotzenden) Flimmerkisten lässt sich bekanntlich schwer unterscheiden, was Realität und was Filmkunst spielbergscher Dimension ist, und so manchem mögen die Bilder von tausenden Litern zäh-stinkendem Erdöl, die in den Ozean flossen, wie aus einem schlechten Science-Fiction-Film vorgekommen sein. Die Deepwater-Horizon-Katastrophe zeigte uns, wie (un)beherrschbar die Förderung des flüssigen Rohstoffs in tausenden Metern unter dem Meeresspiegel ist. Aber die Tiefseeförderung ist die zweite wichtige unkonventionelle Ölfördermethode, die die globale Ölförderung weiter steigen lässt.

Öläquivalente aus Biomasse sind inzwischen ebenfalls wichtiger Bestandteil der globalen "Ölförderung". Die Industrie sieht hier weiter Ausbaupotential. Auch wenn die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina feststellt, dass in Deutschland bereits 75% der oberirdischen Biomasseproduktion vom Menschen vereinnahmt werden, scheint es noch genügend Ecken auf dem Planeten zu geben, wo Nutzmasse wachsen kann. Die Umwandlung von Urwäldern in Palmölplantagen und die Beimischung von Ethanol ins Benzin ist der Versuch, die bestehenden Tankinfrastrukturen und die gewachsene Motorentechnik nicht allzu stark verändern zu müssen. Zudem findet ein werbewirksamer Imagetransfer statt: von der lebenden Pflanze auf die Industriegesellschaft.

Frac, Baby, Frac! und eine Trendumkehr

Die wohl größte mediale Aufmerksamkeit bekommt derzeit eine Technik-Kombination, die aus rein ingenieurtechnischem Blickwinkel eine Meisterleistung darstellt. Die Horizontalbohrungen in tausenden Metern Tiefe, in die unter hohem Druck tausende Liter Flüssigkeiten gepumpt werden, um künstliche Risse in festes Gestein zu sprengen, sind allgemein unter dem Begriff "Fracking" bekannt. Fracking ist eine Abkürzung für Hydraulic Fracturing. Diese Technik soll nun die Sorge um ein Ölfördermaximum gänzlich vertreiben, denn sie macht Ressourcen von enormem Umfang nutzbar. Dank Fracking haben es die USA geschafft, den seit Anfang der 1970er anhaltenden Trend fallender Förderraten umzukehren.

Diese Umkehrung sorgt für große Euphorie in der Ölförderindustrie. Auf 104 Millionen Barrel pro Tag soll sich die Ölförderung bis 2030 steigern lassen, sagt BP in seinem neuen World Energy Outlook (BP-Chef: Warnungen vor Peak-Oil sind "zunehmend grundlos"). Von einem Ölfördermaximum sei bis dahin also nichts zu sehen und die meisten Veröffentlichungen zu dem Thema suggerieren, 2030 sei so weit weg, dass es uns heute noch nicht sorgen muss, was danach geschieht. Die technikgebundene Euphorie suggeriert überdies: Vermutlich werden wir auch nach 2030 weitere Öl- und Gasressourcen verfügbar machen und uns falls nötig weitere Technologien einfallen lassen.

Die derzeitige Berichterstattung schafft es also, jegliche Fragen nach Risiken des eingeschlagenen Weges auszublenden und wegzuschieben und legt das Ergebnis des weiteren Prozesses bereits im Vorfeld fest: Fracking wird die neue Technologie der Ölförderung. Weltweit eingesetzt wird sie dazu beitragen, selbst den stark wachsenden Ölbedarf Chinas und Indiens zu sichern.

Diese Euphorie ist verständlich. Noch vor wenigen Jahren stand die Ölindustrie unter Druck, als sich die Stimmen eines naheliegenden Ölfördermaximums mehrten. Szenarien, die bis zum Kollaps des bestehenden, weil ölbasierten Wirtschaftssystems gingen, schafften es bis in die großen Medien. (siehe: "Rohstoffknappheit: Bundeswehr-Studie warnt vor dramatischer Ölkrise" im Spiegel). Nach mehreren Jahren Erfahrung mit der Fracking-Technik in den USA kann die Industrie jetzt sichtbare, in Zahlen messbare Fördererfolge nachweisen. Der immer wiederkehrende Verweis auf die US-Entwicklung ist werbewirksam genug, um die Technik auch in andere Weltregionen zu exportieren.

