Für die Bayernpartei steht Katalanen wie Bayern das Selbstbestimmungsrecht zu

Ist eine Sezession, wie dies die Katalanen wollen, rechtlich möglich? Mit dem Kosovo und der Krim gab es umstrittene Präzedenzfälle, die zeigen, dass das Selbstbestimmungsrecht geopolitischen Interessen folgt

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Heiß wird nicht nur in Spanien diskutiert, ob oder unter welchen Bedingungen eine Sezession Kataloniens möglich ist. Die Nato-Staaten haben ebenso wie Russland in den letzten Jahren bekanntlich Präzedenzfälle geschaffen. Die katalanische Regionalregierung erklärt, dass nach dem Referendum, an dem 42 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen und davon 92 Prozent für die Unabhängigkeit gestimmt haben, es ein Recht auf Unabhängigkeit gebe. Madrid sieht einen Verfassungsbruch und versucht, die für das Referendum Verantwortlichen strafrechtlich zu belangen. Weiterhin weigert sich die konservative PP-Regierung, einen Dialog mit katalanischen Vertretern aufzunehmen.

2008 wurde der Kosovo aus politischen Gründen und nicht einmal durch ein Referendum demokratisch legitimiert zum unabhängigen Staat erklärt und blitzschnell von vielen Ländern anerkannt. Russland ließ nach dem Regierungssturz in der Ukraine 2014 schnell ein Referendum auf der Krim organisieren, um diese dann nach positivem Ausgang in die Russische Föderation aufzunehmen. Das wurde auch von den Staaten, die zuvor den Kosovo zum unabhängigen Staat erklärt und damit eigentlich völkerrechtswidrig hatten, eben als völkerrechtswidrig abgelehnt.

Russische Staatsmedien sind sehr interessiert an den Ereignissen in Spanien, die die Europäische Union und die Nato nach dem Brexit schwächen oder eine positivere Sicht auf die Annexion der Krim oder für eine Autonomie der Ostukraine befördern könnten. Dazu kommen die "gefrorenen Konflikte" unter russischer Aufsicht: Transnistrien, das von Moldawien unabhängig werden will, oder Abchasien und Südossetien, die sich von Georgien abspalten wollen. Die in der Regel eher positive Berichterstattung über die Unabhängigkeitsbewegung der Katalanen steht aber an sich im Widerspruch zur allgemeinen Position der russischen Regierung auf den unbedingten Erhalt der territorialen Integrität bestehender Länder, wenn nicht eigenen geopolitischen Interessen vorherrschen. Gegenwärtig sucht Moskau in Syrien die Zentralregierung zu stützen und den Staat zu erhalten, Sezessionsbewegungen im eigenen Land werden hingegen wie etwa im Fall von Tschetschenien brutal unterdrückt.

Im Völkerrecht gibt es "kein ausdrückliches Verbot von Sezessionen"

Rtdeutsch hat mit dem Strafrechtler und Rechtsphilosophen Reinhard Merkel ein Interview über Katalonien geführt. Eine Sezession ist für ihn verfassungswidrig und völkerrechtswidrig. Rechtlich könne Katalonien sich nicht als unabhängig erklären. Das werde auch deswegen nicht geschehen, meint er, weil Katalonien dann faktisch von genügend vielen Staaten anerkannt werden müsste. Das werden diese, auch wenn es eben den Präzedenzfall Kosovo in letzter Zeit gegeben hat, nicht machen, um nicht weitere Präzedenzfälle zu schaffen. Allerdings gebe es im Völkerrecht auch "kein ausdrückliches Verbot von Sezessionen": "Die Causa Kosovo trübt die sonst klare völkerrechtliche Beurteilung von Sezessionen daher durchaus. Gleichwohl gibt es gute Gründe, einseitige und konfliktträchtige Sezessionen wie die jetzt in Katalonien unternommene auch in Zukunft völkerrechtlich nicht zu akzeptieren und neue staatsähnliche Gebilde, die allein auf diesem Weg entstanden sind, nicht anzuerkennen."

Merkel fürchtet allerdings, dass die Konfrontation zwischen Madrid und Katalonien auf einen Bürgerkrieg zulaufen könnten, wenn die Katalanen sich für unabhängig erklären und Madrid daraufhin militärisch interveniert. Er verweist darauf, wie in Kanada das Oberste Gericht auf die Unabhängigkeitsforderungen von Quebec eingegangen ist und eine vernünftige Lösung gefunden hat:

