Fünfeinhalb Jahre Haft für den Salafisten Sven Lau

"Enge Freunde". Sven Lau und Pierre Vogel, 2014. Foto: ireas / CC BY-SA 4.0

Der Rechtstaat tut sich schwer mit dem Phänomen "Salafismus". Das Verfahren hatte laut Prozessbeobachter Anklänge an eine "Posse"

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Seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin hat sich vieles verändert. Elf Besucher des Weihnachtsmarktes starben; der Fahrer des Lastwagens wurde von Anis Amri erschossen. Es sind unschuldige Opfer, Menschen, die bis zum 19. Dezember 2016 nichts mit Amri zu tun hatten. Sie wussten nichts von dessen religiösem Dogma, das sie in seinen Augen zu Unmenschen machte, die gegenüber dem "Seelenheil" von Anis Amri keinen Wert hatten. Dem ging es um etwas "ganz Großes".

Zu den Auswirkungen des Anschlags gehört, dass der Islamismus in Deutschland seither ernster genommen wird. Die Gefährder-Debatte ging auf das nächste Level. Die Wahrnehmung dafür, dass Personen mit islamistisch geprägten Anschauungen tatsächlich "aufs Ganze gehen" können und von einem Moment auf den anderen den zerbrechlichen Konsens der Gewaltfreiheit unter Mitbürgern beiseite wischen und brutal und gnadenlos auf Leib und Leben anderer zugreifen, ist seither auch hierzulande geschärft.

Dazu kam die Erkenntnis, dass die geistige Sphäre von Amri für Behörden offensichtlich eine Art Neuland war. Sie wussten die Gefahr nicht richtig einzuschätzen, übersahen Signale, murksten und verschleierten.

Das gehört zum Rahmen des gestrigen Urteils des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes im Fall Sven und erklärt die positiven, erfreuten Reaktionen auf das Urteil - fünfeinhalb Jahre Haft verfügte der "Richter für extreme Fälle" (FAZ), Frank Schreiber, gegen Sven Lau.

"Sehr schön, ein Islamist weniger", "Keine Toleranz gegenüber Intoleranz" "Gute Nachricht!" "Sehr gut, auch wenn's gern a bissl mehr hätt sein dürfen" "So ein demagogischer Mist muss beendet werden" "Weg sperren" "Selten so eine Einigkeit im Forum" "Endlich", so lauten einige schnell herausgepickte Kommentare aus dem Forum zum Artikel der Zeit zum am Mittwoch erlassenen Urteil über Sven Lau, der zusammen mit seinem "engen Freund" Pierre Vogel das über YouTube, Facebook und traditionelle Medien bekannte Doppelgesicht des deutschen Salafismus abgibt.

Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung

Der 5. Strafsenat unter Leitung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Frank Schreiber verurteilte Sven Lau "wegen der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in vier Fällen":

Zur Überzeugung des Senats war Sven Lau spätestens seit Anfang 2013 Ansprechpartner und Anlaufstelle für Kampf- und Ausreisewillige, insbesondere aus der salafistischen Szene im Großraum Düsseldorf. In der Zeit von Juli 2013 bis November 2013 hat er maßgebliche Beiträge geleistet, zwei in Deutschland lebende Männer einer in Syrien stationierten Kampfeinheit der radikalislamistischen und IS-nahen Organisation JAMWA ("Armee der Auswanderer und Helfer") zuzuführen. Einer dieser Männer hat später auch an Kampfeinsätzen für die JAMWA teilgenommen. Im Juni, September und Oktober 2013 reiste Lau jeweils selbst nach Syrien. Dort übergab er der JAMWA für deren bewaffneten Kampf Gelder und ließ der Organisation aus Deutschland drei Nachtsichtgeräte aus ehemaligen Bundeswehrbeständen für ihren bewaffneten Kampf zukommen.

Pressemitteilung Nr. 26/2017, vom 26.07.2017

Über die dschihadistische Ausrichtung der Miliz Jaish al-Muhajireen wal-Ansar (JMA oder JAMWA) gibt es keinen Zweifel. Die Miliz in Syrien steht auf der Terrorliste Kanadas und der USA. Artikel des Long War Journal weisen die Gruppe, die von vielen foreign fighters geprägt ist, eindeutig als dschihadistische Gruppe aus.