Konventionell am Limit

Es gilt jedoch festzuhalten: Ohne Fracking & Co. wäre das Ölfördermaximum bereits erreicht. Die konventionellen Fördertechniken haben ihre Boomphase hinter sich und sind in ihrer Lebensmitte angekommen. Das Ölzeitalter hat den Zeitpunkt einer Zäsur erreicht, da die vergleichsweise aufwandsarmen Ölfördermethoden an ihre Grenzen des Wachstums gekommen sind.

Nicht Artikel über eine neue Fördertechnik würden in den Medien dominieren, sondern die Diskussion um einen Pfadwechsel bei unserem Energieverbrauch würde dominieren, wenn es die neuen Fördertechniken nicht gäbe. Nicht die Subventionskosten erneuerbarer Energieträger stünden im Mittelpunkt der Energiewendediskussion, sondern die steigenden Kosten der fossilen Energieträger und die Suche nach Strategien zur Abkehr von Öl, Kohle und Gas. In jedem Fall wäre ein neuer Umgang mit Öl notwendig, doch das Aufkommen der neuen Ölfördertechniken suggeriert uns, dass wir diesen neuen Umgang nur auf der Angebotsseite einüben müssen, also dort, wo Öl gefördert wird. Strategien für die Drosselung des Ölverbrauchs werden nicht in den Medien diskutiert, und es ist nachvollziehbar, warum dies so ist: Auch Medienleute wollen ihren Lebensstil fortführen, sie wollen in den Urlaub fliegen und die Annehmlichkeiten des Ölzeitalters beibehalten - Suffizienzdiskussionen sind unpopulär.

Die Fortführung des Lebensstils versprechen uns die Ölkonzerne, die in diesem Sinne als Heiland auftreten. Sie haben die neuen Technologien, die alle Bedrohungsszenarien mangelnder Ölverfügbarkeit wegwischen, und vermutlich werden wir bereit sein, diese Technologien anwendbar zu machen. Fracking ist zumindest schon einmal medial ein wirksamer Game-Changer. Ob die Technik die vollmundigen Versprechen überhaupt halten kann, wird durchaus angezweifelt und in den kommenden Monaten sicherlich aufmerksam beobachtet.

USA: Neue Lücken im Gesetz

Um diese Technologie in globalem Maße einsatzfähig zu machen, ist mediale Unterstützung dieses Typs auch notwendig, denn ein Punkt bleibt in der Berichterstattung gern unbeleuchtet: Die Risiken der neuen Fördertechniken und ihre Wirksamkeitsdauer. An der Tatsache, dass Öl ein endlicher Stoff ist, ändert sich wenig, selbst wenn neue Preisniveaus und Technologien bislang nicht förderbare Ressourcen zu nutzbaren Reserven machen. Die wiederholte Unwahrheit, die USA würden bis 2030 zum Ölexporteur werden, lenkt leicht davon ab, dass es auch noch eine Zeit nach 2030 geben wird und Europa nicht die USA ist (Europa am Peak).

Es ist nicht auszuschließen, dass bis 2030 wieder neue Fördertechnologien die Bühne betreten, die eine erneute Verlängerung des Ölzeitalters versprechen, aber es muss betont werden, dass die "neuen" Technologien so neu gar nicht sind, sondern erst eine Gesetzesänderung ihren Einsatz in den USA möglich gemacht hat. Die erste bekannte horizontale Bohrung geschah 1929, aber erst in den 1980ern wurde die Technik ökonomisch anwendbar.

