Frankreich: Polizeigewalt - nur linke Opfer-Hysterie?
Das nächste Opfer von gewalttätigen Polizisten in Aulnay-sous-Bois erhebt schwere Vorwürfe. Aus dem konservativen Lager kommt der Vorwurf, dass Linke zu schnell generalisieren
245 vorübergehende Festnahmen seit Beginn der Affäre Théo (vgl. Frankreich: Weiter Krawalle in den Vorstädten gab das französische Innenministerium unter Leitung von Bruno Le Roux heute an Medien weiter. 236 kamen in Polizeigewahrsam, davon 168 in Paris und nächstliegenden Départements (Seine-Saint-Denis, Hauts-de-Seine und Val-de-Marne).
Die Hauptanklagepunkte der im Zuständigkeitsbereich der Pariser Präfektur Festgenommenen lauten "Hinterhalt, willentliche Gewalt gegen die Polizei, willentliche Sachbeschädigung oder Teilnahme an einem bewaffneten Menschenauflauf".
Die Liste der Demonstrationen weite sich aus, meldete der Figaro gestern und nannte Nantes, Rennes, Bordeaux, Rouen, Toulouse und Marseille. Der Eindruck, dass etwas aus dem Ruder läuft, ist jedoch an der täglichen Berichterstattung über die tatsächlichen Geschehnisse nicht abzulesen.
Die Debatte, die naturgemäß stark von Medien geprägt ist - in der Hauptsache eine kleine Familie im Besitz von 10 Milliardären - richtet sich gerade auf den Schwerpunkt "Verhältnis zur Polizei" aus.
"Après Charlie": Wieder zurück beim einfach gestrickten Feindbild Flics?
Im konservativen Figaro, der spürbar darunter leidet, dass sein Favorit Fillon von der Penelopegate-Affäre ( Frankreich: Wird die Wahl manipuliert?) angeschlagen ist, so dass Fillons Meinung zur Sache Théo völlig untergeht, kommentiert der Anwalt Gilles William Goldnadel, dass die Linke nun, "après Charlie", nach einer vorübergehenden sympathischeren Einschätzung der Polizeiarbeit, wieder zur alten, simplizistischen anti-flic-(frei übersetzt Anti-Bullen)-Einstellung und den dazu passenden Feindbildern und der Aggression zurückgefunden habe. Und dies,obwohl streng genommen, doch vieles ungeklärt ist.
Das abschließende Urteil über die Polizisten, die Théo am 2. Februar unter noch ungeklärten Umständen rassistisch beschimpften, verprügelten und mit einem Schlagstock Wunden im Darm zufügten, die eine Notoperation erforderten, müsse ein Gericht sprechen, und nicht die Emotionen, so der Anwalt. Es handle sich um einen Einzelfall, um eine Ausnahme, die man nicht "unvorsichtig behandeln und schlichtweg generalisieren" könne.
Mit Gewissheit erkenne er in alledem nur die Generalisierung eines individuellen Fehlers und "die systematische Viktimisierung bestimmter Einwanderer", die dann zu einer gewalttätigen Wut aufstachele.
Eine neue belastende Aussage
Einen Tag später, am Dienstag, veröffentlichte das Magazin Obs die Aussage eines Freundes von Théo. Demnach hatte Mohamed K eine Woche vor Théos brutaler Begegnung mit den Ausnahmepolizisten, ebenfalls ein sehr schmerzhaftes Treffen mit vier Polizisten in Aulnay-sous-Bois. Es verlief nach seinen Worten sehr ähnlich.
Mohamed K. mischte sich, ohne zu wissen, dass es sich um einen Polizisten in Zivil handelte, auf dem Weg zum Einkauf in ein Geschehen ein, das sich vor seinen Augen abspielte: Ein Mann verfolgte einen davonlaufenden Jugendlichen. Es stellte sich heraus, dass es sich um eine Polizeiaktion handelte, in die mehrere Polizisten verwickelt waren. Deren Aufmerksamkeit wandte sich schließlich Mohamed K zu.
Er wurde in den Eingang eines Gebäudes gedrängt und unter rassistischen Beleidigungen mit Tritten, Hieben und Schlägen blutig geschlagen. Auf der Polizeiwache sei er für 24 Stunden in Gewahrsam genommen worden wegen "Beamtenbeleidigung und Widerstand". Seine Augen seien schließlich so geschwollen gewesen, dass er kaum noch sehen konnte. Dem Polizeigewahrsam folgte eine Anzeige der Polizei gegen ihn.
Unter den Polizisten befand sich auch einer, der in den Einzelfall Théo verwickelt ist. Er gehört zu den vier Polizisten, die den Mann afrikanischer Herkunft am 4.Februar malträtieren, weswegen der Polizist und seine drei Kollegen bis zur Verhandlung vom Dienst suspendiert wurden. Der Polizist, der mit dem Schlagstock auf Mohamad K. eingedroschen habe, sei im Viertel wegen seiner Umgangsformen bekannt. Alle Welt nenne ihn "barbe rousse".
Die Polizeipräfektur reagierte umgehend nach Erscheinen des Artikels im Obs. Sie leitete eine Untersuchung der Polizeiaufsicht ein. Auch Innenminister Bruno Le Roux schaltete die "Polizei der Polizei" ein. Er wolle nichts durchgehen lassen, aber auch "nicht alles durcheinander mischen". Wenn es Verhaltensweisen gibt, die zu bestrafen sind, dann müsse das geschehen.
Auch der Leiter des Polizeireviers hat eine Vorgeschichte
Indessen brachte ein Artikel der linken Zeitung Humanité ans Licht, dass der Leiter der Polizei in Aulnay-sous-Bois, zuständig für den Einsatz der Einheit, die Théo notoperationsreif prügelte und "versehentlich", wie protokolliert wird, mit dem Schlagstock den Darm verletzte, vorbestraft ist, weil er bei einem gewalttätigen Polizeieinsatz, bei dem ein Mann u.a. die Hose herunterlassen musste, um sich eine Radkappe zwischen die Hinterbacken zu klemmen, nicht einschritt.
Er ließ seine Untergebenen gewähren. Der damalige Innenminister Sarkozy war über den Skandal, den das Verhalten des Nachtkommandos (brigade anticriminalité de nuit à Paris) 2004 auslöste, nicht begeistert. Er verurteilte das schändliche Verhalten der Polizisten. Marine Le Pen will bislang zu den Vorwürfen gegen die Polizisten nichts sagen. Sie will die Polizei generell "moralisch und materiell" aufrüsten. Sie konzentriert sich im Wahlkampf darauf, das Gesindel zu verurteilen, das die "Arbeit der Polizei erschwert und behindert".
Die Demonstration, die am vergangenen Wochenende in Bobigny zu Ausschreitungen führte, hätte sie erst gar nicht erlaubt. Immerhin befinde sich Frankreich im Ausnahmezustand. Da sei ein solches Verbot unproblematisch.