Fragwürdige Transaktion
Der Kauf des Usenet-Archivs von 1995-2001 durch Google
Am 12. Februar 2001 war ein Mann in Seattle, Washington, gerade dabei, das Usenet-Archiv von Deja.com zu benutzen. Er ist dann irgendwann rausgegangen, um sich einen Kaffee zu holen. Als er wieder zurückkehrte, war aus www.deja.com bereits groups.google.com geworden. Das ist typisch für die Art, wie die Netzgemeinde davon erfahren hat, dass Google Inc. das Usenet-Archiv von Deja1 gekauft hat.
Einige Nutzer beschwerten sich darüber, dass Google mit dem Kauf das Usenet-Archiv vorübergehend vom Netz genommen hatte, um damit sein eigenes, seit August 2000 aufgebautes Archiv zu ersetzen. Viele meinten, die Beta-Version der Google-Schnittstelle zu den Archiven sei dem alten Deja-Interface unterlegen. Man stellte unter anderem fest, dass die Google-Schnittstelle keine Möglichkeit bot, den zu einer dargestellten Nachricht gehörenden Diskussionsablauf (Thread) anzuzeigen. Stattdessen wurden die Suchergebnisse nur als für sich stehende einzelne Seiten gezeigt, eher so wie die Ergebnisse einer Suche im Web.
Der Frust der Nutzer darüber, dass Google bei der Übernahme nicht die alte Suchschnittstelle von Deja beibehalten hatte, kam auch in einem Artikel zum Ausdruck, der am 13. Februar 2001 auf The Register erschienen ist. In weiteren Artikeln auf The Register vom 14. und 15. Februar wurde Larry Page, der Geschäftsführer von Google, mit der Zusage zitiert, dass die Deja-Archive innerhalb der nächsten 90 Tage wieder verfügbar sein würden.
Andere Mitglieder der Usenet-Gemeinschaft waren wiederum erleichtert, als sie davon erfuhren, dass gerade Google die Usenet-Archive von 1995-2001 gekauft hatte. Sie waren der Meinung, dass Google eine gute Web-Suchmaschine entwickelt hatte. Das hatte ihnen anscheinend das Vertrauen eingeflösst, dass Google in der Lage sein würde, auch für die Usenet-Archive eine gute Benutzerschnittstelle zu entwickeln. Sie plädierten dafür, Google etwas Zeit zu geben, damit sie ihre Pläne ausarbeiten und darlegen könnten.
Google-Entwicklung: Der akademische Hintergrund
Ein Bericht der National Science Foundation (NSF - Staatliche Einrichtung zur Förderung von Grundlagenforschung in den USA, vergleichbar mit der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland. D. Übers.) aus dem Jahr 1999 teilt uns mit, "dass die Suchmaschine 'Google' in der Gruppe von Hector Garcia-Molina in Stanford entwickelt wurde und aus dem DLI-Projekt hervorgegangen ist." Die Entwicklung der Suchmaschine Google war Teil des Forschungsprojekts Digital Libraries Initiative (DLI - Initiative zur Entwicklung digitaler Bibliotheken, d. Übers.) in Stanford gewesen. Einige diesem Projekt verbundene Leute arbeiten heute für Google als technische Berater oder sind dort angestellt.
Sergey Brin und Lawrence Page, damals noch graduierte Mitarbeiter am DLI-Projekt in Stanford, beschrieben 1998 in einem Papier die Prinzipien, die dem Design von Google zugrunde liegen. Ihr Aufsatz "The Anatomy of a Large-Scale Hypertextual Web Search Engine" beschreibt die nachteiligen Effekte der Kommerzialisierung des Netzes und die Auswirkungen auf die Qualität der Suchmaschinen-Ergebnisse - wobei einige dieser Suchmaschinen ursprünglich mit Unterstützung der NSF entwickelt worden seien. Sie schrieben: "Bisher hat die Entwicklung von Suchmaschinen vor allem in Unternehmen stattgefunden, die wenige technische Details nach draußen dringen lassen. Das hat dazu geführt, dass die Suchmaschinentechnologie bisher wie schwarze Magie anmuten musste und sich an die Anforderungen der Werbewirtschaft anzupassen hatte. [...] Mit Google verfolgen wir das wichtige Ziel, den Schwerpunkt der Entwicklung und des Know-hows wieder stärker auf wissenschaftliches Gebiet zu verlagern." In demselben Aufsatz schreiben sie: "Ein weiteres Ziel unserer Forschung ist es, eine Umgebung wie im Spacelab zu schaffen, wo Forscher und sogar Studenten interessante Experimente mit unseren im großen Stil gesammelten Web-Daten vorschlagen und durchführen können."
