"Für Resignation haben wir keine Zeit"

Seite 2: Krater und einstürzende Gebäude

Wenn der Permafrost taut, wird der Boden instabil, der nicht mehr von Eis zusammen gehalten wird. Es entstehen Krater, Sümpfe und Schlamm-Seen. Durch die höheren Temperaturen gedeihen mehr Pflanzen.

Büsche rücken nach Norden vor, wo vorher nur Gräser wuchsen. Die Landschaft verändert sich, an den Küsten holt sich das Meer immer mehr Land, Waldbrände zerstören ganze Landstriche. Ein komplexer Vorgang, der eine völlig neue Umgebung schafft.

Als direkte Folge des nachgebenden Bodens bersten Pipelines, Straßen brechen weg und Gebäude geraten in Schieflage oder stürzen ein. Wissenschaftliche Berechnungen ergaben, dass 120.000 Gebäude, 40.000 Straßenkilometer und 9.500 Kilometer Pipelines in akuter Gefahr sind. Traditionelle Lebensweisen von indigenen Gemeinschaften, wie zum Beispiel die der Rentierzüchter, sind zudem bedroht.

Die Permafrostgebiete in Skandinavien und Finnland werden wohl auf jeden Fall bis 2040 verschwunden sein, selbst wenn die Erderwärmung rasch eingedämmt wird.2

Die Fachleute sind beunruhigt, entsprechend intensiv appelliert die Forschergruppe um Benjamin Abbott an die Politik weltweit:

Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung für das riesige globale Permafrostgebiet. (...) Wenn es uns nicht gelingt, die Permafrost-Ökosysteme zu schützen, wird das schwerwiegende Folgen für die Menschenrechte, die Integrität der Biosphäre und das globale Klima haben.

Die politischen Implikationen sind klar: Je schneller wir die menschlichen Emissionen reduzieren und das atmosphärische CO2 abbauen, desto mehr der Permafrost-Gebiete können wir retten. Die Ziele für die Emissionsreduzierung müssen verschärft werden, und mit der Unterstützung der lokalen Bevölkerung einhergehen, um intakte ökologische Gemeinschaften und natürliche Kohlenstoffsenken innerhalb der Permafrost-Gebiete zu schützen. (...)

Wir rufen Staats- und Regierungschefs, Unternehmen, Forscher und Bürger auf der ganzen Welt auf, die globale Bedeutung des Permafrosts anzuerkennen, und sich für die Wiederherstellung des Klimas und die Stärkung der Rechte indigener und zugewanderter Gemeinschaften in diesen Regionen einzusetzen.

Die interaktive Karte des Alfred-Wegener-Instituts zeigt, wie sich bestimmte Eigenschaften des Klimas und des Permafrosts seit dem Jahr 1800 entwickelt haben. Die Zukunft zeigt sich in drei verschiedenen Szenarien für das Schicksal des Permafrosts bei niedrigen, mittleren und hohen Treibhausgas-Emissionen. Karte: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI)

Ergänzend zum Bericht über die Situation der Permafrost-Regionen veröffentlicht das Alfred-Wegener-Institut eine interaktive Karte der Nordhalbkugel, die das Team um Moritz Langer erstellt hat. "Auf dieser Karte kann man sich anzeigen lassen, wie sich bestimmte Eigenschaften des Klimas und des Permafrosts seit dem Jahr 1800 entwickelt haben", erklärt der Forscher.

Zusammen mit anderen wissenschaftlichen Experten hat er im Juni als Preprint auf EGUsphere (Plattform der europäischen Geowissenschaften) eine kurze Geschichte der arktischen Permafrostes der letzten Jahrhunderte veröffentlicht: "The evolution of Arctic permafrost over the last three centuries". Daten wie die Temperatur der Erdoberfläche, Auftautiefe oder Kohlenstoffmengen in der obersten Bodenschicht flossen in die Studie ein.

Dabei zeigte sich, dass die Erwärmung des Permafrostes seit der Industrialisierung hauptsächlich in drei Hotspot-Regionen im Nordosten Kanadas, im Norden Alaskas und in geringerem Maße in Westsibirien stattfand.

In der Geschichte ging es zunächst vom geringen zum mäßigen Auftauen, erst im 20. Jahrhundert verdoppelte sich die Permafrost-Verlustrate, ganz besonders verstärkt in den letzten 50 Jahren.

Neben dem virtuellen Blick in die Vergangenheit bietet die Karte auch mögliche Zukunftsperspektiven für die Dauerfrostböden. Drei Szenarien mit niedrigen, mittleren und hohen Treibhausgas-Emissionen können durchgespielt werden.

Wenn rasch gehandelt wird und die globale Erwärmung weniger als zwei Grad Celsius beträgt, könnte ein großer Teil des Permafrosts erhalten bleiben. "Leider steuern wir im Moment aber auf eine viel stärkere Erwärmung zu", erklärt Moritz Langer, und bei einem Anstieg der Temperaturen um vier bis sechs Grad würde bis zum Jahr 2100 allüberall im hohen Norden das große Tauen herrschen.