Frankreich: Das mittlere Maß der Unvernunft

Seite 2: Mit Deutschland anlegen

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Um es klar zu sagen: Wer in Frankreich heute eine vernünftige Wirtschaftspolitik durchsetzen will, die auch auf Europa ausstrahlt, muss sich mit Deutschland anlegen. Um das erfolgreich durchzustehen, darf man Mitte sein, man darf aber weder mittelmäßig sein noch darf man sich den üblichen Freundschaftsbekundungen hingeben, die so gerne genutzt werden, um alle inhaltlichen Differenzen zuzukleistern.

Insbesondere in den entscheidenden europäischen Gremien wie der Eurogruppe und den sie vorbereitenden Ausschüssen muss Frankreich wegkommen von einer überwiegend prozeduralen und administrierenden Rolle hin zu einer inhaltlich dominierenden Rolle. Dass Macron dazu den Mut und die nötige Einsicht hat, ist mehr als fraglich, aber wir sollten, statt vorschnelle Urteile abzugeben, die wenigen Wochen abwarten, die er braucht, um sich in dieser Hinsicht zu positionieren - oder eben nicht.

Man darf allerdings auch die objektiven Schwierigkeiten nicht unterschätzen, die Macron hätte, selbst wenn er eine wirkliche Politikwende erreichen wollte. Er verfügt über keinen funktionierenden Parteiapparat und bei den Nationalratswahlen, die in zwei Monaten stattfinden, wird er niemals eine parlamentarische Mehrheit bekommen, selbst wenn es ihm gelingt, bis dahin so etwas wie eine Partei zu gründen.

Da auch bei den Nationalratswahlen im zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen gebraucht wird, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich bis auf einige Überläufer weit überwiegend die etablierten Kandidaten der alten Parteien durchsetzen. Dann muss er von vorneherein auch auf das Personal dieser Parteien setzen, um parlamentarische Mehrheiten bilden zu können.

Das alles spricht für rasche Anpassung des "Kandidaten der Mitte" an die mittlere Unvernunft, die fast alle europäischen Regierungen prägt. Dann wäre Frankreich weitere fünf Jahre gefangen in einer Ideologie, die am Ende nur scheitern kann.

Einen Präsidenten, der mit starker linker Rhetorik angetreten ist und schließlich Frankreich aus der Mitte ins Unglück regierte, hatten wir gerade. Nun also ein Präsident, der schon Mitte ist, bevor er mit dem Regieren beginnt. Man sollte Wunder nicht ausschließen, aber man sollte auch nicht darauf setzen.

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Website makroskop übernommen. Deren Herausgeber Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt sehen ihre Aufgabe darin, "das massive Versagen der Politik zu thematisieren und Lösungswege aufzeigen, die sich auch am Interesse derjenigen orientieren, die in der Gesellschaft keine eigene Stimme haben".