"Freispruch aus Mangel an Beweisen" – eine problematische Wortwahl
Manche Medienberichte erwecken den Eindruck, ein Freispruch sei ein Betriebsunfall. Motto: Crime sells. Was die Strafprozessordnung dazu sagt.
So oder so ähnlich hört und liest man es oft in den Medien: "Freispruch aus Mangel an Beweisen". Anschauliche Beispiele sind der Bericht des NDR vom 25. Januar 2023 mit dem Titel "Aus Mangel an Beweisen: Tierärzte freigesprochen" und die Meldung "Angeklagter wegen Mangels an Beweisen freigesprochen" der Westfälischen Nachrichten vom 7. Mai 2023. Abgesehen von der unterschwellig zum Ausdruck gebrachten Empörung über den gerichtlichen Freispruch vermitteln solche Schlagzeilen einen missverständlichen Eindruck von den Verhältnissen vor Gericht.
Man könnte sie als Allgemeinplatz abtun. Doch die medientypische Formulierung "Freispruch aus Mangel an Beweisen" suggeriert zugleich, dass Menschen freigesprochen werden, obwohl sie eigentlich hätten verurteilt werden müssen. Mehr noch: Dieser Freispruch erfolgt nur, weil man den Angeklagten trotz aller gerichtlichen Bemühungen die Tat nicht ausreichend nachweisen konnte. Soweit das Narrativ.
Medien nutzen diese Formulierung gern, weil sie Aufmerksamkeit erregt. Bei Leserinnen und Lesern werden Gefühle geweckt, so etwa Mitleid und Trauer in Bezug auf die Opfer, Empörung und Wut über die schlampige Aufklärungsarbeit der Strafverfolgungsbehörden und über das Gericht, dem man mangelnde Härte unterstellt oder – noch schlichter, aber umso gefährlicher – Angst vor dem Staat, der in Gestalt des Justizapparats unverständlich zu agieren scheint.
Vorwürfe sollen ergebnisoffen geprüft werden
Dem Motto "crime sells" folgend wird das Risiko missverständlicher Berichterstattung gern in Kauf genommen. Ein Blick auf das (Prozess-)Recht verschafft jedoch Klarheit: Der Gesetzgeber verlangt vom Tatgericht explizit keine Verhandlungsführung, die auf die Verurteilung der Angeklagten zuläuft. Eine einseitige und ergebnisorientierte Prüfung des Sachverhalts ist nicht verlangt.
Im Gegenteil: § 244 Absatz 2 der Strafprozessordnung sieht vor, dass das Gericht "zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken" hat, "die für die Entscheidung von Bedeutung sind". Weiter heißt es in § 261 der Strafprozessordnung: "Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung." Zudem verbrieft Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes die richterliche Unabhängigkeit.
All das zeigt: Bei keinem deutschen Strafgericht steht der Täter schon vorher fest und muss dann nur noch quasi-inquisitorisch während der zielgerichteten Verhandlung verurteilt werden. Eine solche Verfahrensregel existiert glücklicherweise nicht.
Das bedeutet auch: Die Formulierung "Freispruch aus Mangel an Beweisen" wirkt schief, jedenfalls missverständlich. Denn sie unterstellt gerade die Täterschaft noch vor der Verurteilung. In der strafgerichtlichen Hauptverhandlung geht es vielmehr darum, dass unabhängige Richterinnen und Richter zu einer Überzeugung gelangen.
Insofern ist auch der Satz "im Zweifel für den Angeklagten" richtigerweise nicht als Beweis-, sondern als Entscheidungsregel zu verstehen, die erst im Anschluss an die Würdigung der Beweismittel und Tatsachen greifen kann.
Die Freispruchquote ist gering
Im Übrigen bildet sich auch die weisungsgebundene Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Hauptverhandlung eine eigene Meinung zum Geschehen und tut diese im Plädoyer kund. Dabei ist es nichts Ehrenrühriges, wenn die Sitzungsvertretung abweichend von der Anklageschrift zu dem Ergebnis kommt, dass in diesem Fall freizusprechen ist.
Im Gegenteil. Man stelle sich nur einmal vor, die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft beantragte nicht den ihrer Meinung nach erforderlichen Freispruch. Stattdessen versuchte sie sogar, diesen zu verhindern – etwa durch Beantragung einer Einstellung aus Opportunitätsgründen. Würde das nicht geradezu rechtsbeugerisch wirken?
Ohnehin ist die Freispruchquote – anders als medial dargestellt – bundesweit sehr gering. Sie liegt bei nur etwa drei Prozent. Mit Eröffnung des Hauptverfahrens sinken die Chancen für Beschuldigte rapide, gänzlich ungeschoren aus dem Strafverfahren zu kommen. Für alle Beteiligten gilt daher: Respice finem!