Frankreich: Gewaltausschreitungen in den französischen Trabantenstädten

Seite 2: "Die Wut der quartiers populaires ist legitim"

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Ein aktueller Appell, unterzeichnet von einer Menge Gewerkschaften, darunter auch die CGT, und zivilen Gruppen, plädiert für Verständnis: "Die Wut der quartiers populaires ist legitim", proklamieren sie. Die zum Himmel schreienden Ungerechtigkeiten würden durch die Art und Weise, wie in Frankreich gegen die Corona-Pandemie vorgegangen wird, verstärkt. Sie würden mit der kommenden wirtschaftlichen und sozialen Krise "explodieren".

Angemerkt wird dazu, dass die Regierung die Polizei als ein Staatsorgan behandelt, das keine Strafen fürchten muss. Die bisherigen Erfahrungen aus den Vorkommnissen während der Gelbwestenproteste unterstützen diesen Vorwurf.

Auch der Vorwurf einer eklatanten Benachteiligung der Vorstädte und der ärmeren Viertel trifft zu, wie sich derzeit schärfer denn je zeigt. In den quartiers herrscht Hunger, wie mehrere Berichte von langen Schlangen bei Essensausgaben zeigen. Diese sind sämtlich nicht vom Staat, sondern von privaten Helfern, Stiftungen oder einem Viertelzusammenschluss organisiert.

Da die Schulen ausfallen, fällt auch das Kantinenessen für die Kinder aus. Vielen Haushalten fehlt es völlig an Geld, um das auszugleichen, zumal sie nicht arbeiten können, weil Gaststätten, Hotels, Betriebe geschlossen haben. Wenn die außerordentliche, organisierte Nachbarschafts- oder Wohnviertelhilfe nicht wäre, würden sie ähnlichen Hunger leiden wie diejenigen Bewohner ärmster-Welt-Zonen, auf deren Not die UN World Food Programme (WFP) kürzlich mit dem Vergleich mit biblischen Plagen aufmerksam machte.

Die existentiellen Nöte werden durch den Sars-CoV-2-Virus noch erheblich verstärkt. In Seine-Sainte-Denis wird von einer Übersterblichkeit berichtet, das Video eines Bewohners legt die Gründe klar offen: die schlechte Krankenhausversorgung, die vielen Vorerkrankungen der Älteren, die schlechte Versorgungslage schon vor der Epidemie, die Erkrankungen begünstigt. Nun kommen neue Risiken hinzu: Diejenigen, die Arbeit haben, sind an Arbeitsplätzen beschäftigt (Supermarkt, Kassen, Krankenhäuser, Fahrer), wo sie der Ansteckungsgefahr besonders ausgesetzt sind.

Das Versprechen der Macron-Regierung, die Ärmsten mit etwas Extrageld zu helfen, hat Haken, einmal die administrativen Bedingungen, die nicht jeder Haushalt erfüllt, zum anderen, dass die Haushalte bis in den Mai hinein und vielleicht länger darauf warten müssen. Da sie selten auf Rücklagen zurückgreifen können, ist die Hoffnung auf diese Hilfe begrenzt.

Derzeit kündigte die Regierung in Paris ein Hilfsprogramm von 110 Milliarden Euro an, eine ordentliche Summe, um die "wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise" zu lindern. Wie viel vom Hilfsprogramm in den benachteiligten Vierteln ankommen wird?

Frankreich ist ein besonderes Pflaster, wenn es um das Austragen sozialer Konflikte geht, das hat sich schon in den Wochen vor Ausbruch der Corona-Epidemie gezeigt.