Für was halten unsere Jungs die Knochen hin?
Der Tod von vier Bundeswehrsoldaten in Afghanistan wird zur Legitimationskrise bundesdeutscher Auslandseinsätze
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan folgt hehren Zielen: Verteidigung der Freiheit, Kampf gegen den Terrorismus, Sicherung der humanitären Lebensbedingungen in Afghanistan. Werden westliche Freiheit und Sicherheit am Hindukusch verteidigt ("Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt")? Verteidigungsminister Struck sagt bislang noch ja, während etwa Peter Scholl-Latour meint, es ginge wesentlich nur um die Stützung der Karsai-Regierung, die als amerikanisches Marionettenregime gilt. Ist dieser Freiheitsauftrag genauso irreal wie jener in Vietnam? Seinerzeit hatte sich US-Präsident Johnson eine Abfuhr eingehandelt, als er die deutsche Regierung anrief, die westliche Freiheit im Dschungel zu verteidigen. Die Geschichte Deutschlands ist seit den diversen Auslandseinsätzen der Bundeswehr zwar keine ausreichende Blankoermächtigung mehr, sich dem militärischen Weltkatastrophenmanagement zu versagen. Doch die juristischen wie praktischen Konturen solcher Einsätze sind alles andere als klar.
Der Krieg gegen Taliban und al-Qaida war weniger umstritten als der völkerrechtswidrige Feldzug gegen Saddam Hussein. Das verdankt sich nicht nur dem Umstand, dass diese Gefahren greifbarer erschienen als imaginäre Massenvernichtungswaffen, sondern mindestens ebenso dem untergründigen Vergeltungsmotiv Amerikas für Nine/Eleven (Nine/Eleven). Vergeltung leuchtet der menschlichen Natur immer noch eher ein als ein Wirtschaftskrieg für Öl, der Kampf um die totale Hegemonie und für westlich kontrollierte Regierungen im Mittleren Osten.
Kriegserfolge können nur flüchtig sein
Amerikanische Vergeltungsaktionen können nicht per se im Interesse der bundesdeutschen Gesellschaft liegen. Relevant wäre allein die Frage, ob die Operation in Afghanistan, die Demontage der Taliban und möglicherweise auch einiger al-Qaida-Stützpunkte die Welt sicherer gemacht haben (Mit Sicherheit unsicher). Die Kriegserfolge könnten ein ephemeres bis historisch völlig bedeutungsloses Ergebnis sein, wenn langfristig keine strukturelle Verbesserung in Ländern wie Afghanistan, im Irak oder demnächst im Kongo zu erzielen ist.
Gerade die Amerikaner haben in der Vergangenheit regelmäßig die Stabilität einer Region der Frage der demokratischen Verfassung des Landes oder der Wahrung der Menschenrechte vorgezogen. Dieses Motiv amerikanischer Machtpolitik wurde paradigmatisch im Irak aufgegeben und die ungewissen Folgen für die Region - aber eben gerade auch für die befreiten Menschen - werden gegenwärtig überdeutlich. Vordem galt zentral für die amerikanischen Topografien der Machtverteilung: "They may be bastards, but they are our bastards."
"Bastarde" wie Saddam Hussein kann man mit dem gegenwärtigen Arsenal militärischer Mittel inzwischen bequem abservieren. Allein, wer deckt hinterher den leer geräumten Tisch der Zivilgesellschaft wieder auf und verhindert die Wiederkehr der alten Herren an die Spitze der Tafel? In Afghanistan zeigt sich, dass die "Rebastardisierung", die Wiederkehr des status quo ante keineswegs ausgeschlossen ist, sondern wohl die wahrscheinlichste Folge ist. Mit anderen Worten: Die von der US-Armee weggeprügelten Hunde sammeln sich am Horizont und beginnen zwar geschwächt, aber mit altem fundamentalistischen Elan, aber eher noch mit der unstillbaren Habgier der Warlords, wieder ihre partikularen Interessen, ihre alten Unrechtsregime, ihre tribalistisch-ethnischen Seilschaften zu restaurieren.
Es fehlen konkrete Kriterien für Auslandseinsätze
Der jetzige Anschlag auf die Bundeswehr - es war wohl bereits der siebte - gehört zum militärischen Betriebsrisiko, das sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei noch längerem Aufenthalt in dieser oder jener Form wiederholen wird. Aus der Traum von Demokratie, von der humanen Zivilgesellschaft, von der Gleichberechtigung von Männern und Frauen und von der endgültigen terroristischen Ausblutung?
