Mit Sicherheit unsicher
Über die von Präsident Bush geforderte neue Einheit im Krieg gegen den Terrorismus
Die Bush-Regierung hat ihre neuen sicherheitspolitischen Orientierungen von der Verteidigung zur militärischen Prävention möglicher Risiken nicht nur deutlich gemacht, sondern auch schon praktiziert. Um für mehr Sicherheit zu sorgen, soll auch die Atomwaffenforschung wieder aufgenommen und schließlich neue Atomwaffen produziert werden (Die große Mauer), die sich auch gegen Gegner ohne Atomwaffen und bei traditionellen Kriegen einsetzen lassen (Pentagon will weiter aufrüsten). Offenbar will jetzt auch Großbritannien im Verein mit den USA das Atomwaffenprogramm wieder ausbauen und stellt dazu Hunderte von Mitarbeitern ein, wie New Scientist unlängst berichtete. Auf seiner Reise nach Europa will Bush wieder transatlantische Einheit im gemeinsamen, aber von der USA angeführten Kampf gegen den Terrorismus herstellen, in dessen Zentrum die militärische Präventivstrategie steht. Für die gewünschte Einheit gibt Bush ein großes Versprechen: "Wenn Europa und Amerika vereint sind, dann kann kein Problem und kein Feind uns widerstehen."
Die USA haben schon des öfteren "präventiv" gehandelt, doch es mussten erst die Anschläge des 11.9. kommen, um die präventive Kriegsführung und die Androhung militärischer Gewalt zum expliziten Programm einer Supermacht zu erheben, die für sich in Anspruch nimmt, aufgrund ihrer Auserwähltheit und Stärke die Welt nach eigenem Ermessen zu führen, zu disziplinieren und zu gestalten.
Präventivkriege sind vom Völkerrecht zwar verpönt, aber nachdem die USA nach der Auflösung der Sowjetunion zum alleinigen Hegemon geworden sind, lassen sich im Auftrag des Guten und damit im amerikanischen Interesse internationale Abkommen beiseite schieben. Wer würde und könnte denn auch wirklich, wenn es an die Substanz geht, für deren Durchsetzung sorgen wollen? Das Schweigen der Staatengemeinschaft über die offensichtlich weit aufgebauschten, wenn nicht frei erfundenen Behauptungen über Massenvernichtungswaffen im Irak, deren Existenz Kriegsgrund war, spricht diesbezüglich Bände (Endlich gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor).
Auschwitz, Irak und der Kampf gegen das Böse
Bush reiht sich mit seinem Krieg in eine lange Tradition ein, die sein Besuch in Polen, dem Herzen des Neuen Europa, und vor allem in Auschwitz demonstrieren sollte (Strafe für Majestätsbeleidigung). Dabei ging es auch um die Rechtfertigung und die künftige Ausübung militärischer Gewalt, die, wie der US-Präsident erklärte, mit dem Ursprungsereignis vom 11.9. zu tun habe. Das habe den "Hass" der neuen Feinde gezeigt, die USA verändert und auf die "Mission" verpflichtet, "Aggression und das Böse frühzeitig und entschieden" zu bekämpfen: Und das fordert der Präsident auch von Europa. Versöhnung also durch Übereinstimmung mit den Zielen der US-Regierung, die vor allem die Anwendung militärischer Gewalt gegenüber dem "Bösen" auch in Zukunft zu rechtfertigen sucht. Bush stellt die amerikanische Reaktion schon fast wie ein himmlisches Strafgericht dar:
Einige Herausforderungen des Terrorismus kann man jedoch nicht alleine mit Strafverfolgung lösen. Das Taliban-Regime in Afghanistan entschied sich dafür, die al-Qaida-Terroristen zu unterstützen und bei sich aufzunehmen. Und daher gibt es das Regime nicht mehr. Der Diktator im Irak wollte Massenvernichtungswaffen in seinen Besitz bringen, pflegte Verbindungen mit dem Terror und widersetzte sich den Forderungen der UN - daher wurde sein Regime beendet.