Seit den 1940er Jahren wurden Flüssigkeiten eingesetzt, um unterirdisch Wegungen für Öl und Gas zu schaffen und offen zu halten. Es war jedoch erst der Ölpreisanstieg seit 2003, der die Technik ökonomisch einsatzfähig machte sowie der Energy Policy Act von 2005, der juristische Hürden beiseite rollte. Dieses US-Gesetz fügte dem US-Trinkwasserschutzgesetz (Safe Drinking Water Act) eine Ausnahmeregelung hinzu. Verboten blieben Untergrund-Injektionen weiterhin, allerdings mit folgenden Ausnahmen:

  • die Untergrund-Injektion von Erdgas zum Zweck der Speicherung und
  • die Untergrund-Injektion von Flüssigkeiten oder spaltenfüllenden Medien (mit Ausnahme von Diesel) im Rahmen von Hydraulic Fracturing zur Förderung von Öl, Gas oder geothermischer Energiegewinnung.

Erst die so geschaffene Gesetzeslücke erlaubt es seitdem im großem Stil, Flüssigkeiten zur Öl- und Gasförderung in den Boden zu verpressen. Der große Streit zwischen Umweltbelangen und Förderbelangen geht bekanntlich um die Frage, welche Flüssigkeiten in den Boden verpresst werden dürfen und welche Seitenwirkungen diese Prozedur hat. Die benutzten Flüssigkeiten haben beim Fracking-Prozess zwei Funktionen:

  1. Unter hohen Druck gesetzt sprengen sie in tausenden Metern Tiefe Risse ins Gestein und
  2. transportieren sie Sand oder Keramikteilchen (sogenannte Proppants) in diese Risse, damit diese offen bleiben und nicht vom Druck des umliegenden Gesteins geschlossen werden.

Wegungen schaffen

Diese künstlichen Risse dienen als Wegungen, durch die Öl und Gas fließen kann. Sandkörnchen verhalten sich jedoch sehr störrisch, wenn sie durch reines Wasser gespült werden sollen - das weiß jeder, der einen Eimer mit Wischwasser in den Ausguss kippen will.

Wasser ist nicht das ideale Transportmedium für solche Körnchen. Daher wird es mit allerlei chemischen Zusätzen angereichert, unter anderem mit Extrakten der Guarbohne (Guarkernmehl, E412), welches aus Wasser ein Gel macht. Um zu verhindern, dass das Gemisch unter der Erde zu leben beginnt und die Risse verkleistert, werden Biozide beigemischt, also Substanzen, die Schadorganismen fernhalten oder absterben lassen. Prozentual machen diese Substanzen selten mehr als 5% aus, doch angesichts der großen Mengen an Flüssigkeiten summieren sich selbst kleine Relationen zu großen Mengen. Halliburton bemüht sich beispielsweise um Transparenz und macht die verwendeten Substanzen öffentlich, ernsthaft bewertbar bleiben sie jedoch nur für Chemiker und Biologen.

Das Einpressen der Fluide in den Untergrund ist der eine Aspekt, die Entsorgung bzw. Aufbereitung der Flüssigkeiten nach dem Frac-Prozess ist ein zweiter. In jedem Fall ist die Technik eine mit bedeutsamer Umwelteinwirkung.

Traut man den Vorhersagen zum Output dieser Fördertechnik, so steht ein Diskussionsprozess bevor, der abwägt zwischen dem Nutzen zusätzlicher Öl- und Gasförderung und möglichen Risiken, die sich daraus ergeben, dass Substanzen unter die Erde verpresst werden und beim Rückholprozess Substanzen aus der Erde ausgespült werden (zum Beispiel radioaktive Stoffe).

Argumente zum Peak Oil und dessen sozioökonomischen Wirkungen sprechen durchaus für den Einsatz unkonventioneller Fördertechniken, doch muss man sich die Dimension klarmachen, um die es beim Einsatz des Fracking geht: Zielstellung der Öl- und Gaskonzerne ist es, diese Technik weltweit einzusetzen. Aus geschäftlicher Sicht macht das ja auch Sinn. Da die horizontale Bohrmethode einen Umkreis von etwa 2 Kilometern um eine Bohrstation erschließt, ist also bei flächendeckender Anwendung mit einer Bohrstation alle 4 Kilometer zu rechnen. Tausende Bohrungen pro Lagerstätte sorgen in Konsequenz für ein dichtes Netz an Bohrstationen wie auch ein engmaschiges Durchbohren der oberen Schichten der Erdkruste. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit von defekten Bohrungen gering sein mag (sie werden innen mit Beton ausgekleidet, um sie von den umliegenden Gesteinsschichten zu isolieren) steigt bei der großen Zahl an Bohrungen insgesamt natürlich die Zahl zu erwartender Defekte an.