Da diese komplexen Fragen kaum vernünftig zu beantworten sind, sind sie gegen konkretere einzutauschen: Lohnt sich eine Nachkriegssicherung solcher Regionen durch die militärisch fragile Bundeswehr, die vielen Kritikern zufolge für solche Auslandseinsätze und noch komplexere - wie demnächst in dem seit langen Jahren chaotischen Kongo - nicht ausreichend gerüstet ist? Wer bei den ersten toten Soldaten Abzug ruft, könnte es sich aber auch zu einfach machen. Denn dass in Nachkriegswirren Soldaten sterben, gehört zum bedauerlichen, aber unausweichlichen Risiko eines Berufs, der die eigene Existenz aufs Spiel setzt, um höhere Werte zu verteidigen. Doch die Alternative, die der Chef des Deutschen Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz, erörtert, ist wohl unvermeidlich: Entweder muss man noch mehr Soldaten in die Region schicken oder aber die Mission abbrechen. Denn dass die Soldaten als erste Reaktion auf diesen Anschlag nun nicht mehr in Bussen fahren sollen, sondern sich wieder in ihre Panzer begeben, kann keine ausreichende Lösung sein.
Das Berufsrisiko des Soldaten setzt eine besonders feinkalibrige Abwägung der Gefahren voraus, die sich nicht darin bescheiden kann, den Siegen der US-Armee hinterherzuwischen - allein aus dem Grund, weil Washington die ganze Welt befreien, demokratisieren, amerikanisieren oder wahlweise: zivilisieren will. Vasallentreue ist nicht nur obsolet, sondern auch zu teuer, ob die Verrechnungseinheit nun Blut oder Euro heißt. Unberechenbare Bündnispartner können keine Kriegs- oder Nachkriegsoptionen für die Bundeswehr begründen. Was aber dann?
Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1994 Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme zur Friedenswahrung und Gewährleistung für Sicherheit für zulässig erachtet. Die Pflicht der Regierung, eine vorherige konstitutive Zustimmung des Bundestages einzuholen, verbanden die Hüter der Verfassung mit dem Hinweis an den Gesetzgeber, Näheres gesetzlich zu regeln.
Seitdem sind die Anmutungen an die Bundeswehr, demnächst an allen Brandherden der Welt als Militärfeuerwehr aufzutauchen, enorm gestiegen. Deswegen ist es jetzt vordringlich, konkrete Kriterien zu entwickeln, die parlamentarisch besonders sorgfältig zu prüfen wären. Pauschale Humanitäts-, Friedens- und Freiheitsargumentationen, insbesondere so diffuse, wie sie der Rhetorik amerikanischer Falken entsprechen, können da nicht ausreichen. Bei deutschen Auslandseinsätzen der Bundeswehr könnte man in Zukunft vielleicht so vorgehen:
- Liegen beweiskräftige, durch die Uno gesicherte Anhaltspunkte vor, dass von einer Region, einer Regierung, einer gesellschaftlichen Gruppe massive Risiken für die Sicherheit von Bündnispartnern oder gar für globale Belange ausgehen?
- Werden Menschenrechte in einer so erheblichen Weise verletzt, dass die Voraussetzungen von Geno- oder Ethnozid vorliegen?
- Bestehen ausreichende Möglichkeiten, in solchen Regionen eine Nachkriegspolitik zu etablieren, die tendenziell die ökonomischen, politischen Ressourcen besitzt, stabile bis bessere Verhältnisse zu begründen?
- Sind gerade die Mittel der Bundeswehr ausreichend, solchermaßen zu konkretisierende Aufgabenstellungen auch wirklich allein oder im Verein mit anderen Kräften zu erfüllen?
- Ist durch entsprechende Beschlüsse des Uno-Sicherheitsrats und/oder der jeweiligen Länderparlamente gewährleistet, dass die Nachkriegsaufgaben genauso ernst verfolgt werden wie die Kriegspolitik?
Dabei tragen die maßgeblichen Kriegsparteien, insbesondere also präventive Angreifer, die Beweislast, dass Nachkriegskonzepte mindestens im Ansatz vorliegen und auch von den Angreifern die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Was sich jetzt im Irak ereignet, ist das von zahlreichen Kritikern prognostizierte Musterbeispiel einer undefinierten Nachkriegspolitik und Bereicherungsstrategie, die jederzeit gefährdet ist, neue Gefahren zu produzieren, die noch erheblich über die entsorgten hinaus gehen könnten - soweit überhaupt Gefahren beseitigt worden sein sollten.
