"Fremde Akteure" in Moldau und Co.: Droht die zweite Front im Ukraine-Krieg?

Grenzübergang zwischen Transnistrien und Moldau. Archivbild: Clay Gilliland / CC-BY-SA-2.0

Russland und USA werfen sich Destabilisierungs- und "Terror"-Pläne für das Gebiet westlich der Ukraine vor. Mediale Inszenierungen und die Rolle pro-russischer, "nicht anerkannten Staaten": Ein Déja-vu.

Wer die zuletzt zunehmenden Spannungen zwischen USA und Russland verfolgt, dürfte an der Berichterstattung des internationalen Recherchenetzwerks um Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR sowie der Kyiv Independent, dem US-Portal Yahoo News und anderen europäischen Medien in der vergangenen Woche kaum vorbeigekommen sein.

Im Zentrum der Berichte stand ein Strategiepapier, wonach die russische Führung die politische Annexion der Republik Moldau anstrebe. Ein Artikel der Tagesschau beschreibt die Aushebung eines "russisch gesteuerten Netzwerks" am vergangenen Sonntag, das Teil jener Strategie sein soll.

Russische Medien berichten indes von Terroranschlägen auf OSZE-Gesandte und gezielten Provokationen durch ukrainische und US-amerikanische Geheimdienste. Zuletzt richteten sich die wechselseitigen Beschuldigungen von Destabilisierung und Einflussnahme durch "ausländische Akteure" auf Georgien und eben jene Republik Moldau.

Bei alledem wird allerdings nicht immer deutlich, wann es um Moldau und wann es um das international nicht anerkannte und von Russland gestützte de-facto-Regime in Transnistrien (Selbstbezeichnung Pridnestrowien) geht. Dieser Unterschied ist allerdings wesentlich in einem Gebiet, wo die internationale Gemeinschaft die Herausbildung einer "zweiten Front" befürchtet.

Exkurs: Der "eingefrorene Konflikt" in Moldau

Auf die besonderen politischen und ethnischen Gegebenheiten im Gebiet westlich der Ukraine ist Telepolis-Autor Peter Mühlbauer anlässlich der entscheidenden Parlamentswahlen 2019 ausgiebig eingegangen. Hier belassen wir es aus Platzgründen bei einer groben Zusammenfassung der historischen Situation.

Im Nachgang des Zerfalls der Sowjetunion erklärt die Republik Moldau 1991 ihre staatliche Souveränität. 1992 spaltet sich infolge einer kriegerischen Auseinandersetzung das im Osten des Landes gelegene Transnistrien ab und existiert fortan als de-facto-Regime mit eigener Währung und eigener Verwaltung – allerdings ohne völkerrechtliche Legitimation.

Transnistrien bildet gemeinsam mit Abchasien, Südossetien und Arzach die "Gemeinschaft der nicht-anerkannten Staaten" (CDRN). Die Bezeichnung "Moldau" (engl. "moldova") soll das heutige Gebiet der anerkannten Republik vom ehemals geeinten "Moldawien" abgrenzen.

Am 29. Juli 1992 unterzeichnen die Präsidenten der Russischen Föderation und der Republik Moldau zusammen mit dem de-facto-Regimeführer Transnistriens ein Abkommen über die friedliche Beilegung des bewaffneten Konflikts in Transnistrien. Moskau nimmt für sich in Anspruch, mit den geschätzt 1.500 Mann starken "Friedenstruppen" in Transnistrien über die Einhaltung des Abkommens zu wachen.

Transnistrien ist damit nicht nur militärisch von Russland abhängig, sondern orientiert sich verstärkt in Richtung des russischen Wirtschaftsraums, seit Moldau 2014 (analog zur Ukraine) ein EU-Assoziierungsabkommen unterzeichnet hat.

Im Juni 2022 befeuert die Vergabe des EU-Kandidatenstatus an Moldau erneut den Streit zwischen den Konfliktparteien. Mit dem Kozak-Plan scheiterte 2003 der russische Versuch der Wiedervereinigung an Bedenken Moldaus gegenüber zu großen Zugeständnissen an die Föderation.

"Einverleibung": Diesmal echt oder Rückfall ins "Verschwörungssyndrom"?

Die neuerliche Annexions-Berichterstattung zur Republik Moldau hat in den deutschen Medien große Resonanz gefunden. Die Stimmen reichten von eher moderat ("Putins Plan für Moldau", Tagesschau) bis reißerisch ("Vasallenstaat von Moskaus Gnaden", ntv), vereinten sich aber in dem Tenor, dass das genannte Strategiepapier definitiv von Annexionsplänen zeuge.

Betont wurde dabei stets, dass "westliche Geheimdienstmitarbeiter" die Authentizität des Strategiepapiers zweifelsfrei haben belegen können. Demzufolge sei das Dokument im Sommer 2021 von Russlands Präsidialverwaltung verfasst worden.

Das fünf Seiten umfassende Papier umreiße die politischen, militärischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele Moskaus in der Republik Moldau, heißt es weiter. Im Zentrum der Strategie stehe die Förderung prorussischer Strömungen und die Verhinderung einer politischen Orientierung am Westen. Die Süddeutsche Zeitung hat die einzelnen Punkte hier aufgeführt.