Eine Industrie sucht ihren Weg

Die Öl- und Gasförderindustrie steht ihrerseits an einem Scheidepunkt. Den privaten und staatlichen Förderkonzernen dürfte kaum entgangen sein, dass die konventionellen Fördertechniken ihre Grenzen erreichen und mit Europa ein ganzer Kontinent seit Jahren sinkende Öl- und Gasausbeute verzeichnet. Vielmehr sind auch die Unternehmen selbst von Rückgängen in ihrer Förderung betroffen: BP förderte 2011 9% weniger als 2010 und 15% weniger als 2009, Shell förderte 2011 9,5% weniger als 2010, ExxonMobil verlor im selben Zeitraum 4,5% Fördermenge, Total 8,5%.

Die Geschäftsgrundlage steht an einem Scheidepunkt und der Peak ist in den großen Förderkonzernen spürbar. Unternehmensintern dürfte klar sein, dass stagnierender oder sinkender Öl- und Gasoutput zu einer Strategieänderung in der Energieversorgung führt, wie es in Deutschland inzwischen versucht wird. Dies ist kein Ausblick, der solchen Unternehmen Freude macht. Die Fracking-Technologie und ihre in Öl und Gas messbaren Erfolge in den USA sind daher eine willkommene Referenz, die man nun gern auf den Rest der Welt skalieren will. Ein neues Geschäftsfeld wäre gefunden.

Freunde und Wegbereiter: Leonardo Maugeri und BP

Da das Thema jedoch sensibel ist und zugleich teils restriktive gesetzliche Regelungen gelten, ist eine Öffentlichkeit hilfreich, die politischem Druck zumindest nicht im Wege steht. BP bereitet offensichtlich seit geraumer Zeit das politische Feld. Grundargument ist ein hemmungsloser Optimismus darüber, wie weit die Fördermengen sich noch steigern lassen: Laut BP und IEA von heute 88 Millionen Barrel pro Tag auf 104 mb/d in 2030/2035.

Die Industrie darf dabei an jenen Argumenten ansetzen, die Peak-Oil-Warner in den vergangenen Jahren mühsam in die Öffentlichkeit getragen haben: Die Warnung vor stagnierenden und sinkenden Fördermengen. 29 der 86 Seiten des neuen BP World Energy Outlook befassen sich direkt oder subtil mit unkonventionellen Fördermethoden. Das Dokument durchzieht einerseits das Versprechen, dass jederzeit ausreichend Öl und Gas verfügbar ist, und zugleich die Warnung, dass die dafür notwendigen Voraussetzungen alle "above the ground" hergestellt werden müssen. "Above the ground" bedeutet, dass die großen Hürden für steigende Energieverfügbarkeit von der Industrie nicht unter der Erde gesehen werden, sondern oberirdisch.

Bis 2005 war eine dieser Hürden das US-Trinkwasserschutzgesetz. In Deutschland verläuft die derzeitige Diskussionsgrenze ebenfalls zwischen Wasserschutz und Geologie und eine Vielzahl von Bürgerinitiativen mischen mit, die diese vergleichsweise dezentrale Form der Energierohstoffgewinnung vor der eigenen Haustür fürchten.

BP unterstützte das Sabbatical des Leonardo Maugeri. Maugeri war für Strategieentwicklung beim italienischen Ölkonzern ENI zuständig, bevor er sich 2011 seine Auszeit nahm, um am Belfer Center for Science and International Affairs in Harvard seine Studien über die neuen unkonventionellen Fördermethoden zu einem vielbeachteten Abschluss zu führen: "Oil: The next Revolution" heißt das Ergebnis - eine Studie, die über 110 mb/d in 2020 für möglich hält.

