Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich
Es gibt Chancen. Die bisherige Nahostpolitik war und ist zu visionslos. Ein Kommentar
Israel feiert sein 70-jähriges Bestehen. Der "Judenstaat", dessen Vision Theodor Herzl 1896 veröffentlichte, wurde 1948 Realität. Juden, 2000 Jahre über die ganze Welt verstreut und verfolgt, haben wieder eine "Heimstatt". Das Land ist heute die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten. Aber hat Israel auch Zukunft?
Präsident Netanjahu feiert in diesen Tagen Israels militärische Stärke und erklärt: "Wir können uns selbst verteidigen. Darin besteht unsere Souveränität."
Reicht aber militärische Stärke für die Zukunftsfähigkeit eines Landes? Wo bleibt die Gerechtigkeit gegenüber den Palästinensern? 700.000 Palästinenser wurden 1948 vertrieben oder mussten fliehen. Israels Kriegsglück war vor 70 Jahren Palästinas Katastrophe schlechthin. Bis heute ist Israel ein Staat auf Kosten Palästinas. Wie aber kann Frieden möglich werden?
In der Ansiedlung liegt auch eine Chance
Die Ansiedlung von immer mehr Israelis auf palästinensischem Gebiet im Westjordanland ist heute der Hauptstreitpunkt, der einem dauerhaften Frieden im Wege steht. Aber genau darin liegt auch eine Chance.
Die israelischen Siedler könnten die künftige Minderheit in Palästina werden. So wie viele Palästinenser die künftige Minderheit in Israel sind. Beide Minderheiten müssen einen besonderen staatlichen Schutz erhalten. Jerusalem kann die gemeinsame Hauptstadt von Palästina und Israel sein.
Eine Zeit lang müssten wohl die Vereinten Nationen die Minderheiten auf beiden Seiten schützen, notfalls auch militärisch. Die jeweiligen Minderheitenrechte müssten durch internationale Verträge gewährleistet werden, und beide Seiten müssten offen sein für geringfügige Grenzkorrekturen.
Reine Utopie? Unmöglich? Wie war es denn in Europa nach 1945?
Auch hier schien Frieden nach zwei Weltkriegen mit 60 Millionen Toten zunächst unmöglich. Doch die wirtschaftliche Kooperation war die Basis und der Ansporn für Wohlstand und politische Zusammenarbeit.
Auch Palästina und Israel und ihre jeweiligen Minderheiten könnten ökonomisch zusammenarbeiten und andere arabische Länder zu einer Nahost-Gemeinschaft einladen - mit dem Ziel, gemeinsam Frieden und Wohlstand zu schaffen. Dabei könnte nach dem Vorbild der Europäischen Union ein neues Wirtschaftswunder entstehen.
Am Anfang müssten natürlich vertrauensbildende Schritte unternommen werden, ähnlich wie beim Überwinden des Kalten Krieges. Den ersten Schritt zur Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland gingen die katholischen Bischöfe beider Länder, als sie zueinander sagten: "Wir vergeben und wir bitten um Vergebung."
So entsteht wirklicher Frieden. Das Ziel muss die Aussöhnung der gesamten Region sein.
Ein neues Denken!
Dabei könnten die drei abrahamitischen Religionen eine zentrale Rolle spielen. Sie basieren doch alle auf den Werten Liebe, Frieden und Barmherzigkeit. Eine starke politische und spirituelle Persönlichkeit müsste diese Vision, nach der sich Millionen Menschen aller Religionen im gesamten Nahen Osten sehnen, nachhaltig, glaubwürdig und öffentlichkeitswirksam vertreten, ähnlich wie Michail Gorbatschow, der vor über dreißig Jahren den Mut zum ersten Abrüstungsschritt hatte. Vielleicht eine Frau wie Angela Merkel.
Auch kluge Politiker und Religionsführer in Saudi-Arabien und Iran hoffen auf diese Vision. Und ein wachsender, kreativer Nahostfrieden könnte der Schlüssel für den Weltfrieden werden.
Die bisherige Nahostpolitik war und ist zu visionslos. Gerade die Bedeutung der Religionen für den Frieden wurde von den Vereinigten Staaten in allen Verhandlungen übersehen. Die Geschichte nach 1945 lehrt aber, dass selbst der Punkt des tiefsten Konflikts der Beginn zur Versöhnung sein kann. Frieden ist grundsätzlich immer möglich. Das Gegenteil zu behaupten, ist Ideologie und menschenfeindlich.
Voraussetzung für einen Erfolg ist natürlich ein neues, ein anderes Denken - ein Denken "vom Ende her".
Als Vorbild könnte die alttestamentarische Geschichte von der Versöhnung zwischen den beiden verfeindeten Brüdern Jakob und Esau dienen: Vor viertausend Jahren trafen sich diese beiden "Erzfeinde" nach jahrzehntelangem Streit. Jakob hatte Esau betrogen und Esau wollte ihn töten. Als aber Jakob nach einem nächtlichen Traum Esau in einer Demutsgeste um Verzeihung bat, war Esau tief berührt und sagte: "Willkommen, mein Bruder. Unser Land ist groß genug für uns beide."
Frieden beginnt immer mit einem Traum vom Frieden. Auch Israelis und Palästinenser können heute erkennen, dass ihr "Land groß genug für uns beide" ist. Beide sollten dies vor den Vereinten Nationen bekennen und einander um Verzeihung bitten. Entscheidend wird sein, ob einer den Mut zum ersten Schritt hat. Dieser erste Schritt in eine neue Richtung ist grundlegend.
Seit 2006 gab es drei Kriege zwischen Israel und den Palästinensern und aktuell wieder Krawalle rund um den Gazastreifen. Israelische Soldaten haben in den letzten drei Wochen 32 Palästinenser erschossen. So sieht keine friedliche Zukunft aus. Die dauerhafte Besatzung im Westjordanland ist keine Lösung.
Es gibt aber immer Alternativen. Gerade der militärisch Stärkere kann den ersten Schritt gehen. Frieden ist auch zwischen Israel und Palästina möglich. Diesen ersten Schritt könnte Ministerpräsident Netanjahu tun und vor der UNO erklären: "Wir haben 1948 den Palästinensern Unrecht getan. Dafür bitten wir um Verzeihung. Aber bitte versteht, dass auch Juden nach 2.000 Jahren Verfolgung wieder eine Heimat wollen. Wir vergeben und wir bitten um Vergebung. Das Land reicht für uns beide."
Ohne einen Traum vom Frieden gibt es keinen.
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