Frösche debattieren über Teichgröße
In der Frage der Begrenzung der Zahl der Bundestagsabgeordneten verläuft die Front auch durch die Reihen der Union
In Deutschland wären für knapp 83 Millionen Einwohner eigentlich 598 Bundestagsmitglieder vorgesehen. Aktuell hat der Deutsche Bundestag allerdings 709 Sitze. Das liegt an den Zusatzmandaten, mit denen das deutsche Wahlrecht Unstimmigkeiten ausgleichen will, die durch eine Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht entstehen. Umfragezahlen nach könnten deshalb im nächsten Bundestag sogar 898 Abgeordnete sitzen. 189 mehr als jetzt und 300 mehr als eigentlich vorgesehen (vgl. Bundestag könnte bei Neuwahlen auf fast 900 Abgeordnete explodieren).
Bereits jetzt leistet sich Deutschland mit 709 Bundestagsabgeordneten die zweitgrößte Volksvertretung der Welt. Größer ist nur die in China, wo nicht 83 Millionen, sondern knapp 1,34 Milliarden Menschen leben. Pro Kopf leistet sich die Volksrepublik mit ihren 2.980 Volkskongressabgeordneten deshalb deutlich weniger als Deutschland. Ähnliches gilt für die USA, wo knapp 330 Millionen Einwohner 435 Repräsentantenhausabgeordnete und hundert Senatoren finanzieren müssen. Auch Russland gibt sich mit 450 Duma- und 170 Föderationsratsabgeordneten bei etwa 145 Millionen Einwohnern bescheidener. Ganz zu schweigen von Indien, wo maximal 552 Abgeordnete in der Lok Sabha etwa 1,34 Milliarden Menschen vertreten.
"Deutlich mehr als eine Milliarde Euro im Jahr"
Nachdem der Bund der Steuerzahler (BdSt) vor zwei Jahren warnte, dass ein fast neunhundertköpfiger Bundestag "deutlich mehr als eine Milliarde Euro im Jahr" kosten würde, meldeten sich verschiedene Akteure mit Reformvorschlägen, die jedoch von anderen Akteuren stets abgelehnt wurden. So forderte beispielsweise Martin Sonneborns Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (PARTEI) eine "Obergrenze für die Gesamtsumme der Diäten des kompletten Bundestages" (vgl. PARTEI fordert Obergrenze für Abgeordnete). Dass sich dafür bislang keine der anderen deutsche Parteien begeistern konnte, dürfte damit zusammenhängen, dass in Parteien auch finanzielle Interessen eine wichtige Rolle spielen, was manchen politischen Akteure auch bemerkenswert offen zugeben.
Ignoriert wurde auch ein Vorschlag des Vereins Mehr Demokratie, der Wählern mehr und Parteimitgliedern weniger Macht gegeben hätte: Er sah vor, dass ein Wähler in einem Wahlkreis drei statt nur einen Direktkandidaten ankreuzen kann, ohne dass der Stimmzettel ungültig wird. Dieser Stimmzettel sähe dann auch anders aus, weil pro Partei oder Gruppierung bis zu sieben Kandidaten zur Auswahl stünden. Möchte er die Entscheidung, wer in den Bundestag kommt, einer Partei überlassen, kann er stattdessen deren Namen ankreuzen.
Auf den am Freitag zur Plenarabstimmung stehenden gemeinsamen Vorschlag der drei Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne, die Zahl der Bundestagswahlkreise von 299 auf 250 zu verringern und gleichzeitig die Gesamtzahl der Mandate um 32 zu erhöhen, mochten sich die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD ebenso wenig einlassen wie auf den wie üblich kategorisch abgelehnten der vierten Oppositionspartei AfD, die Wähler in die Listenreihenfolge eingreifen zu lassen. Warum sich die drei Parteien, die sich ideologisch eher unterschiedlich präsentieren, in dieser Frage so einig sind, lässt sich mit den Wahlergebnissen erklären: Von den 299 Wahlkreisen hatte die CDU 2017 in 185 ein Direktmandat gewonnen, die SPD in 59 und die CSU in 46. Die Linkspartei brachte es dagegen (ebenso wie die AfD) nur auf drei Direktmandate, die Grünen kamen auf eines und die FDP auf keines.
Die Direktmandatssieger mit den relativ schlechtesten Erststimmenergebnissen soll es zuerst treffen
Nun hat auch der Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus einen Reformvorschlag präsentiert, den er heute in der Fraktionssitzung in der Fraktionssitzung debattieren lässt. Dieser Vorschlag stieß allerdings nicht nur auf Spott in Sozialen Medien (wo man sich darüber amüsierte, dass anderswo ein Wachstum von 709 auf 750 Abgeordnete als "Verkleinerung" geframt wird), sondern auch bei 39 Abgeordneten aus CDU und CSU.
Sie kritisierten den Vorstoß ihres Fraktionsvorsitzenden in einem Brief als "strategische Katastrophe" und "denkbar schlechteste[n] Vorschlag aller bisherigen Vorschläge". Warum sie ihn zudem für verfassungswidrig halten, hat der ehemalige Verfassungsrichter und Rechtsprofessor Udo di Fabio in einem rechtswissenschaftlichen Gutachten dazu genauer ausgeführt. Ihm zufolge verstößt der Vorstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG), der Unmittelbarkeit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) und das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 GG)."
Kommen dem bisherigen Ausgleichs- und Überhangsmandatsystem nach nämlich mehr als 750 Sitze zusammen, will Brinkhaus nämlich für jedes dann nicht ausgeglichene Überhangmandat ein Direktmandat streichen. Damit die Parteien das nicht als bequeme Gelegenheit nutzen, unfolgsame Selberdenker loszuwerden, soll es die Direktmandatssieger mit den relativ schlechtesten Erststimmenergebnissen zuerst treffen. Diese Erststimmensiegerergebnisse liegen teilweise deutlich unterhalb von 50 Prozent. Die SPD-Wehrbeauftragte Eva Högl etwa gewann ihren Berliner Wahlkreis 2017 mit lediglich 23,5 Prozent (vgl. Justizministerin Barley wird SPD-Europaspitzenkandidatin).
Die CSU - unter deren Abgeordneten es traditionell einen praktisch hundertprozentigen Direktmandatsanteil gibt und aus der besonders viele Gegner des Brinkhaus-Vorschlages kommen - hat sogar einen Alternativorschlag zu dem des Fraktionschefs präsentiert. Er sieht vor, neben der Zahl der Wahlkreise auch die Zahl der Listenmandate zu verringern, was aber nicht schon bei der nächsten, sondern erst bei der übernächsten Bundestagswahl gelten soll. 2021 sollen noch 299 Direkt-, aber maximal 400 Listenmandate verteilt werden.
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