Frieden stiften in einer Welt voller Konflikte: Eine Anleitung für das 21. Jahrhundert
Seite 2: Frieden muss bei uns anfangen
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Eine solche Entwicklung wäre nicht möglich, wenn Gewalt nicht in unsere Köpfe eingedrungen und viele unserer Medien und Denkfabriken zu Trommlern der Kriege geworden wären.
Unsere Informationsbilder sind heute von Dämonisierungen, Feindbildern, Schwarz-Weiß Sichtweisen, vom Glauben an Siege, ja von manipulierten bis hin zu falschen Informationen geprägt.
In dieser Situation zeigen wir im Westen gerne mit dem Finger auf die anderen: In unseren Selbstdarstellungen sind nur die anderen schuld.
Sie sind die Bösen und wir die Guten, die nun wieder einmal gezwungen sind, die wahren Werte der Menschheit mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.
Nur, die Realität ist leider eine ganz andere:
Mit der Nato haben sich westliche Demokratien ein gewaltiges Machtinstrument in der Welt geschaffen.
Obwohl die Mitgliedsländer der Nato auf kaum mehr als zehn Prozent der Weltbevölkerung kommen, kontrollieren sie beinahe 60 Prozent aller weltweiten Militärausgaben. Auch sind Nato-Staaten die größten Waffenhändler der Welt; sie sind für 70 Prozent des weltweiten Waffenhandels verantwortlich – Waffen, die die vielen Kriege erst möglich machen.
Es gibt keinen anderen Staatenbund in der Welt, der auch nur annähernd über eine vergleichbare Militärallianz verfügt. Wie aber sehen die "restlichen" 90 Prozent der Weltbevölkerung eine derartige Konzentration militärischer Macht in den Händen von wenigen Staaten des Nordens?
Im letzten Jahr hat der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses festgestellt, dass seit Ende des Kalten Krieges die USA unter Mitwirkung anderer Nato-Staaten 251-mal militärisch in anderen Ländern interveniert haben, und diese Zahl schließt CIA-Operationen oder Stellvertreterkriege nicht einmal ein.
Diese Militärinterventionen werden oft mit der Ausweitung an Demokratie gerechtfertigt. Aber meines Wissens hat keine einzige von ihnen eine Demokratie errichten können, sondern sie haben nur Zerstörungen, Chaos, Verarmung und unermessliches menschliches Leid hinterlassen.
Es gibt keinen anderen Staat und keinen anderen Staatenbund, der auch nur annähernd für so viele Militärinterventionen in anderen Ländern verantwortlich ist.
Die renommierte Brown University hat in diesem Jahr eine Untersuchung des Krieges gegen den Terror seit 2002 vorgelegt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Krieg durch seine direkten und indirekten Einwirkungen über 4,5 Millionen Menschen das Leben gekostet und 38 Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht hat.
Das heißt, dass dieser Krieg mindestens vier Millionen Zivilisten das Leben gekostet haben muss. Nur schreiben unsere Zeitungen darüber nichts. Nicht einmal im Tod sind wir alle gleich!
Das ist Rassismus, denn all diese getöteten unschuldigen Menschen, die wir gerne verschweigen, lebten in Ländern des Globalen Südens.
Es gibt also auch keinen anderen Staat oder andere Staatengruppe, die für so viele zivile Opfer die direkte oder indirekte Verantwortung trägt. Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns im Westen zuerst von unserer widersinnigen moralischen Überheblichkeit verabschieden.
Lernen einander zu verstehen
Wir müssen also etwas ändern. Vielleicht braucht das da nicht viel mehr als die Anstrengung "zu verstehen", ja auch gerade einen Konfliktgegner zu verstehen.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass gerade das Wort "Verstehen" von Kriegsbefürwortern so stark diskreditiert wird. Wie schnell wird man als Russland- oder Putinversteher gebrandmarkt.
Aber das Wort "Verstehen" leitet sich ab von "Verstand gebrauchen" und vom Wissen, wo der andere steht. Es hat also eine überaus positive Bedeutung.
Ja, wir müssen die anderen besser verstehen, um dadurch einen Konflikt zu entschärfen. Und dazu müssen wir mit ihnen sprechen – oder wie die Berliner Zeitung in ihrem Aufruf gegen Gewalt es forderte, wir müssen miteinander kommunizieren.
Den Verstand benutzen, sich mit den anderen zu verstehen und fähig zu werden, Frieden zu schließen. Dabei bedeutet Verstehen ganz und gar nicht, die Meinung eines anderen zu akzeptieren oder gar zu übernehmen.
Es meint nur, dem Standpunkt der gegnerischen Seite Respekt zu zollen und sich dementsprechend zu verhalten. Der kleine Schritt, den anderen zu verstehen, zu respektieren, kann zwischen Krieg und Frieden entscheiden.
Und der Rahmen für eine Welt, in der wir uns wechselseitig zu verstehen lernen, ist abgesteckt durcht der UN-Charta, den Allgemeinen Menschenrechten, dem humanitären Völkerrecht und der Charta von Paris für ein friedliches Europa.
Wir brauchen also nicht lange zu suchen.
Bald werden auf unserer Erde, die ja nicht viel mehr als ein winziges Sandkorn im unermesslichen Weltall ist, 10 Milliarden Menschen leben. Das wird zu Konflikten führen – hervorgerufen durch den Klimawandel, die Armut sowie den Kampf um limitierte Ressourcen, um soziale Gerechtigkeit, um Wasser, um Land und oft nur um das Lebensnotwendigste.
All das kann friedlich gelöst werden – wenn wir nur unseren Verstand gebrauchen, und es gelinge trotz aller Unterschiede uns zu verstehen und zusammenzuarbeiten.
Mehr Waffen würden uns nur in permanente Kriege verwickeln und im schlimmsten Fall die gesamte Menschheit auslöschen. Wir können uns also eine Welt, die im Griff der Gewalt ist, gar nicht mehr leisten.
Dabei sollten wir uns an die Präambel der UN-Charta erinnern, die heute noch genauso aktuell und relevant wie vor 78 Jahren ist, als sie angesichts zweier verheerender Weltkriege geschrieben wurde. Sie wendet sich an jeden Einzelnen von uns:
Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen,
- künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,
- unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen,
- Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,
- den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern,
und für diese Zwecke
- Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben,
- unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren,
- Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und
- internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern […]
Michael von der Schulenburg arbeitete über 34 Jahre für die UNO und die OSZE. Dazu gehörten langfristige Einsätze in Haiti, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak und Sierra Leone sowie kürzere Einsätze in Syrien, auf dem Balkan, in Somalia, in der Sahelzone und in Zentralasien. 2017 veröffentlichte er das Buch "On Building Peace: Rescuing the Nation-state and Saving the United Nations".
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