Sodann wäre für Auslandseinsätze der Bundeswehr noch eine Art Prioritätsgrundsatz zu entwickeln, dass der Einsatz in einer Krisenregion in das Verhältnis zu anderen Gefährdungslagen der Welt zu setzen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit wären also beispielsweise erst die Nordkorea-Frage und die Palästina-Frage zu beantworten gewesen, bevor leidige, aber doch eher berechenbare Provinztyrannen wie Saddam Hussein fokussiert würden.
Der amerikanischen Aktionsstrategie mit schnell wechselnden Zielen gehen durchdachte Nachkriegspläne ab
Die Politik des amerikanischen Internationalismus macht inzwischen sehr deutlich, dass sich demnächst noch mehr Nachkriegs-Pulverfässer über den Globus verteilen. Nur wenn einer Krisenregion attestiert werden kann, sich überhaupt erträglich zu entwickeln, sollten sich die jeweiligen Weltpolizisten der nächsten widmen. Ausnahmen gelten allein für den Fall akuter Gefahren, die den restriktiv zu interpretierenden Regeln präventiver Kriege folgen, die anlässlich des Irak-Krieges vorsätzlich verletzt wurden.
Dabei ist der Hinweis notwendig, dass die Menschenrechtssituationen im Irak und in Afghanistan nicht jenen in Bosnien oder im Kosovo vergleichbar waren, sodass die bekanntermaßen juristisch windige Ermächtigungsgrundlage humanitärer Einsätze nicht ansatzweise erfüllt war. Wer das anders sehen will, müsste ohnehin die Länderliste von amnesty international als Road-Map nehmen, mit dem überwiegenden Teil der Staaten dieser Erde Krieg zu führen.
Wie wäre danach jetzt in Afghanistan zu verfahren? Dieser Einsatz kann nur weitergeführt werden, wenn die vormaligen alliierten Kriegsherren die Mittel bereit stellen, die Region sowohl unter Sicherheitsgesichtspunkten wie im Blick auf die Versorgungslage der Bevölkerung in besserer Weise als bisher zu gewährleisten. Es ist dagegen nicht die Aufgabe der Bundeswehr oder anderer Schutztruppen, sich Gefahren auszusetzen, die mit einer besseren Logistik zu vermeiden wären.
Das begründet indes längst nicht den Ruf nach noch mehr Soldaten, sondern vordringlich wäre die Frage zu beantworten, ob die Nachkriegssorge in Afghanistan nicht jetzt bereits als gescheitert gelten muss. Es ist nicht ersichtlich, dass in Afghanistan ein vernünftiger Nachkriegsplan vorliegt, der auf realistischen Einschätzungen der Zukunftsfähigkeit dieser Region und ihrer Bewohner basiert. Wenn bis zum heutigen Tag nicht viel mehr erreicht wurde, als die Situation in Kabul leidlich stabil zu halten, muss der Sinn des ganzen ISAF-Unternehmens angezweifelt werden.
Der wechselnde Fokus des amerikanischen Interesses - gestern Afghanistan, heute Irak, morgen vielleicht Iran - verstößt gegen das Prinzip einer langfristigen strukturellen Sicherung humaner Lebensbedingungen solcher Gesellschaften. Ein Blutzoll für vage Hoffnungen auf Stabilität, Freiheit und Humanität ist gegenüber keinem Soldaten der Bundeswehr und seiner Familie zu rechtfertigen.
Die Frage an unsere westlichen Freunde, wann von einer Chimäre - etwa Saddam Husseins vorgeblicher Fähigkeit, Massenvernichtungswaffen einzusetzen - und wann von Wirklichkeit zu sprechen ist, muss entschieden härter diskutiert werden, als es gegenwärtig die Bundesregierung, aber auch die diversen anderen westlichen Regierungen gegenüber Amerika tun. Solange hier keine Rechenschaft von Bush II. abgelegt wird, die diesen Namen verdient, sollte bundesrepublikanisches Katastrophenmanagement auf humanitäre Hilfslieferungen beschränkt werden. Zieht die Jungs also ab, bis der Freiheitswille der Befreiten und der Befreiungswille der Befreier wirklich ernst zu nehmen sind!