Eines der Gestaltungsprinzipien von Google war es also, als öffentliche Suchmaschine und gleichzeitig als eine Art Labor für Suchmaschinenentwicklung zu dienen. Der Aufsatz von 1998 beschreibt auch, wie die Aktivitäten der kommerziellen Unternehmen die Forschung und den freien Datenaustausch behindern, die zur Weiterentwicklung der Suchmaschinentechnologie notwendig wären. Dabei bestätigt das Papier, Forschungsmittel aus dem Stanford Integrated Digital Library Projekt erhalten zu haben, das von der NSF, der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency, d. Übers.), der NASA, Interval Research (von Microsoft-Mitgründer Paul Allen finanzierter "Think Tank" in Palo Alto, der von ihm im April 2000 geschlossen wurde, d. Übers.) und Partnern aus der Industrie unterstützt wird. Was ist nun aus den hehren Zielen des 98er Aufsatzes geworden?
Wie wird dieser Kulturkampf das Usenet?
Was wird geschehen, wenn ein Usenet-Archiv wieder einem Unternehmen gehört, das den Zwängen des freien Markts unterliegt? Welchen Einfluss wird das auf die wertvoll-fragile zwischenmenschliche Verständigung im Usenet und im restlichen Internet haben? Würde es nicht hilfreich sein, wenn Google Kopien des Archivs Universitäten oder anderen nichtkommerziellen Institutionen zur Verfügung stellen würde, damit diese eine Benutzerschnittstelle entwickeln könnten, die der zunehmenden Geschwindigkeit und Verbreitung dieser speziellen Form von menschlicher Verständigung Rechnung trägt?
Während es in der Online-Gemeinde eine breite Diskussion darüber gegeben hat, was in dem Fall passieren sollte, wenn Deja seine Archive nicht mehr unterhalten könnte - wobei es eine starke Tendenz zu der Meinung gegeben hat, dass das Archiv von einer wissenschaftlichen oder nichtkommerziellen Institution übernommen werden sollte -, ist das Usenet-Archiv von Google aufgrund einer internen Entscheidung gekauft worden, in der die Diskussionen im Usenet nicht berücksichtigt worden waren. Die fehlende Kommunikation zwischen der Online-Gemeinschaft und Google hinsichtlich der Entscheidungen, die die Zukunft eines Usenet-Archivs betreffen, ist exemplarisch für den Konflikt, der durch den Kauf des Usenet-Archivs durch Google heraufbeschworen worden ist.
Ein weiterer Aspekt dieses kulturellen Konflikts zwischen der Online-Gemeinschaft und Google bezieht sich auf Behauptungen, Google würde die Inhalte des Usenet-Archivs besitzen. Die Artikel im Usenet sind ihrer Natur nach sehr verschieden von den Inhalten im Web. Wenn Google Webseiten indexiert und Möglichkeiten zur Verfügung stellt, diese zu durchsuchen, dann behaupten sie nicht, die Webseiten und die von ihnen indexierten Informationen zu besitzen. Bei einem Usenet-Archiv widerspricht es dem Verständnis der Benutzer dieses Systems, wenn jemand Usenet-Artikel lizenzieren, damit handeln oder Besitzansprüche darauf anmelden sollte. Im Allgemeinen fassen die Autoren von Usenet-Artikeln diese als Beiträge zur freien Kommunikation der Online-Gemeinschaft auf. Jeder Anspruch eines Unternehmens, dass es ein Recht darauf hätte, eine Sammlung von Usenet-Artikeln zu kaufen oder verkaufen, würde eine ernste Bedrohung für diese kulturelle Grundvereinbarung darstellen, welche es dem Usenet ermöglicht hat, über die Jahre hinweg funktionsfähig zu bleiben.
In seinem Artikel Net Cultural Assumptions, der zuerst 1992 im Usenet veröffentlicht worden ist, betonte Gregory Woodbury, Menschen, die im Usenet veröffentlichen, würden anerkennen, dass "Leute auf verschiedenen Maschinen wünschen, Informationen auf eine einfache und schnelle Art mit anderen Menschen zu teilen, trotz der räumlichen Abstände zwischen ihnen und den verschiedenen Maschinen, die sie benutzen. Das bedeutet, dass die Menschen, die das Netz benutzen, kommunizieren wollen, und dass sie miteinander zusammenarbeiten möchten, um diese Kommunikation stattfinden zu lassen." Das ist die ungeschriebene Übereinkunft. Was Woodbury darüber denken würde, dass ein Unternehmen einfach das Copyright für diese Artikel beansprucht und sie sein Eigentum nennt, mit dem es handeln könne, hat er in diesem Artikel nicht geschrieben. Aber welche Auswirkungen wird es auf das Usenet haben, wenn kommerzielle Unternehmen Besitzrecht auf Artikel beanspruchen, die von der Online-Gemeinschaft als Beiträge zu aktuellen Diskussionen verfasst worden sind?