Eine objektive Prüfung wird dadurch erschwert, dass in den Berichten lediglich Textfragmente zitiert werden. Beispielsweise im Falle der "prorussische[n] Stimmung", die geschürt werden solle. Dagegen lässt die Ankündigung, "[d]en Versuchen externer Akteure entgegenzuwirken, sich in die internen Angelegenheiten der Republik einzumischen" sowie eine "negative Einstellung gegenüber der Nato [zu] schaffen" schon auf eindeutigere strategische Ziele schließen. Die kann man aber auch der ungenannten Bezugsquelle des Dokuments unterstellen.

Denn, wie die Tagesschau ausführt, stammt das Dokument "offenbar" von "denselben Experten, die eine Strategie zur Einverleibung von Belarus entworfen haben sollen." Die Parallelen kamen der Grafikabteilung der Süddeutschen, die damals extensiv berichtete, überaus gelegen: Sie musste nur die Flagge auswechseln, die der im Titel abgebildete Maler mit den russischen Farben überstrich.

Wie der weißrussische Exil-Politologe Artjom Schraijbman gegenüber Telepolis bezeugte, verrät die Geschichte aber womöglich mehr über ihren Lieferanten als über ihren Gegenstand.

Hinter der vermeintlichen "Einverleibung" Weißrusslands stehen vielmehr die altbekannten Pläne für einen Unionsstaat. Dass es reichlich bemüht anmutet, dahinter eine Verschwörung zu sehen, hat Telepolis-Redakteur David Goeßmann an anderer Stelle dargelegt.

Bemerkenswert ist, dass die medial multiplizierte Befürchtung, Russland könne nach der Invasion in der Ukraine als nächstes Moldau angreifen, wesentlich älter ist als die Berichterstattung über das Strategiepapier. Davon zeugen etwa Berichte von ARD ("Überfällt Russland bald Moldau?", 24. Februar 2023) und ZDF ("Moldau: Putins nächstes Ziel?", 4. März 2023), aber auch Beiträge wie der von Arte ("Transnistrien und die russische Frage", 20. März 2022), die bereits kurz nach Kriegsbeginn ausgestrahlt wurden.

Darüber hinaus kursierten bereits am 12. Februar 2023 Berichte über "Umsturzpläne", die der moldauischen Präsidentin Maia Sandul von ukrainischen Geheimdiensten vorgelegt worden sein sollen. Das Ziel eines solchen Putschs sei gewesen, Moldaus Mitgliedschaft in der EU zu verhindern.

Manche Berichte über Putins Absichten stützen sich indes auf die Annullierung eines Dekrets von 2012, in dem sich die Russische Föderation verpflichtete, die Souveränität Moldaus zu achten.

Neben dem geopolitischen Aspekt stellen manche Beobachter auch einen geostrategischen heraus: So befindet sich laut moldauischem Verteidigungsministerium auf dem Gebiet Transnistriens ein "riesiges Waffendepot", welches noch aus der Sowjet-Zeit stammt und neben diversem Kriegsgerät rund 20.000 Tonnen Munition beherbergen soll.

Astroturfing und verhinderter Protest

Ein weiteres Argument, welches westliche Medien anführen, um das Interesse Moskaus an einer Manipulation Moldaus zu stützen, ist die Unterwanderung von Bürgerbewegungen, Fachbegriff: Astroturfing. In diesem Kontext berichteten auch deutsche Medien zuletzt von einem siebenköpfigen russischen Netzwerk, das am 12. März von der moldauischen Polizei aufgedeckt worden sei.

Laut Informationen von ntv wurde das Netzwerk von dem prorussischen Oligarchen Ilan Șor finanziert, der unmittelbar nach der Parlamentswahl 2019 nach Israel geflohen ist. Die moldauischen Behörden unterstellen Șors gleichnamiger Partei, im Namen Russlands das westliche Bündnis untergraben zu wollen.

In ihrem Annexions-Bericht zitiert die Tagesschau das Auswärtige Amt mit der Stellungnahme, dass die Krise Moldaus durch "gezielte russische Aktivitäten zur Destabilisierung verschlimmert wurde". Demnach lägen auch der Bundesregierung Berichte über die "Inszenierung von Protesten in Moldau durch russische Akteure" vor.

Russische Medien berichten derweil darüber, dass die moldauische Polizei "Bussen voller Demonstranten" die Einfahrt nach Chișinău verweigere, wo die Șor-Partei eine Kundgebung gegen die Energiepolitik der Regierung geplant hatte. Gegenüber der russischen Zeitung Iswestija bestreitet Șor eine Verwicklung in prorussische Inszenierungen. Laut Iswestija sprechen sich "fast 65 Prozent" der Moldauer für einen "Regime Change" aus.

Die Umsturzpläne, die Russland unterstellt werden, wirft die Föderation ihrerseits der Ukraine und dem Westen vor – und will dafür auch handfeste Beweise haben.