Im September 2015 soll sie sich der al-Qaida-Miliz al-Nusra angeschlossen haben. Ihr Führer war Salahuddin al-Shishani, ein Tschetschene, der nach seiner Absetzung dem Dschihad im Kaukasus Treue schwor. Teile der Miliz wanderten zum IS ab.

Sven Lau hatte nachgewiesen Kontakte zu dieser Gruppe, also hatte er eindeutig Kontakte und Sympathien für ausgemachte Dschihadisten, die sich der al-Qaida verschrieben haben. Punkt.

Seine grundsätzliche Haltung dokumentiert auch ein Tonband bei der Verhandlung:

Der Richter lässt abgehörte Telefonate vorspielen. In einem Interview hatte Lau auf die Frage, ob es sich bei den Kämpfern in Syrien um Freiheitskämpfer oder Terroristen handele, "Freiheitskämpfer" gesagt. "Super, Hammersatz, Bruder, ich muss mich bedanken", tönt Vogels rheinischer Singsang vom Mitschnitt durch den Gerichtssaal. Lange berät sich Vogel mit seinem Anwalt. Dann sagt er, dies sei eine Fehleinschätzung gewesen. "Man kann nicht pauschal alle als Freiheitskämpfer bezeichnen." Er glaube aber, Lau habe die Freie Syrische Armee gemeint. Das ist eine Koalition von Gruppen, die auch die USA mal unterstützt haben.

Taz

Die USA sahen absichtlich über unmissverständliche Sympathien-und Bündnis-Erklärungen von FSA-Kommandeuren zu Dschihadisten hinweg - dies nur am Rande.

Absurde Auftritte vor Gericht

Informiert man sich etwas genauer über den Prozess gegen Lau, so gerät man in eine irritierende Zone. Im Fall Lau fallen "absurde" Auftritte des Hauptbelastungszeugen Ismail I. und eines zweiten Zeugen auf. Die Bild-Zeitung berichtet von Zeugenaussagen, wonach Lau nicht den Antrieb für Reisen nach Syrien gegeben hat. Die Taz berichtet von absurden, widersprüchlichen Auftritten des Ismail I. Die Regionalzeitung NRW-Direjt bringt es so auf den Punkt:

Bis zum Schluss umstritten blieb in diesem Verfahren auch die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen Ismail I.: Der 26-jährige Libanese hatte in seiner Vernehmung offen eingeräumt, dass er in seinem eigenen Prozess, der mit einer Verurteilung zu viereinhalb Jahren Haft endete, das Gericht "an der Nase herumgeführt hatte". Vollständig absitzen aber musste er die Strafe nicht; nur wenige Tage, nachdem er Sven Lau mit seiner Aussage schwer belastet hatte, kam er vorzeitig auf freien Fuß.

NRW-Direkt

"Was die Zuschauer in den zehn Monaten dieses Prozesses im Hochsicherheits-Gerichtssaal des OLG geboten bekamen, grenzte teilweise an eine Zumutung", fasst der Prozess-Beobachter von NRW-Direkt, das bislang nicht als Salafisten-Fan-Postille bekannt war, die Einschätzung vor dem Urteil zusammen:

Fragwürdiger Höhepunkt von alledem dürfte der Libanese Ismail I. gewesen sein, den Sven Laus Anwalt Mutlu Günal wegen dessen aktenkundigen früheren Unwahrheiten während des gesamten Prozesses lustvoll und ungestraft einen "notorischen Lügner" nennen durfte. Der schwäbelnde Libanese warf Sven Lau vor, ihn nach Syrien geschleust zu haben und belastete ihn damit schwer. Und nur wenige Tage nach dieser Aussage wurde Ismail I. vorzeitig aus seiner eigenen Haft entlassen. Eine Posse, mag sich der eine oder andere Zuschauer gedacht haben. Aber eine, auf die eine mögliche Verurteilung von Sven Lau begründet sein könnte.

NRW-Direkt

"Ismail I. wollte ohnehin nach Syrien", heißt es in dem NRW-Direkt-Bericht. Der Kommentar des Mediums mit Sitz in Mönchengladbach macht auf die Vorgeschichte zum Verfahren gegen Sven Lau aufmerksam: Dass Lau und die Salafisten um ihn herum die Jahre zuvor in Mönchengladbach immer wieder aufgefallen waren und vor der Gefährlichkeit seiner Gruppe gewarnt worden war.