Für Schäuble ist die Gefährdungslage ernst
Anstatt im Vorfeld des G8-Gipfels auf Deeskalation zu setzen, macht der Bundesinnenminister das Gegenteil, vermischt Terrorismus und Protest, droht mit Vorbeugehaft und bringt erneut die Bundeswehr ins Spiel
Anstatt nun zur Deeskalierung der aufgeheizten Stimmung beizutragen, schürt der Bundesinnenminister die Bedrohung im Kontext des G8-Gipfels durch mögliche Gewalttäter und Anschläge noch weiter. Er warnt vor einer erhöhten Gefährdungslage und kündigt an, alles zu tun, um die Sicherheit zu gewährleisten. Auch seine Lieblingsforderung, der Einsatz der Bundeswehr, darf dabei nicht fehlen. "Wir brauchen eine Verfassungsänderung, damit wir die Fähigkeiten der Bundeswehr gegen diese Gefahren nutzen können, sagte der Innenminister den Ruhr Nachrichten: "Wir sollten das Mögliche an Sicherheit im Rahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung leisten, damit Terroranschläge verhindert werden."
Der Neuen Presse sagte Bundesinnenminister Schäuble, dass die Bedrohungslage im Umkreis des Gipfels sehr ernst sei. "Wenn sich einige der wichtigsten politischen Führer der Welt treffen, gibt es eine erhöhte Gefahr", meinte er und fügte hinzu: "Wir werden alles Erdenkliche für ihre Sicherheit tun und entsprechende Vorkehrungen treffen." Die Razzien seien notwendig gewesen, weil Globalisierungsgegner bei großen politischen Ereignissen wie dem G8-Gipfel Aufmerksamkeit erregen und die Weltöffentlichkeit für ihre Anliegen gewinnen wollen: "Gewalttätige Auseinandersetzungen liefern da immer die interessanteren Bilder. Wir haben die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen."
Aufmerksamkeit zu erregen, ist freilich der Zweck jeder Demonstration und Protestaktion, während stets die theoretische oder abstrakte Möglichkeit einer irgendwie gearteten Bedrohung besteht. Damit die von Schäuble befürchteten "interessanteren Bilder" nicht entstehen, wäre auch eine Deeskalationsstrategie seitens der Staatsmacht notwendig, was keineswegs eine neue Einsicht darstellt, wie auch der Bundesinnenminister wissen sollte. Nach Razzien scheint man aber gewillt zu sein, auch Sachbeschädigung und mögliche Gewalttätigkeiten als terroristische Taten verfolgen und damit mögliche Konflikte bereits im Vorfeld dramatisieren zu wollen. Die Warnungen, dass die nach dem 11.9. ausdrücklich gegen den internationalen oder islamistischen Terrorismus eingeführten Maßnahmen allmählich auch dazu dienen werden, gegen politische Opposition eingesetzt zu werden, scheinen sich leider zu bestätigen.
Dass Schäuble als Verantwortlicher für die Sicherheit höchst angespannt ist, lässt sich nachvollziehen. Aber er sollte als Verantwortlicher auch versuchen, nicht die Unruhe und die Panik zu fördern, sondern besonnen die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen durchzuführen, ohne Deutschland im Zeichen einer abstrakten Terrorbedrohung zu einer Hochsicherheitsanstalt zu machen und präventiv demokratische Rechte einzuschränken oder auszuhebeln.
Dass Schäuble gewillt ist, wohl auch zur Durchsetzung seiner innenpolitischen Forderung, die theoretisch mögliche Gefahr hochzuspielen, lässt sich aus seinen Äußerungen schließen. So wies er auf die Terroranschläge im Juli 2005 in London hin, die während des G8-Gipfels in Schottland stattgefunden hatten, um die Gefährdungslage zu verdeutlichen und die Sicherheitsmaßnahmen zu rechtfertigen. Wenn er sagt, dass auch dann, wenn bei Großereignissen wie dem Weltjugendtag und der Fußball-WM noch keine Terroranschläge erfolgt seien, dies nicht bedeute, dass nichts passieren kann, hat er natürlich recht. Es kann immer alles Mögliche und Denkbare passieren, ohne konkrete Anhaltspunkte sollte man als verantwortlicher Politiker nicht ständig die Terrorgefahr beschwören, wenn man sie nicht instrumentalisieren will. Zudem ist der Schritt vor möglichen gewaltbereiten Gipfelgegnern zu Anschlägen, wie sie islamistische Terroristen etwa in London begangen haben, weit. Wenn Schäuble hier nicht deutlich differenziert, sondern mit einem verschwommenen Terrorbegriff hantiert, ist das für die demokratische Kultur und den Rechtsstaat höchst gefährlich.
Fragwürdig ist auch, die Terroranschläge von London für die bestehende Gefährdungslage zu zitieren. Zumindest machen sie deutlich, dass es keinen geografischen Kontext derart geben muss, dass Heiligendamm selbst gefährdet sei und daher Demonstrationen wie der Sternmarsch deswegen verboten werden müssten. Und wie der Einsatz des Militärs die Terroranschläge in London hätte verhindern oder die Rettungseinsätze verbessern können, müsste der Bundesinnenminister auch einmal näher erörtern. Auch der Hinweis auf die gescheiterten Anschläge auf Regionalzüge hat nicht wirklich einen Bezug zu den geplanten Protestaktionen.
Schäuble erklärte in der Bild-Zeitung überdies, dass es vor dem Gipfel auch zur Vorbeugehaft "für gewaltbereite Chaoten" kommen könne. Sie können, wenn es Anhaltspunkte für geplante Straftaten, bis zu zwei Wochen in "Unterbindungsgewahrsam" genommen werden. Allerdings sagte er nicht direkt, was die Bild-Zeitung in der Schlagzeile suggeriert und damit stellvertretend für Stimmungsmache sorgt: "Schäuble: Chaoten 2 Wochen wegsperren!"
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der die Notwendigkeit solcher Treffen wie den mindestens 100 Millionen Euro teuren G8-Gipfel bekräftigte, versuchte in einem Interview, sich vorsichtig, wenn auch nicht überzeigend von den Sicherheitsmaßnahmen abzusetzen: "Sie können mir glauben, dass die Politiker es lieber sähen, wenn solche Sicherungsmaßnahmen nicht nötig wären." Über ihren Umfang würden nicht die Politiker entscheiden, sondern diejenigen, die für die Sicherheit der eingeladenen Gäste Verantwortung trügen. Man fragt sich allerdings, welche Funktion Bundesinnenminister Schäuble ausübt. Weiter meinte Steinmeier ein wenig umständlich, dass die Sicherheitsmaßnahmen die Akzeptanz solcher Treffen, die nicht für jedermann notwendig und sinnvoll erscheinen, für Politik und Begegnungen für das Publikum nicht einfacher mache.
Allerdings handelt es sich nicht um ein Publikum wie bei einem Konzert oder einer Theateraufführung, sondern um Bürger eines demokratischen Staates, deren Freiheitsraum eingeschränkt wird, während die Regierungschefs sich vor den Bürgern in modernen Burganlagen verschanzen müssen, wobei hier Jahr für Jahr ausgeklügeltere und umfassendere Sicherheitsmaßnahmen geprobt werden. Ein überzeugendes Symbol für die Verfasstheit demokratischer Staaten sind solche Treffen unter Bedingungen der Hochsicherheit und dem Ausschluss der Öffentlichkeit sicherlich nicht.