Für eine Kontrolle der Geheimdienste
Im UN-Abhörskandal offenbaren sich auch die Verbindungen zwischen den Parteien, die den "Krieg gegen den Terrorismus" führen
Wer sich schon einmal gefragt hat, warum Tony Blair eigentlich so ein guter Freund und Waffenbruder von George W. Bush ist, für den lohnt sich genaues Hinschauen bei der aktuellen Affäre um das Abhören von UN-Diplomaten (Total verwanzt) . Bewährte Verbindungen sorgen seit Ende des zweiten Weltkrieges für Konstanz in der Weltpolitik. Immer wieder einmal taucht die UK/USA-Allianz kurz auf dem Radar der Öffentlichkeit auf. Bereits kurz vor Beginn des letzten Golfkrieges geriet deren Echelon-Spionagenetzwerk in die Schlagzeilen (Lauschangriff auf die Delegierten des UN-Sicherheitsrats). Wenig später wurde spekuliert, ob die Allianz auch den EU-Ministerrat verwanzt hat (Lauschangriff auf EU-Ministerrat). Lästige Fragen kommen auf, als deren Antwort nur die Verurteilung einer illegalen und unmoralischen Politik in Frage käme.
Die Affäre um das Abhören von UN-Diplomaten fällt dadurch auf, dass keiner überrascht ist, vor allem die Betroffenen nicht. Die ehemalige britische Ministerin für Entwicklungshilfe und Blair-Lieblingsfeindin Clare Short trat Donnerstag die Lawine mit ihrer Enthüllung los, sie habe Mitschriften von Gesprächen des UN-Generalsekretärs Kofi Annan gelesen, dieser sei also abgehört worden (Britischer Lauschangriff auf Kofi Annan?). Annan antwortete diplomatisch, er habe nichts zu verbergen und jeder, der etwas von ihm wissen wolle, müsse ihn nur fragen.
Freitag sagte dann der ehemalige UN-Waffeninspekteur im Irak, Richard Butler, gegenüber ABC Radio:
Ich war mir völlig sicher, bei meinen Bemühungen, den Irak abzurüsten, von mindestens vier permanenten Mitgliedern des Sicherheitsrats abgehört zu werden. Ich weiß allerdings nicht, was die Chinesen gemacht haben.
Die restlichen permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats sind die USA, Groß-Britannien, Russland und Frankreich.
Die, die mich abhörten, kamen zu mir und zeigten mir die Mitschnitte, die sie von Gesprächen anderer gemacht hatten. Sie sagten immer 'Wir sind bloß hier, um Ihnen zu helfen' und sie zeigten mir nie Mitschnitte meiner Gespräche.
Am Samstag sagte der mittlerweile zurück getretene UN-Waffeninspektor im Irak, Hans Blix, gegenüber dem britischen Guardian, auch er vermute, in seinem UN-Büro und zu Hause abgehört worden zu sein.
Wenn man etwas Wichtiges zu besprechen hat, geht man halt spazieren oder in ein Restaurant.
Seine schlimmsten Befürchtungen seien erfüllt worden, als ihm von einem Mitglied der Bush-Administration Bilder gezeigt worden seien, die nur unter der Hand hätten beschafft werden können. Von den Irakern abgehört worden zu sein, habe er erwartet, von den USA aber bespitzelt zu werden, sei eine ganz andere Sache und "widere" ihn an:
Es kommt einem so vor, als würde die Integrität angegriffen, wo man doch eigentlich auf der selben Seite steht.
Am Sonntag berichtete schließlich Richard Tomlinson, ein ehemaliger Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, auch Mary Robinson, die frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, sei mit dem Ziel abgehört worden, sie "auszuspionieren". Die Irin Robinson war von 1997 bis 2001 Menschenrechtskommissarin und hatte wegen ihrer kritischen Haltung in Menschenrechts- und Kriegsfragen besonders mit den USA Differenzen. Auch Robinson zeigte sich von der Enthüllung nicht überrascht:
Mir war immer bewusst, dass die Möglichkeit ausspioniert zu werden, existierte, und ich habe mich entsprechend verhalten.
Echelon-Gate
Den Schlüssel zu dem Geheimdienstnetzwerk, das die internationale Politik bespitzelt, und zur Waffenbrüderschaft der USA mit Großbritannien liegt in einer Information des ABC-Reporters Andrew Fowler. Ungenannte Quellen hätten ihm gesagt, dem australischen Geheimdienst Office of National Assessments (ONA) lägen Abschriften abgehörter Telefonate von Hans Blix vor:
Besonders jedes Mal, wenn er in den Irak einreiste, wurde sein Telefon angezapft und die Abschriften wurden den Vereinigten Staaten, Australien, Kanada, dem Vereinigten Königreich und Neuseeland zur Verfügung gestellt.
Diese fünf Länder bilden die UK/USA-Allianz, ein Spionageabkommen US-amerikanischer und britischer Geheimdienste aus dem Jahr 1947(Echelon Chronology). Diesen beiden Führungsmächten traten im kalten Krieg später Australien, Kanada und Neuseeland als Juniorpartner bei (Inside Echelon).
