Frankreich (und Deutschland) in Afrika 2020

Seite 2: "Antifranzösisches Gefühl wächst"

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Im Bereich der Politik und des Militärs versucht Frankreich unterdessen, seinen bisherigen Platz zu legitimieren und zu verteidigen.

Anfang Dezember des vergangenen Jahres lud Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron die Oberhäupter von fünf Staaten in der Sahelzone zu einem Gipfeltreffen im südfranzösischen Pau am 16. Dezember ein und forderte sie gleichzeitig relativ ultimativ dazu auf, "sich steigernde antifranzösische Gefühle" in ihrer Region zu bekämpfen bzw. solchen innerhalb ihrer Bevölkerung entgegenzutreten.

Französische Presseorgane bezeichneten es als eine "Vorladung", als würden die Präsidenten der Region zum Rapport bestellt.

Dem kurz voraus ging am 25. November 2019 der Tod von dreizehn französischen Soldaten im Nordosten des westafrikanischen Staats Mali - in der Nähe von Indelimane -; im Laufe des darauffolgenden Vormittags wurde ihr Tod der französischen Öffentlichkeit durch ein Kommuniqué des Elysée-Palastes bekanntgegeben. Dabei wurde publik, dass die dreizehn Soldaten im Alter zwischen 22 und 43 Jahren beim Zusammenstoß zweier Kampf-bzw. Transporthubschrauber vom Typ Tigre respektive Cougar (Puma) tödlich verunglückt seien.

Die Hubschrauber führten Verstärkung herbei, während Truppenteile in Kampfhandlungen mit auf Pick-Ups fahrenden, bewaffneten Dschihadisten eingetreten waren. Drei Tage später behauptete übrigens der Ableger des "Islamischen Staates" (IS) in der Sahara, selbst für den doppelten Hubschrauberabsturz verantwortlich zu sein, was jedoch allgemein als opportunistisches Pseudobekenntnis gewertet wird und durch die französische Armee vom Tisch gewischt wurde.

Es handelt sich um den größten Verlust der französischen Armee im Auslandseinsatz seit dem Doppel-Attentat von Drakkar (im Libanon) im Oktober 1983, bei dem 58 französische und 241 US-amerikanische Soldaten durch eine schiitische Miliz getötet wurden.

Ein Vorstoß aus den Reihen der Linksfraktion in der französischen Nationalversammlung (jener der Wahlplattform La France insoumise, "Das unbeugsame Frankreich", unter Jean-Luc Mélenchon) vom folgenden Tag, es gelte nun über die Sinnhaftigkeit des französischen Mali-Einsatzes nachzudenken, wurde in diesem Kontext durch andere politische Kräfte sowie bürgerliche Medien, aber auch von rechter Seite skandalisiert bzw. empört zurückgewiesen.

Auch eine Reaktion eines Arbeitslosenverbands der CGT in Westfrankreich, welcher von einem "kolonialen" Einsatz sprach sowie eine spöttische Karikatur der Wochenzeitung Charlie Hebdo zum Tod der Soldaten stießen auf eine gewisse Empörung.

Unterdessen kündigte allerdings Staatspräsident Emmanuel Macron ein Überdenken der Modalitäten ebendieses Einsatzes an.

Lage in Mali spitzt sich zu

Im Norden und Osten Malis spitzte sich die Lage in den vergangenen Wochen erheblich zu. Allein bei zwei Massakern am 30. September und 1. Oktober dieses Jahres in der Ortschaft Mondoro im Kreis Boulkessi (sowie in Boulkessi) und am 1. November 19 in Indelimane, im Raum zwischen Ansongo und Ménaka, wurden insgesamt 100 malische Soldaten getötet.

Zu den beiden Attacken bekannten sich zwei der in der Sahelzone kämpfenden dschihadistischen Untergrundarmeen, die respektive dem internationalen Netzwerk al-Qaida - in Gestalt der bewaffneten "Gruppe zur Unterstützung des Islam und der Muslime" (französisch GSIM abgekürzt) - respektive dem IS, mit dem "Islamischen Staat in der Provinz der Großen Sahara", angegliedert sind. Am 02. November 2019 gelang es der letztgenannten Organisation überdies, mittels einer Sprengfalle einen 24jährigen französischen Offizier, Ronan Pointeau, im Nordosten Malis zu töten.

Zwei Tage später reiste die französische Verteidigungsministerin Florence Parly vor Ort. Sie hatte einen Auftritt - manche Quellen qualifizierten ihn als "Blitzbesuch - in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena, im Hauptquartier der französischen Sahel-Streitmacht Barkhane, die seit 2014 mit 4.500 Soldaten derzeit eine Zone von Mauretanien im Westen bis zum Tschad im Osten abdeckt, sowie eine Unterredung mit der Regierung Burkina Fasos und dem Präsidenten Malis, Ibrahim Boubacar Keïta.

Dabei rief sie bei ihrer Rede in N’Djamena zu "Geduld" auf: Der Einsatz könne nicht innerhalb weniger Monate Erfolg zeitigen, erklärte sie, sondern erforderlich sei es, Ergebnisse abzuwarten, die nur durch eine Kombination militärischer Mittel sowie sozio-ökonomischer Maßnahmen zur Überwindung von Armut und Frustrationen zu erreichen seien.