Die Usenet-Artikel stehen unter dem Schutz der Berner Konvention, der die Vereinigten Staaten am 1. März 1989 beigetreten sind und die die Rechte der Autoren auf ihre Artikel schützt. Die Berner Konvention sieht vor, dass der Schöpfer einer Arbeit oder einer Idee ein Copyright darauf erhält, sobald diese in einer greifbaren Form vorliegt. Kein Copyright-Symbol oder anderer Hinweis wird dazu benötigt, um das Copyright zu erhalten. Die Usenet-Teilnehmer brauchen diesen Schutz eigentlich nicht, wenn sie sich untereinander verständigen. Trotzdem bietet dieses Copyright einen Schutz dagegen, dass Dritte ihre Artikel sammeln, Besitzrecht beanspruchen und aus der geschützten Arbeit anderer Leute einen finanziellen Vorteil ziehen, ohne die Autoren vorher um deren ausdrückliche Erlaubnis gefragt zu haben.
Ob Google für das Usenet-Archiv Geld bezahlt hat, ist unbekannt, da das Unternehmen keine Details über die Transaktion mit Deja veröffentlicht hat. Ein Sprecher von Google hat jedoch gesagt, dass die Firma erwägt, Kopien des Archivs an nichtkommerzielle oder staatliche Organisationen weiterzugeben und dass diesbezügliche Vorschläge an bizdev@google.com gesendet werden könnten.
Tom Truscott, einer der Mitinitiatoren des Usenet, zeigt einen weiteren Blickwinkel auf, aus dem der Verkauf des Usenet-Archivs betrachtet werden kann und warum dieser Vorgang eine Herausforderung für die Gemeinschaft bedeutet. Er weist darauf hin, dass die Mitarbeiter von Deja lange Zeit gebraucht hätten, um die Software für die Benutzerschnittstelle zu entwickeln und dass dies den meisten von ihnen ein überdurchschnittliches Engagement abverlangt habe. Er schlägt vor, dass bei der Schaffung einer neuen Suchmaske und -Software für das Archiv technische Entscheidungen getroffen werden sollten, die das Wesen des Usenet berücksichtigen.
Eine weitere zentrale Frage, die von der Übertragung des Usenet-Archivs auf Google aufgeworfen wurde, ist die, wie wichtig es ist, dass sich die Online-Gemeinschaft kooperativ weiterentwickelt. Wie wichtig ist es, die Leute zu ermutigen, ihr technisches Wissen, Software, Werkzeuge und sich selbst in die Online-Gemeinschaft einzubringen, die sich entwickelt hat.
J. C. R. Licklider gilt als der Visionär, der die Entwicklung des Netzes der Netze angestoßen hat. In einigen Artikeln, die er ab den 60er Jahren verfasst hatte, erklärte er, warum es entscheidend ist, eine kooperative Online-Umgebung zu schaffen, zu derem technischen Wissen die Nutzer gemeinsam beitragen können. Grundlage für eine solche kooperative Gemeinschaft war die Forschungsarbeit zum Bau eines Time-Sharing-Systems, die Licklider unterstützt hatte, seit er 1962 zum ersten Mal zur ARPA gegangen war. Die frühe Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Forschungszentren, die Licklider an verschiedenen US-Universitäten gegründet hatte, schuf die grundlegenden Erfahrungen, aus denen heraus das ARPANET entwickelt werden konnte. Das ARPANET bildete wiederum die Grundlage für die Weiterentwicklung dieser kooperativen Gemeinschaft.
Die ARPANET-Mailinglisten, die in den 1970ern auftauchten, unterstützen die kollaborative Kommunikation, die sich weiter entfaltete. Das Usenet wuchs in den frühen 1980ern, wobei es von den Erfahrungen profitieren konnte, die andere in den ARPANET-Mailinglisten gesammelt hatten und indem es sich mit der ARPANET-Mailinglisten-Gemeinschaft verband. Zusammen schufen die Pioniere des Usenet und des ARPANET eine florierende kooperative Online-Gemeinschaft und ein Reservoir des gemeinsamen technischen Wissens. Sie stellten der Welt von Requests for Comment (RFCs) bis hin zu Unix-Tools alles zur Verfügung. Wichtiger als diese Dinge war vielleicht die Möglichkeit, dass die Online-Gemeinschaft zusammenarbeiten konnte, um die schwierigen Probleme zu lösen, die das Wachsen der Computertechnologie und der Netzwerktechnik mit sich brachten. Das Usenet und das Internet waren Hilfsmittel von entscheidender Wichtigkeit, die es den Wissenschaftlern erst möglich machten, diese Probleme zu verstehen und zu lösen.
Die Online-Gemeinschaft steht nun dem Problem gegenüber, wie sie ihre kooperativen Kommunikationsformen aufrechterhalten kann. Braucht sie dazu mehr Unterstützung von Seiten akademischer Institutionen und Regierungen? Lebendige und funktionierende Usenet-Newsgroups und Internet-Mailinglisten können dazu beitragen, mit diesen Herausforderungen fertigzuwerden. Aber was wird es für die Online-Gemeinschaft bedeuten, wenn diese Kommunikationsprozesse eingeschränkt werden oder einfach zum Privateigentum irgendeiner Firma erklärt werden?
Übersetzung aus dem Englischen von Günter Hack