Die USA stehen an der Seite der unterjochten Völker und haben wie auch jetzt stets gegen das Böse gekämpft: für die Befreiung Europas vom Faschismus und danach gegen den "imperialen Kommunismus" im Kalten Krieg. Und nun eben gegen einen neuen Feind:
Eine tödliche Kombination aus terroristischen Gruppen, gesetzlosen Staaten, die Massenvernichtungswaffen in ihren Besitz bekommen wollen, und eine Ideologie aus Macht und Herrschaft, die den Unschuldigen angreift und jedes Verbrechen rechtfertigt.
Und um diese Kontinuität des Kampfes gegen das Böse, das immer irgendwie grundlos vorhanden ist oder zu entstehen scheint, vom Irak-Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg mediengerecht herauszustreichen, besuchte Bush - ohne Beisein der Presse - Auschwitz und Birkenau.
Die Todeslager sind noch immer Zeugen. Sie erinnern uns, dass das Böse wirklich ist, beim Namen genannt und bekämpft werden muss. All das Gute, das zu diesem Kontinent gekommen ist - der ganze Fortschritt, der Wohlstand, der Friede -, kam, weil es jenseits des Stacheldrahts Menschen gab, die bereit waren, die Waffen gegen das Böse zu erheben. Und die Geschichte fordert mehr als Erinnerung, denn Hass und Aggression und mörderische Absichten sind noch immer in der Welt lebendig. Nachdem wir die Werke des Bösen auf diesem Kontinent gesehen haben, dürfen wir nie mehr den Mut verlieren, gegen es überall zu kämpfen.
Weil die Medien Bush nicht auf seinem Gang durch Auschwitz und Birkenau begleiten durften - es sollte "persönlich" und "still" geschehen -, musste Präsidentensprecher Ari Fleischer danach den Pressevertretern nacherzählen, was Bush gesehen und gesagt hat. Als er beispielsweise Prothesen sah, die die deutschen Nazis den ermordeten Juden abgenommen hatten, erklärte Fleischer:
Der Präsident sagte Dinge wie "beeindruckend". Ich habe es aufgeschrieben, als ich ihm zuhörte: "beeindruckend". Als er die Koffer sah, sagte er: "Wie traurig." Und dann, als er an einem anderen Schaukasten vorüberging, wo winzige Schuhe ausgestellt waren, schaute der Präsident sich diese an und sagte: "All die kleinen Baby-Schuhe." Er sagte zum Führer: "Sie haben eine gute Arbeit geleistet, um der Geschichte zu gedenken."
Symbolisch zumindest räumte Bush ein, dass militärische Macht allein nicht alles gewinnen kann. Die von ihm angekündigte Aids-Hilfe und die Akzeptanz von gentechnisch manipulierten Pflanzen, ein weiterer Reibungspunkt mit der EU (Bush attackiert "Old Europe"), würden Hoffnungslosigkeit und Hunger und damit auch den Nährboden des Terrorismus bekämpfen. Strategisch sollen US-Entwicklungshilfe die Länder erhalten, die "gerecht" regiert werden - und "ökonomische Freiheit" fördern, was allerdings nicht unbedingt Sache der US-Regierung ist, wenn es um den Schutz der heimischen Wirtschaft geht.
Menschenrechte und Privateigentum, die Herrschaft des Gesetzes und der freie Handel und die politische Offenheit unterminieren die Verführungskraft des Extremismus und schaffen die stabilem Bedingungen, die der Friede benötigt. Wir sind entschlossen, die Macht dieser Ideale beim Wiederaufbau in Afghanistan und Irak zu demonstrieren. Und diese Ideale werden die Grundlage für einen reformierten, friedlichen und unabhängigen palästinensischen Staat zu legen.
