Frauenrechte: Warum wir eine Headline zu einem Bericht über Indien geändert haben

Frau auf Dorfversammlung in Indien. Bild: Simone D. McCourtie / World Bank, CC BY-NC-ND 2.0

Nein, Indien ist kein Land von Frauenmördern. Aber ein Land der Frauenmorde, wie auch UNO-Experten bestätigen. Über journalistische Pflicht und Selbstkritik. Ein Kommentar.

Am Wochenende erreichte uns bei Telepolis Leserkritik wegen der Überschrift eines Artikels über Frauenrechte in Indien. Unser Autor setzte sich darin mit einer geplanten Frauenquote in Parlamenten des auseinander. Doch das war nicht der Gegenstand der Kritik, sondern unsere Überschrift, in der von "Frauenmördern" die Rede war.

Diese Kritik war nachvollziehbar, deswegen haben wir in einer geänderten Variante nicht die Täter in den Vordergrund gestellt, die ja – auch unter indischen Männern – keine Mehrheit stellen. Nun steht das Kriminalitätsphänomen in der Headline: "Indien: Frauenquote im Land der Frauenmorde".

Die Sache bedarf einer Erklärung über die Korrektur in der Headline und die redaktionelle Anmerkung unter dem Text hinaus. Zum einen ist und wichtig, dass wir mit der Kritik transparent umgehen und Fehlgriffe in der redaktionell verantworteten Überschrift öffentlich machen.

Wichtig ist an dieser auch, dass der Autor die Lage differenziert dargestellt hat. Er zog dazu den Vergleich zu Deutschland, wo im Jahr 2022 in häuslichen Zusammenhängen offiziell 181 Morde an Frauen Deutschland verzeichnet wurden.

Das klingt zunächst wenig, doch rechnet man diese Zahl auf die viel größere indische Bevölkerung hoch, merkt man, dass die indischen Zahlen – so schrecklich sie auch sind – im Vergleich nicht so exorbitant ausfallen, wie oft vermutet. Denn Indien hat immerhin 17-mal so viele Einwohner wie Deutschland.

Richtig ist aber auch, dass in Indien eine hohe Dunkelziffer zu vermuten ist und Frauenrechtsaktivisten von einer Epidemie der Gewalt sprechen. Diese Einschätzung, nach der Frauen in der indischen Gesellschaft aus strukturellen Gründen überdurchschnittlich gefährdet sind, bestätigen auch UN-Stellen.

Nach ihrem letzten Besuch in Indien schrieb die damalige UNO-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen, ihre Ursachen und Folgen, Rashida Manjoo, vor nunmehr neun Jahren in einem ausführlichen Länderbericht:

Gewalt gegen Frauen in Indien ist systematisch und findet sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich statt. Sie wird durch das Fortbestehen patriarchaler gesellschaftlicher Normen und Hierarchien zwischen und innerhalb der Geschlechter verstärkt. Frauen werden nicht nur aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert und untergeordnet, sondern auch aus anderen Gründen wie Kaste, Klasse, Fähigkeiten, sexueller Orientierung, Tradition und anderen Gründen. Dadurch sind viele von ihnen während ihres gesamten Lebens einem Kontinuum von Gewalt ausgesetzt, das gemeinhin "vom Mutterleib bis zum Grab" andauert. Die Erscheinungsformen der Gewalt gegen Frauen sind Ausdruck der strukturellen und institutionellen Ungleichheit, die für die meisten Frauen in Indien Realität ist.

Report of the Special Rapporteur on violence against women, its causes and consequences, Rashida Manjoo, Addendum, Mission to India

Im Jahr 2012 hatte der Tod einer jungen Frau nach einer Gruppenvergewaltigung in Indien weltweit für Entsetzen gesorgt. Nach Einschätzung von Menschenrechtsexperten hat sich an den grundlegenden Problemen trotz löblicher Initiativen von Regierungsseite bisher wenig geändert. Zwar habe es Verschärfungen im Strafrecht gegeben, heißt es auf der Seite der Hohen Kommissariats für Menschenrechte:

Dennoch sehen sich Überlebende von Vergewaltigungen in Indien mit erheblichen Hindernissen konfrontiert, wenn sie Gerechtigkeit und wichtige Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen wollen. Handelt es sich bei den Opfern um Migranten oder Angehörige niedriger Kasten, kann es vorkommen, dass die Polizei den sexuellen Übergriff gar nicht erst registriert.

"Wenn wir das Gesamtbild betrachten, können wir leider nicht die Tatsache ignorieren, dass wir nur noch wenige Jahre bis zum Jahr 2030 haben, aber noch sehr weit von der Gleichstellung der Geschlechter entfernt sind", schreibt die amtierende UNO-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen, Reem Alsalem.

Frauen und Mädchen würden nach wie vor bedroht und angegriffen, wenn sie ihre Bedürfnisse artikulierten und einforderten, einschließlich des Rechts, frei von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung zu sein.

Solche Vorfälle sind nicht auf eine bestimmte Region, ein bestimmtes politisches System, ein bestimmtes Maß an wirtschaftlichem Wohlstand oder eine bestimmte Kultur beschränkt. Tatsächlich erleben wir weltweit eine besorgniserregende Zunahme von Gewalt gegen Frauen, die darauf abzielt, Frauen zum Schweigen zu bringen, sie daran zu hindern, ihre Meinung zu äußern, und sie ihres Rechts zu berauben, sich zu versammeln und sich frei zu äußern.

Reem Alsalem

Indien hat nun, wie Telepolis berichtete, Schritte gegen diese strukturelle Diskriminierung unternommen. Die Realität aber ist – noch – eine andere. Das klar zu benennen, ist eine Aufgabe von Journalismus.

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