Frankreich: Gesuchter Terrorist in Straßburg "neutralisiert"

Seite 2: Ein "hybrides Profil" und die Schwierigkeiten der Dienste

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Die Justiz, Gefängnisinsassen, Polizei, Viertelbewohner, Nachbarn, die Geheimdienste und auch die in Frankreich geschaffene und immer wieder verbesserten Departements-Einheiten zur Einschätzung der Radikalisierung (groupes d'évaluation départementale de la radicalisation - GED) waren mit Chekatt überfordert.

Der Mann aus einer Familie mit 12 Kindern, darunter vier Brüder, die ebenfalls als Mehrfachtäter bekannt sind, war zwar im Viertel und im Gefängnis als jemand bekannt, der andere in aggressiver Weise von seinem Islamverständnis überzeugen wollte, aber er wird nicht als religiös geschildert, sondern als radikal. Dass in seiner Zelle 2008 ein Bild von Bin Laden hing, wird als symptomatisch dargestellt.

Symptomatisch für die Schwierigkeit, die Polizei und Geheimdienste mit der Einschätzung seiner Radikalisierung hatten, wird ersichtlich am "hybriden Profil", das man ihm zuschrieb, und anschaulich mit der Bezeichnung "zuerst Verbrecher, dann Islamist", die in einem Le Monde-Artikel zu finden ist, in dem Interessantes zutage kommt.

Dass die kriminelle Laufbahn Chérif Chekatts zu sehr vielen Urteilen, 27 laut Staatsanwalt, auch über Frankreich hinaus, in der Schweiz und in Deutschland geführt hat, häufig waren es Raubüberfälle, ist mittlerweile über Medien genügend bekannt gemacht worden. Bemerkenswert ist, dass Chekatt schon im frühen Alter von 10 Jahren damit auffällig geworden ist, wahrscheinlich dann in Neudorf, wo sein Leben beendet wurde.

Geheimdienste bei der Hausdurchsuchung

Interessant ist nun, was dem erwähnten Le Monde-Artikel, zu entnehmen ist, dass nämlich bei der genannten, erfolglosen Hausdurchsuchung am Morgen des Tages, an dem Chekatt seinen Anschlag im Umkreis des Straßburger Weihnachtsmarktes verübte, neben der Polizei auch Beamte zweier Geheimdienste anwesend waren, dem Inlandgeheimdienst DGSI und dem SCRT, der zur Nationalpolizei gehört.

Das dürfte auch in Frankreich nicht das übliche Vorgehen bei Hausdurchsuchungen von Kriminellen sein. Es zeigt sich nicht nur in diesem, sondern auch in anderen Berichten, dass Chérif Chekatt überwacht wurde; er stand im Visier des Geheimdienstes. Bekanntlich war er in der Gefährder-Datenbank mit der Kennzeichnung "fiche S" (S für Sicherheit). Allerdings nur mit der Einstufung 11, auf einer Skala von 1 bis 16, wobei 1 die höchste Gefährderstufe ist.

Ein vergleichsweise harmlos eingestufter Radikalisierter wird aber nicht aufwendig beschattet, wie Chekatt zumindest zeitweise. Das ganze technische Überwachungsrepertoire wurde in seinem Fall angewendet, heißt es in Medienberichten. Das ist sehr viel Aufwand für einen Gefährder der Stufe 11 und lässt den Schluss zu, dass ihn die Dienste für ziemlich gefährlicher gehalten haben.

Aber, so berichtet Le Monde, weder der Inlandsgeheimdienst noch die oben erwähnte Gefahrenevaluierungsgruppe, hatten deutliche Zeichen dafür, dass er zur Tat schreiten würde. Sie hatten damit auch keine Handhabe, den Gefährder im Hausarrest zu halten oder seinen Bewegungsspielraum mit einer elektronischen Fessel einzugrenzen (was wie ein früheres Attentat in Frankreich zeigte, Dschihadisten auch nicht wirklich von ihrer mörderischen Akt abhält).

So bestand laut Le Monde die Taktik darin, den Radikalisierten in Verbindung mit der Polizei über seine kriminellen Aktivitäten "zu kriegen". Dazu diente auch die Hausdurchsuchung am Morgen des 11. Dezember. Allerdings war Chérif Chekatt schneller. Möglicherweise entschied er sich dann dazu, zur Tat zu schreiten. Es bleiben noch viele Fragen offen. Sicher ist, dass wieder einmal über bessere Präventionsmöglichkeiten diskutiert werden wird.