Das Australische ONA wertet die mit geheimdienstlichen Methoden gewonnenen Informationen aus. Diese "Intelligence" umfasst neben Daten der Agenten und der Bildsatelliten auch die Daten, die das Defence Signals Directorate (DSD) über die Überwachung der weltweiten Telekommunikation erhält. Partnerdienste des DSD sind die National Security Agency (USA), das im Zentrum der aktuellen Vorwürfe stehende Government Communications Headquarters (UK), das Government Communications Security Bureau (Neuseeland) und das Communications Security Establishment (Kanada). Gemeinsam betreibt diese Allianz das Echelon-System, ein Horchsystem aus Satelliten und Bodenstationen, das weltweit Kommunikationsnetze (Internet, Fax, Telefon) abhören kann. Manche gehen davon aus, dass, soweit technisch möglich, die Gesamtheit der Signale überwacht wird.
Australiens Premierminister John Howard gilt vielen in seinem Land als Marionette der USA. Vor dem Irak-Krieg bemächtigte er sich der Rhetorik des Weißen Hauses. Im Dezember 2002 fiel Howard durch den Vorschlag auf, die Charta der Vereinten Nationen sollte präventive Angriffe gegen Terroristen erlauben (UN-Charta ist veraltet). Ein Sprecher Howards wollte den Vorwurf, sein Geheimdienst höre die UN ab, nicht kommentieren. Geheimdienst-Angelegenheiten würden - wie üblich - weder bestätigt noch dementiert. Heute ist dennoch die Einrichtung einer Untersuchungskommission angekündigt worden, nachdem Presseberichte Australien eine "Schlüsselrolle" zugewiesen hatten.
Auch in Neuseeland steht die für die Geheimdienste zuständige Ministerin Helen Clark unter Druck zu garantieren, dass Neuseeland keine Rolle im UN-Abhörskandal spielt. Bisher hülle sich die Regierung in eine "Decke der Geheimhaltung", kritisiert Keith Locke von der grünen Partei.
Die Bespitzelung politischer wie ziviler Institutionen ist ein Skandal
Ein Instrument wie das Echelon-System ist in Zeiten des Information Warfare eine gefährliche Waffe, wenn es in die falschen Hände gerät. Die Echelon-Hauptbetreiber haben ihre Länder seit dem 11. September 2001 zu Überwachungsstaaten ausgebaut und eine Doktrin der präventiven Kriegsführung gegen einen "tatsächlichen oder vermeintlichen" Feind in die Tat umgesetzt. Erneut zeigt sich zur Zeit, dass das Echelon-System für mindestens völkerrechtswidrige Zwecke missbraucht wird.
Es gibt einen interessanten Bericht der Financial Times vom 22. März 2003. Auf einer Sitzung des American Enterprise Institute, Bushs neokonservativer "Vorhut", sei bereits die Irak-Nachkriegsagenda festgelegt worden. Diese beinhalte eine "radikale Reform der UN, Regimewechsel in Iran und Syrien und die 'Eingrenzung' (containtment) Frankreichs und Deutschlands." William Kristol, Vorsitzender des neokonservativen Project for the New American Century und Stabschef in der Bush sen.-Administration, wird mit den Worten zitiert, es sei "intelligente amerikanische Außenpolitik", Deutschland ins Abseits zu drängen. Wie passt das zusammen mit dem kürzlichen Besuch Gerhard Schröders bei George W. Bush, bei dem Einigkeit und Freundschaft demonstriert wurde? Warum sagte Schröder in einem Interview des US-Fernsehsenders ABC, er könne sich nicht vorstellen, dass "sein Freund" Blair Abhörmaßnahmen gegen die UN angeordnet haben könnte.
Vorfälle wie diese werfen lästige Fragen auf: Welche Rolle spielen Geheimdienste? Was ist das für eine Demokratie, in der Wähler eine Fassade präsentiert bekommen, damit sie Politiker wählen, die im Verborgenen eine ganz andere Politik betreiben? Wie schmutzig ist die Politik?
Seit 9/11 sind die Geheimdienste - die ja angeblich so katastrophal versagt haben - ermächtigt worden, nicht die Kontrolleure. In Kanada sind auf Druck der USA Befugnisse und Mittel erweitert worden. Dem Communications Security Establishment wurde erlaubt, seine ursprünglich auf Russland gerichteten Ohren auch ins Inland zu richten. Kaum einen scheint dabei zu stören, dass die Dienste des Landes weitgehend frei von demokratischer Kontrolle agieren.
"Höchst unverantwortlich", wie Tony Blair meint, ist nicht die Enthüllung von Clare Short. Höchst unverantwortlich ist, dass Regierungen auf illegale Weise abhören und Krieg führen. Die Bespitzelung der Vereinten Nationen und politischer wie ziviler Institutionen an sich ist ein Skandal. Illegale Machenschaften der Geheimdienste - aller Geheimdienste! - und ihrer Auftraggeber gehören an den Pranger.