"Freiheit" für Katalonien

Bild. R. Streck

Die "Diada", der katalanische Nationalfeiertag, steht ganz unter dem Eindruck spanischer Repression, politischer Gefangener, Politiker im Exil und hunderter Anklagen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es ist genau 17 Uhr 14 am 11. September. Eine ergreifende und unglaubliche Stille herrscht im Gedränge am "Königspalast" auf der "Diagonal" in Barcelona. Dabei rollt gerade eine Welle in mehr als sechs Kilometern an der "Plaça de les Glòries" los. Erst gut drei Minuten kündigt hier am Palast ein fernes Rauschen die Woge an. Es nimmt Sekunde für Sekunde über der größten und breitesten Straße der katalanischen Metropole an Intensität zu, die quer durch Barcelona führt. Plötzlich erreicht der Tsunami, von über einer Million Menschen gebildet (wie auch die Polizei sagt), hier das Ende der "Demonstration", um sich in einem Fahnenmeer und einem Schrei zu entladen: "Llibertat, Llibertat" (Freiheit).

Eine "Demonstration" im Wortsinne als Marsch war unmöglich, denn die Diagonal ist am katalanischen Nationalfeiertag (Diada) wegen Überfüllung geschlossen, dabei hatten spanische Medien zuvor von einer "abbrechenden Beteiligung" fabuliert und wurden wieder einmal Lügen gestraft. Dass sich schon im Vorfeld eine halbe Million Menschen mit ihrem Namen und Ausweisnummer registrieren und sich einen Abschnitt zuweisen ließen, was in vielen Fällen wegen Überlastung der Webseite und der Aktivisten auch misslang, machte längst klar, dass die Forderung nach Unabhängigkeit von Spanien, der Freiheit der politischen Gefangenen, die Rückkehr der Exilierten, die sich wie der ehemalige Regierungschef Carles Puigdemont im Exil befinden, erneut durch Menschenmassen geäußert werden würde.

Tatsächlich machte diese Mobilisierung klar, dass die absolut friedfertige Bewegung nichts an Stärke eingebüßt hat, sie scheint sogar eher zu wachsen und zu reifen, denn diese Diada gehörte zu den ganz großen. An diesem Tag war deshalb Bewegung nur über eine Welle durch die Masse möglich, die am "Palau Reial" die Mauer der Repression symbolisch wegspült. Zwar gibt es auch Sprechchöre für die Unabhängigkeit, doch in diesem Jahr wurde vor allem "Freiheit" für alle gefordert. Genau das hatte auch Laura Masvidal im Telepolis-Gespräch (Interview folgt) deutlich gemacht. Die Frau des ehemaligen Innenministers Joaquin Forn drängt darauf, dass man die positiven Werte - "Freiheit, Demokratie soziale Gerechtigkeit für alle, ohne Ausnahme" - herausstreichen müsse und man sich nicht allein mit einer Unabhängigkeit, einem Kampf gegen die Repression zufrieden geben dürfe.

"Diada"-Demonstration zum katalanische Nationalfeiertag (14 Bilder)

Fahnenmeer aus vielen Ländern

Am "Königspalast" sind nach einer internationalen Konferenz in diesem Jahr auch Besucher aus mehr als 50 Nationen zusammengeströmt, die wie die Katalanen zum Teil über keinen Staat verfügen. Aus Schottland oder Quebec, aus dem Baskenland oder Kalifornien sind sie angereist, um das Selbstbestimmungsrecht zu verteidigen. In dem Palast waren am Vorabend der Diada also keine Adeligen versammelt, sondern die "Ausländischen Freunde", um sich auf Einladung der "Foreign Friends" auszutauschen und die Katalanen im Kampf für "Demokratie" und "zivile und politische Rechte" zu unterstützen, wie Yves-Francois Blanchèt erklärt.

Der ehemalige Umweltminister aus dem kanadischen Quebec ist entsetzt, dass Spanien die katalanische Regierung abgesetzt und ihre Mitglieder inhaftiert hat und die friedlichen Vertreter wegen eines "bewaffneten Aufstands" (Rebellion) anklagt, nur weil sie die Bevölkerung über die Unabhängigkeit abstimmen ließen. Hingewiesen wurde darauf, dass neben den neun politischen Gefangenen und den Exilierten auch hunderte Bürgermeister für den Einsatz beim Referendum angeklagt werden. Für Menschen aus Kanada ist es unverständlich, dass Katalonien nicht wie Quebec oder Schottland über ihre Unabhängigkeit entscheiden können. Quebec hat sogar schon zwei Mal zivilisiert abgestimmt, was in Spanien einem Hochverrat ähnelt, den allerdings deutsche Richter auch nicht feststellen konnten.