Gleichzeitig löste die französische Armee eine neue Offensive aus - "Bourgou IV" - und gab ferner am 05. November bekannt, man habe bereits einen knappen Monat zuvor einen Chef der Dschihadisten, und zwar die Nummer Zwei des GSIM, den marokkanischen Staatsbürger Abou Abderahman al-Maghrebi alias Ali Maychou töten können.

Zeitpunkt und Klang der Ankündigung erweckten allerdings den Eindruck, als habe man dringend die Verkündigung irgendeines Erfolgs nötig gehabt.

Proteste gegen Präsenz der französischen Armee

"Geduld" ist auch ein Begriff, der derzeit in einer Reihe von anderen Berichten aus der Region auftaucht, in denen er allerdings im negativen Sinn erwähnt wird - dergestalt, dass die Bevölkerung sowie örtliche Akteure selbige verlören. Am 08. und 15. November 2019 demonstrierte etwa die parlamentarische Opposition in Mali, unter anderem mit dem 2013 und 2017 gegen Amtsinhaber Keïta gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Soumaïla Cissé, gegen die Präsenz der französischen Armee und für eine bessere Ausstattung der eigenen malischen Streitkräfte bei ihren Einsätzen im Norden.

Dabei ging es u.a. auch um einen Skandal bei der Rüstungsbeschaffung in Frankreich, bei der es zu erheblichen Korruptionsskandalen kam, während zugleich die erworbenen Helikopter in Mali mangels Ersatzteilen und Instandhaltung nicht abheben können.

Beim zweiten Mal nahmen laut Veranstalterangaben immerhin 15.000 Menschen in der Hauptstadt Bamako daran teil. Die örtliche Polizei sprach ihrerseits von mehreren Tausenden. Auch in weiteren Städten des Landes wurde demonstriert. Bereits im vergangenen Oktober war zu diesem Thema protestiert worden.

Frankreich und der Kampf gegen die Dschihadisten

Um dieselbe Zeit lief ein Statement des bekannten Sängers Salif Keïta um, das von einer Facebookseite zur anderen und von einem Mobiltelefon zum nächsten ging. Keïta behauptet darin in einem etwas verschwörungstheoretischen Tonfall, der jedoch zunehmend in der Gesellschaft Anklang findet, Frankreich tue nur so, als ob es die Dschihadisten bekämpfe, um einen Vorwand zum Bleiben mit seinen Militärs zu haben. In Wirklichkeit finanziere es die Dschihadisten. Frankreichs Regierung dementierte ganz offiziell.

Zu allem Überfluss gerieten auch noch die in der Region involvierten Staatsführungen in Streit untereinander: Die Regierung Burkina Fasos - auf deren Staatsgebiet im Norden und Osten ebenfalls massive Kampfhandlungen mit Dschihadisten stattfinden - warf in einem Brief ihres Verteidigungsministerins Moumina Cheriff Sy vom 18. November an seinen Amtskollegen in Mali dessen Land vor, seine Armee habe kurz zuvor bei einem grenzübergreifenden Einsatz die Souveränität des Nachbarn verletzt und Zivilisten in dem Dorf Abaye misshandelt. Drei von ihnen seien gestorben, unter ihnen einer durch ein Panzerfahrzeug überrollt worden.

Am 15. November gaben ferner örtliche Medien bekannt, die burkinische Regierung habe sich über den Überflug ausländischer Flugzeuge über die Kampfgebiete ihrer Armee sowie deren Basen beschwert. Künftig sollten ausländische Regierungen solche Flugbewegungen 48 Stunden vorher ankündigen, ansonsten würden ihre Maschine als feindliche Flugzeuge behandelt.

Die Identität der betreffenden Länder wurde nicht näher genannt, doch kommen in der Region wohl ausschließlich französische Kampfflugzeuge in Frage. Die Regierung hat die Nachricht nicht offiziell bestätigt, doch auch zu keinem Zeitpunkt dementiert.

Unterdessen hat die malische Regierung ihre Streitkräfte im November aus einem fünfzig Kilometer breiten Streifen an der Grenze zu Niger gänzlich zurückgezogen, um sich auf die ausgebauten Stützpunkte zu "konzentrieren". Dies hatte sie in einem Regierungskommuniqué vom 11. November offiziell angekündigt, nachdem bereits am vorausgegangenen Wochenende entsprechende Nachrichten kursierten.

Ausblick?

In einem Gastbeitrag für Le Monde sprach sich der französische General und ehemalige Berater im Außenministerium, Bruno Clément-Bollée, für eine rasche Lagebestimmung aus. Wolle Frankreich mit seinem Sahel-Einsatz nicht in einem bourbier (wörtlich: "Schlammloch"), also einem tiefen Schlamassel, enden und nicht "durch die örtliche Bevölkerung statt durch Dschihadisten davongejagt werden", dann müsse man schleunigst radikal "unsere Strategie überdenken“.

Dazu zähle, als frühere Kolonialmacht eben nicht in der ersten Linie zu stehen, sondern die wichtigsten, auch militärischen Aufgaben örtlichen Akteure zu überlassen sowie nicht als Unterstützer korrupter Amtsträger zu erscheinen.