Auch Maugeri weist Ideen eines absehbaren Ölfördermaximums von sich und legte im Sommer vergangenen Jahres einen Grundstein für einen Richtungswechsel in der medialen Debatte über die Zukunft der fossilen Energieversorgung. Die Internationale Energieagentur wie auch BPs neuer World Energy Outlook schlagen in die von ihm aufgerissene Kerbe, wenngleich die IEA dies wesentlich neutraler macht als der Ölkonzern, dessen Geschäftsgrundlage am Einsatz neuer Technologien hängt. Bereits fest verankerte Medien-Mythen verstärkt BP im Energy Outlook gern, indem beispielsweise der Bilanztrick angewendet wird, prognostizierte Gas-Überschuss-Exporte mit einem andauernden Ölimport der USA gegenzurechnen und so per Saldo auf 99% Selbstversorgungsgrad der USA in 2030 zu kommen, obwohl die USA dann ihr Ölimportminimum bei immer noch 30% des heutigen Niveaus erreichen.

Eine Frage der Zeit

2030 scheint auch diese Fördertechnik an ihre Grenzen zu stoßen, ist den Darstellungen bei IEA und BP zu entnehmen. Aber eine Diskussion darüber, wie es nach dem Fracking-Wunder weitergehen soll, findet bislang nicht statt. Die Hoffnung, dem nahen Ölfördergipfel und seinen Auswirkungen entkommen zu sein, lässt hinten runterfallen, dass 2030 auch nur 17 Jahre entfernt ist.

Selbst 2036, das Jahr, bis zu welchem die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) die Ölfördermenge ''maximal'' als steigerbar ansieht, ist nur noch 23 Jahre entfernt (auch wenn in der 2011 veröffentlichten Kalkulation mögliche Fracking-Zuwächse mangels verlässlicher Daten noch nicht enthalten sind).

Infrastrukturelle Umstellungen jener Größenordnung, die die fossilen Energieträger im Laufe von 150 Jahren hervorgebracht haben, stellt man aber nur mit extremen Anstrengungen innerhalb solch kurzer Zeiträume um. Zum Vergleich: Allein an Dresdens berühmter Waldschlößchenbrücke baut man inzwischen 6 Jahre, mit Vorplanungen und Bürgerentscheid ist man jetzt gut 13 Jahre beschäftigt. Berlins Flughafenprojekt geht ins siebte Jahr. 2 Kilometer Eisenbahntunnel in Leipzig werden inzwischen seit 10 Jahren gegraben.

Ein Umbau des Verkehrssystems derart, dass es Preisschocks aufgrund eines Auseinanderklaffens von Ölangebot und Ölnachfrage aushalten kann, ist ein Unterfangen, welches mit dem Apollo-Projekt verglichen werden kann: der Reise eines Menschen zum Mond.

Fracking wechselt keine Paradigmen

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe wiederholte dann auch in ihrer Energierohstoffstudie 2012 eine Aussage, die sie schon 2011 gemacht hatte:

Erdöl ist der einzige nicht erneuerbare Energierohstoff, bei dem in den kommenden Jahrzehnten eine steigende Nachfrage nicht mehr gedeckt werden kann. Angesichts der langen Zeiträume, die für eine Umstellung auf dem Energiesektor erforderlich sind, ist deshalb die rechtzeitige Entwicklung alternativer Energiesysteme notwendig.

Und sie erweiterte diese Aussage um einen Satz, der bei der ölindustriebefeuerten Fracking-Euphorie aufhorchen lassen sollte:

Die zunehmende Nutzung nicht-konventioneller Erdölvorkommen führt langfristig nicht zu einem Paradigmenwechsel.

Zu deutsch: Vielleicht bringt Fracking einen Zeitgewinn, eine Entziehungskur steht uns Öl-Junkies dennoch ins Haus. Laut Dr. Steffen Bukold vom Hamburger Büro EnergyComment rechnen selbst optimistische Schätzer damit, dass Tight Oil in den nächsten Jahrzehnten nur bis zu 3-4% der Ölversorgung decken wird.