Ein wenig direkter äußerte sich inzwischen Vizepräsident Cheney in einer Rede in West Point. Der Krieg, so Cheney, sei "noch lange nicht vorüber".
If there is anyone in the world today who doubts the seriousness of the Bush Doctrine, I would urge that person to consider the fate of the Taliban in Afghanistan and Saddam Hussein's regime in Iraq.
"If there is anyone in the world today who doubts the seriousness of the Bush Doctrine, I would urge that person to consider the fate of the Taliban in Afghanistan and Saddam Hussein's regime in Iraq,"
Nationale Sicherheit verschiebt die Grenzen
Nach dem Vorbild der US-Regierung ist für viele andere Regierungen zumindest rhetorisch der Damm gebrochen. Präventiv zu handeln, ist in aller Munde: von Russland über Australien oder Indien bis hin zu Japan. Alles natürlich unter dem Zeichen, die Sicherheit der eigenen Nation und die der Welt zu erhöhen, indem die Schurkenstaaten und Terroristen eliminiert werden. Wer so glücklich ist, schon über nukleare Massenvernichtungswaffen zu verfügen, darf sie denn auch behalten und wie die USA weiter entwickeln.
Doch die Welt heizt sich auch schon durch die allseitige Androhung von Präventivkriegen auf. Das sollte sich schon ganz simpel logisch erschließen: Wer unter der permanenten Bedrohung steht, plötzlich (präventiv) angegriffen zu werden, wird sich - gerade nach dem Afghanistan- und Irak-Krieg sowie der Haltung gegen Nordkorea - aufrüsten - möglichst mit Massenvernichtungswaffen zur Abschreckung, die sich - abgesehen von Atomwaffen - zudem nicht nur "militärisch", sondern auch "terroristisch" einsetzen ließen. Dass Staaten wie Israel, Pakistan oder Indien von der Völkergemeinschaft nicht zur Abrüstung gezwungen werden, oder Staaten wie Nordkorea, das zumindest damit droht, Atomwaffen zu besitzen, im Vergleich zum Irak mit Samthandschuhen angefasst werden, demonstriert allerdings, dass es "sicherer" wäre, im Zweifelsfall auch Atomwaffen zu besitzen und mit ihrem Einsatz drohen zu können.
Es könnte allerdings auch sein, dass die demonstrierte und angedrohte Angriffsbereitschaft der Supermacht USA und/oder einer irgendwie gearteten Koalition der Willigen direkt das Umschalten von militärischer Gewalt auf Terrorstrategien bei denjenigen fördert, die freiwillig oder zwangsweise - nach der Devise von Bush: "Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns" - zu Feinden der militärisch weit überlegenen Mächte werden. Gegenwärtig ist der USA und ihren Verbündeten kein anderes Land militärisch gewachsen, das nicht über Atomwaffen verfügt. Auch jeder Widerstand, der ein Territorium verteidigen sollte, wäre zum schnellen Untergang verurteilt. Aber das schafft keineswegs automatisch Sicherheit. Die Präventionsstrategie aus der Situation einer militärisch weit überlegenen und unbesiegbaren Macht zu verfolgen, könnte wesentlich dazu beitragen, dass mehr Staaten ins Chaos fallen und nomadische Terrorgruppen entstehen, die auf dem ganzen Erdball wie jetzt schon al-Qaida agieren, ohne noch wie in Afghanistan ein Territorium zu verteidigen (auch wenn ein solches anvisiert wird und daher "befreit" werden soll).