Auch Regierungschef Quim Torra nimmt sich an diesem bedeutsamen Tag, an dem stets an den Fall Kataloniens 1714 unter die spanische Krone gedacht wird, Zeit, um die knapp 200 offiziell eingeladenen "ausländischen Freunde" im Regierungspalast zu empfangen. "Auch ich könnte heute im Gefängnis sitzen", beklagt er. Tatsächlich war er der Vorgänger von Jordi Cuixart als Präsident der Kulturorganisation Òmnium Cultural, die mit dem Katalanischen Nationalkongress (ANC) hinter den riesigen Demonstrationen steht. Sie könnten sich nun über die absolute Friedfertigkeit der Bewegung ein Bild machen. "Obwohl Hunderttausende zusammenkommen, wird kein Glas zu Bruch gehen und nachher kein Blatt Papier auf der Straße liegen", kündigte er an. Doch wegen der angeblich gewalttätigen Vorgänge sitzt sein Nachfolger Cuixart nun schon fast seit einem Jahr im Gefängnis.

Torra bedankte sich bei seinen "Botschaftern" in aller Welt für die Unterstützung und bittet darum, die Prozesse im Herbst weiter anzuprangern. Die weitere Internationalisierung spielt eine Schlüsselrolle im weiteren Verlauf des Konflikts und bei der Suche nach einer zivilisierten Lösung. Er meint, Verurteilungen von bis zu 30 Jahren könnten den Bruchpunkt markieren und bietet Spanien deshalb die britische und kanadische Lösung an. Er will ein "verbindliches und anerkanntes Referendum über die Unabhängigkeit" mit Spanien abstimmen.

Das fordert auch der ehemalige Chef von Podemos in Katalonien. Auch Albano-Dante Fachin sieht darin die einzige Lösung. Derzeit, klagt er, sei in Spanien "nun alles erlaubt, nicht nur gegen die Unabhängigkeitsbewegung, sondern gegen alle, die das Selbstbestimmungsrecht verteidigen". Er appelliert an alle, die wie er gegen die Unabhängigkeit sind, "auch auf die Straße zu gehen, um die Demokratie und die Freiheit zu verteidigen". Er verweist deshalb darauf, dass bei Vorversammlung seiner neuen Formation auch die Fahne der Unabhängigkeitsbewegung und die Fahne der gestürzten spanischen Republik wehen. "Das ist kein Widerspruch." Eine "soziale Spaltung", die von der spanischen Rechten immer wieder behauptet wird, sieht er nicht. Aber es sei klar, dass angesichts harter Debatten die Spannung zunimmt. "Die Gesellschaften sind nicht uniform, und wenn die Leute vom Sofa aufstehen und sich einmischen, sorgt das für eine höhere Intensität . Das sollte uns keine Angst machen, das ist keine Spaltung, sondern ein positives Ergebnis einer mobilisierten Gesellschaft." Dass es keine Spaltung in zwei Teile gibt, könne man an der extrem schwachen Beteiligung an den Mobilisierungen der rechten Unionisten sehen.

Klar ist praktisch allen, dass Verurteilungen die Lage massiv zuspitzen würden. Die radikale Linke drängt längst, jeden Dialog mit Spanien zu beenden und die Katalanische Republik durchzusetzen. "Ohne Ungehorsam keine Unabhängigkeit" ist ihr Slogan, den hier auf einer Nachdemonstration viele vertreten. Dafür steht die antikapitalistische CUP. Sie wird von vielen "Komitees zur Verteidigung" (CDR) unterstützt, die erneut unter anderem auf massive Blockaden des Straßen- und Schienenverkehrs setzen. Das ist noch eine Minderheitsposition. Doch das kann sich schnell ändern, wie zwei große Generalstreiks gegen die brutale Repression beim Referendum im vergangenen Herbst gezeigt haben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.