Tausche Rodelberg gegen Fracking-Cliff

Eine Besonderheit der Fracking-Technik bleibt bislang ebenfalls medial unterbeleuchtet: die Förderkurven. Während konventionelle Ölfördermethoden eine glockenförmige Förderkurve hervorbringen, die nach Überschreiten des Peaks vergleichsweise sanft abfallen, gleicht die Förderkurve beim Fracking einer Exponentialfunktion mit negativem Exponenten: Der Maximalwert der Förderung wird direkt nach der Bohrung erreicht und sinkt danach extrem ab. Binnen 3 Jahren liegt der Output der Fracking-Bohrungen oft nur noch bei einem Zehntel des Anfangsjahres, die Bohrungen verlieren über 30% des Outputs pro Jahr, während die "normale" Decline-Rate bei 5 bis 6% pro Jahr liegt.

Um bei dieser Struktur der Förderkurven überhaupt zu einem Anstieg der Gesamtförderung zu kommen, muss die Geschwindigkeit neuer Bohraktivitäten ständig gesteigert werden. Ein neues Bohrloch muss zuerst den abfallenden Förderdruck anderer Bohrungen ausgleichen, bevor es selbst Output erbringt, der die Gesamtförderung steigert. Problematisch ist dies dann, wenn die entstehende Hektik neuer Bohrungen nicht beibehalten werden kann. Gründe dafür könnten verschärfte gesetzliche Regelungen sein oder ein plötzlicher Preisverfall, der neue Bohrungen auf Eis legt. Oder schlicht: Ein Streik in der Industrie oder ihren zahlreichen Zulieferern.

Fracking tauscht Öl mit langsamer Abfallrate in Öl mit extrem großer Abfallrate. Bei Unterbrechungen der Bohraktivitäten sowie am Ende des Förderprozesses, wenn dann der Großteil der Tight-Oil-Vorkommen abgegrast ist, wird der Einbruch der globalen Ölförderung umso stärker ausfallen. Und mit ihm die Wirkungen auf das, was wir Zivilisation nennen. Der Einstieg in die Ölförderung per Fracking ist daher ein Weg ohne Umkehr: Wenn er erst einmal eingeschlagen ist, werden härtere gesetzliche Regelungen schon deshalb nicht mehr umsetzbar sein, weil sie Auslöser eines rasanten Förderabfalls wären. Der Alptraum jedes Peak-Oil-Doomers würde wahr werden.

Auf zu neuen Höhen!

Eine verantwortungsvolle Anwendung dieser Technik wäre daher eigentlich nur gegeben, wenn die dadurch gewonnenen Energieressourcen und die gewonnene Zeit für eine konzentrierte Ausstiegsstrategie verwendet würden.

Betrachtet man die fossilen Rohstoffe als Energiespeicher ähnlich dem Eiweiß in einem Vogel-Ei, so müssten wir diese sinnvollerweise dafür nutzen, um mit ihrer Erschöpfung außerhalb der Eierschale lebensfähig zu werden. Öl, Kohle und Gas wären so etwas wie eine energetische Vor-Investition, die Mutter Natur uns mitgab und die sinnvoll eingesetzt werden muss, um das Küken bis zum Schlüpfen zu päppeln und es danach lebensfähig in eine neue (energetische) Umwelt zu entlassen. Reiner Spaßkonsum von Öl, wie er beispielsweise von Fluggesellschaften in Form von "Wochenend-Shopping in London" propagiert wird, ist angesichts des Wertes des Rohstoffs und seiner absoluten Notwendigkeit für unser fossil geprägtes System unverantwortlich. Leider werden Diskussionen um Sinn und Unsinn von Fracking bislang nicht begleitet von der kritischen Frage, wofür wir die zu fördernden Rohstoffe eigentlich verwenden und ob diese Verwendung angemessen ist.

Zu befürchten ist, dass kurzfristiges Gewinnstreben die langfristigere Sichtweise übertönt. Die Ölfördermengen weiter zu steigern bedeutet, das herrlich verschwenderische Leben des verblassenden 20. Jahrhunderts fortzusetzen. Es bedeutet jedoch auch, die Fallhöhe noch ein gutes Stückchen weiter hochzuschrauben.