Es gibt ein höchst bemerkenswertes Urteil des Kanadischen Supreme Court aus dem Jahr 1998 zu den Sezessionsbestrebungen Quebecs, die Kanada seit Jahrzehnten immer wieder in Atem halten. Darin verneint das Gericht zunächst einen Anspruch Quebecs auf einseitige Sezession, verpflichtet aber andererseits die Zentralregierung, im Fall des Festhaltens einer klaren Bevölkerungsmehrheit der Sezessionsregion in einen offenen Dialog mit deren Vertretern einzutreten. Ein solcher Dialog dürfe selbst eine entsprechende Änderung der Verfassung nicht von vornherein ausschließen. Jedenfalls unzulässig sei der sofortige Einsatz militärischer Gewalt seitens der Zentralregierung. Die Entscheidung deutet an, dass am Ende eine Sezession wohl akzeptiert werden muss, wenn das alleinige Mittel zu ihrer Verhinderung die Anwendung bürgerkriegsähnlicher Gewalt sei. Ich halte das für richtig.

Reinhard Merkel

Merkel sieht es durchaus für möglich an, dass auch andere europäische Regionen nach Unabhängigkeit streben. Tatsächlich gibt es Unabhängigkeitsforderungen etwa in Schottland, Nordirland, bei den Basken, in Venetien oder auch Sardinien, aber auch in Deutschland, wo die Bayernpartei, die bei den letzten Landtagswahlen 2013 auf 2,1 Prozent der Stimmen kam, für eine Sezession eintritt und die Durchführung eines Referendums in Bayern fordert.

Bayernpartei sieht Katalonien als "Blaupause"

Nicht eingegangen ist Merkel auf das im Völkerrecht verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker, auf das sich Sezessionisten wie jetzt die Katalanen berufen. Auch in der KSZE-Schlussakte ist das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" verankert: "Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Völker haben alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit, wann und wie sie es wünschen, ihren inneren und äußeren politischen Status ohne äußere Einmischung zu bestimmen und ihre politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung nach eigenen Wünschen zu verfolgen."

Unklar bleibt jedoch, was als "Volk" gilt und unter welchen Bedingungen es in Anspruch genommen werden kann. In der deutschen Ausgabe von Sputniknews fragte also bei dem Chef der Bayernpartei, Florian Weber, nach, der die Unabhängigkeitsbewegung der Katalanen als Aufwind für die eigenen Bestrebungen sieht. Für ihn ist das auch rechtlich gedeckt: "In der Akte wurde schon in den 70er Jahren das Selbstbestimmungsrecht der Völker festgeschrieben. Dass die Katalanen wie die Bayern ein eigenes Volk sind, ist ja völlig unstrittig. Damit steht ihnen das Selbstbestimmungsrecht zu."

Letztes Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde der Bayernpartei abgewiesen, die ein Referendum nur in Bayern durchführen wollte, was ihr aber verwehrt wurde, da eine solche Volksabstimmung im ganzen Bundesgebiet stattfinden müsse:

In der Bundesrepublik Deutschland als auf der verfassungsgebenden Gewalt des deutschen Volkes beruhendem Nationalstaat sind die Länder nicht "Herren des Grundgesetzes". Für Sezessionsbestrebungen einzelner Länder ist unter dem Grundgesetz daher kein Raum. Sie verstoßen gegen die verfassungsmäßige Ordnung.

Bundesverfassungsgericht

Weber sieht Katalonien im Augenblick als Vorbild, er geht auch davon aus, dass die Unabhängigkeit dort erreicht werden wird: "Wenn ein eigenständiges Katalonien kommt, dann ist das auch eine Blaupause, wie es bei uns gehen kann. Immerhin sind laut der letzten Yougov-Umfrage 32 Prozent der Bayern für ein eigenständiges Bayern."

Tatsächlich hatte YouGov bei einer Umfrage im Juli 2017 erstaunlich große Tendenzen nach Unabhängigkeit in deutschen Landen festgestellt: "In sechs Bundesländern wünscht sich jeder Fünfte, dass sein Bundesland aus Deutschland austritt. Ganz vorne dabei sind die Bayern, von denen sogar jeder Dritte (32 Prozent) die Unabhängigkeit wünscht. Gefolgt von den Saarländern und Thüringern mit je 22 Prozent. Ebenfalls besonders häufig wollen Menschen aus Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern (je 21 Prozent) und Sachsen-Anhalt (20 Prozent) die Unabhängigkeit ihres Bundeslandes."

Weber jedenfalls glaubt, dass viele Menschen in Europa sowohl einer Zentralregierung als auch einer "Brüsseler Zentralregierung" ablehnend gegenüberstehen. Man brauche eine Dezentralisierung und keine Zentralisierung. Für ihn ist die Durchführung eines Referendums letztlich keine rechtliche Frage, sondern eine demokratische: "Wenn es eine Mehrheit will, dann werden wir es auch schaffen." Man habe zwar in Bayern noch keine Mehrheit dafür: "Aber wir sind dran. Der Wille steigt."

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