"Nach Artikel 87a des Grundgesetzes stellt der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf. Verteidigung heute umfasst allerdings mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein. Dementsprechend lässt sich Verteidigung geografisch nicht mehr eingrenzen, sondern trägt zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist." - Verteidigungspolitischen Richtlinien
Prekär sind die auf Prävention setzenden "Sicherheitsstrategien" vornehmlich deswegen, weil damit einhergeht, dass nicht mehr primär das Land an seinen Grenzen verteidigt wird, sondern die nationale "Verteidigung" den gesamten Globus umfasst. Das ist mittlerweile offenbar zu einem Mantra der Politiker geworden. So verteidigen sich die USA, Großbritannien, Polen und Co. im Irak oder, wie der deutsche Verteidigungsminister treffend sagte, auch wenn er beteuerte, nur im Verbund handeln zu wollen: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt" (Die Verteidiger der Zivilisation). Natürlich könnten da auch andere Länder oder Organisationen ihre Interessen in den USA oder in Deutschland verteidigen, aber da soll dann die militärische Macht Vorschub leisten. "Die Sicherheit Deutschlands", so versichert auch die CDU, "muss künftig dort geschützt werden, von wo sie gefährdet ist."
Die Folge ist, dass die Bedeutung des nationalen Territoriums allmählich schwindet, auch wenn im Zuge der Terrorbekämpfung, die innenpolitisch auch oft mit einer "nationalistischen" oder ethnisch-kulturell-religiösen Abwehr von Ausländern zusammen geht, gleichzeitig die Mauern verstärkt werden. Die Grenzen werden fließend, wie dies auch in den Verteidigungspolitischen Richtlinien zum Ausdruck kommt:
"Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen. Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes."
Das aber fördert die wechselseitige Unsicherheit und zugleich als Reaktion den internationalen Terrorismus. Mittelfristig dürfte sich die Welt aufheizen, was in Ansätzen bereits heute erkennbar ist. Während die Supermacht und die Staaten, die weiterhin auf militärische Verteidigung und Prävention setzen, immer mehr Geld in Rüstung investieren müssen, um die Überlegenheit zu sichern, können Gegner, die zu terroristischen Mitteln greifen, relativ billig und einfach global zuschlagen. Und wenn Kollektive und Staaten gelähmt werden und den äußeren Druck auf "Wohlverhalten" aus sicherheitspolitischen Gründen immer stärker nach innen abgeben müssen (und so wie in vielen arabischen Ländern Demokratie auch zur Abwehr der islamistischen Bewegungen abgewürgt wird), dann könnten letztlich auch Einzelne, die sich mit wirksamen Massenvernichtungswaffen ausstatten, zur Bedrohung eines Staates werden. Krieg heißt unter diesen Bedingungen der sogenannten asymmetrischen Konflikte nicht Einnahme eines Landes und/oder Sturz eines Regimes, sondern die effektive Erzeugung von Angst und Panik, die eine Gesellschaft zu lähmen vermögen, durch punktuelle Angriffe.
Allerdings könnten die sich jetzt vollziehenden Veränderungen, die mit zunehmenden Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, der allgemeinen Aufrüstung und der Präventionsstrategie auch ein Prozess über Umwege in Gang kommen, der auch auf eine Weltgesellschaft hinauslaufen könnte. Diese kann nicht, wie man jetzt sehen kann, aus einem Staatenbund erwachsen, in dem manche Staaten aus historischen Gründen alles blockieren und mit ihren Atomwaffen alle anderen Staaten bedrohen können, der über kein Gewaltmonopol verfügt und der stets primär den "souveränen" Staat schützt. Das sicherheitspolitische Verfließen der staatlichen geografischen Grenzen stärkt das Bestreben der US-Regierung, internationale Abkommen und Organisationen zu demontieren oder nur im eigenen Interesse zu benutzen, könnte so aber auch den Weg zu einer neuen "Verfassung" einer demokratischen Weltgemeinschaft frei machen. Sollte dieser Weg sich wirklich eröffnen, dann liegen auf jeden Fall noch zahlreiche Konflikte zuvor.
Was fest steht, ist jedenfalls, dass die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Zielen, Bündnissen und Werten in Auflösung begriffen ist und derzeit eine Phase der Weltgeschichte beginnt, in der sich wieder einmal die "Kontinentalplatten" mit ungewissem Ausgang verschieben und neu anordnen.